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KAPITEL IV

 

DER SINN DES ER-LEBENS

Abb.1: Symbolbild (Photolia)

 SELBST- UND WIRKLICHKEITSERLEBEN

 

I Allgemeines über Wahrnehmung, Kognition und "Perspektiven"
II Die 4 Grund-Perspektiven des Systems
III Das Selbstwertgefühl und seine Komponenten
IV Situationen und Ereignisse
V Innen-, /Außenperspektiven und skalierende Effekte
VI Er - Lebensprozess allgemein
VII Das ICH als Zwischenwesen aus Information, Funktion und Realität
VIII Der Er- Lebensprozess als eine sich selbst erzählende Geschichte
IX Das "stabile" ICH und das "kranke" ICH

 

Kapitel I

WER BIN ICH,
WAS WILL ICH, WAS TUE ICH UND WARUM?

Wenn wir nicht gerade schlafen oder bewusstlos sind, strömen ständig Eindrücke und Informationen über die äußere Umwelt auf uns ein. Zahllose Objekte, Situationen und Ereignisse werden wahrgenommen. Allgegenwärtig ist auch unsere "Selbst-Repräsentation", das Bewusstsein um die Anwesenheit des eigenen Ichs innerhalb der erlebten Situationen. Ebenso präsent sind zahllose Inhalte und Facetten des inneren Erlebens und innerer Zustände: Empfindungen, Emotionen, Erinnerungen, intuitive Eindrücke und bewusste Assoziationen. Viele konkrete Inhalte sind gleichzeitig präsent, andere folgen im Strom des Bewusstseins aufeinander. An manchen Eindrücken oder Wahrnehmungsinhalten heften wir unsere bewusste Aufmerksamkeit und setzen uns kognitiv damit auseinander. Andere nehmen wir nur un- oder vorbewusst wahr. Manchmal scheinen inneres Erleben und die Erfahrung der Außenwelt relativ unabhängig voneinander abzulaufen: Wir können angestrengt unseren nächsten Urlaub planen oder uns an eine Geburtstagsfeier erinnern, während wir durch einen Park gehen, in die U-Bahn einsteigen oder sonstige Wechsel der äußeren Gesamtsituation erleben. Manchmal hingegen verändert eine die Außenwelt betreffende Wahrnehmung schlagartig unsere inneren Zustände und unsere Aufmerksamkeit wird abrupt auf andere Inhalte gelenkt. Zwischen manchen Wahrnehmungsinhalten scheinen einfachere oder komplexere Beziehungen und Abhängigkeiten zu bestehen, andere haben scheinbar überhaupt nichts miteinander zu tun.

 Wie gelangen wir überhaupt zu einem Selbst-Bezug und zu einem Bezug gegenüber Inhalten der Außenwelt? Wann nehmen wir was aus welchen Gründen mit welcher Intensität wahr? Warum gelangen wir zu ganz spezifischen Eindrücken und persönlichen Motiven? Was lenkt unser Interesse auf eine bestimmte Sache? Wann empfinden wir einen Wahrnehmungsinhalt für "selbst-verständlich" und wann hingegen hinterfragen wir seine Bedeutung oder seine potentielle Beziehung zu uns selbst oder zu anderen Dingen? Wann beenden wir die kognitive Auseinandersetzung mit etwas Bestimmten und richten unseren inneren Fokus wieder auf eine andere Angelegenheit?

 

SINNGEHALT DES SELBST- UND WIRKLICHKEITSERLEBENS

Wir empfinden es auf bewusster Ebene keinesfalls so: Aber unser geistiges Erleben ist in diskrete kurze Zeitintervalle zergliedert! Der unaufhörliche Strom an Eindrücken, Gefühlen, Gedanken, Wahrnehmungen etc. erscheint uns fließend.

Tatsächlich aber arbeitet das Hirn mit Standbildern die nur innerhalb unserer Wahrnehmung einen fließenden Film ergeben. Es gibt lauter kleine diskrete Szenen die durch einen Wechsel an "Grund-Perspektiven" generiert werden. Genauer gesagt überlagern sich diese Grund-Perspektiven bei wechselnder Funktionsstärke. D.h. eine von ihnen ist "maximal" oder zumindest stärker aktiviert als die anderen. Diese Welle erhöhter bzw. dominanter Aktivität wechselt ständig durch. Diese kontinuierliche Perspektiven-Überlagerung bei gleichzeitigem Intensitätswechsel ist die Voraussetzung für den empfundenen Sinn-Gehalt aller Wahrnehmungen und für die Integration des Selbst-Bildes in die erlebte Gesamt-Situation. Dazu aber gleich mehr.

 

ZWEI  ZENTRALE  BEGRIFFE:

WAHRNEHMUNG UND KOGNITION
 

Wahrnehmung bezeichnet die Aufnahme und Verarbeitung von Reizen aus der Umwelt oder dem eigenen Körper. Sie erfolgt primär über die Sinnesorgane.

Wahrnehmung bedeutet ferner das "Verfügbar- machen" von realen Dingen als Information bzw. die Abbildung ("Spiegelung") von Realität als Information.

 

Kognition hingegen bezeichnet die Verarbeitung von Informationen und die Generierung menschlicher Erkenntnisprozesse. Es handelt sich im engeren Sinn um Denkvorgänge, Assoziationsleistungen, Entscheidungen und Bewertungen.

 

PERSPEKTIVEN DES GEISTES

Begriffsdefinition:

"Perspektive" bezeichnet grundsätzlich die Ausrichtung oder  das "Gerichtet-Sein" eines wahrnehmenden Systems, hat also mit dem Zustand oder dem Funktionsmodus eines wahrnehmenden Systems bzw. von wahrnehmenden Subprozessen sowie deren konkurrierender oder synergetischer Wechselwirkung zu tun.

Zu dieser "Ausrichtung" zählen z.B. die Lokalisation des wahrnehmenden Systems (vom Gipfelkreuz des Nebelhorns kann ich mehr und weiter sehen, als mit dem Gesicht zur Wand meines Wohnzimmers), die Fixierung auf einen (starren) Raumausschnitt (wenn ich etwa einen Straßenabschnitt zwischen zwei Pfosten auf der Bundesstraße 2 beobachte, um z.B. die vorbeifahrenden Autos zu zählen), die Fixierung auf ein (bewegliches) Objekt (wenn ich einem vorbeifahrenden Auto nachschaue und dabei den Kopf drehe) oder die Fixierung auf eine bestimmte Art von Wahrnehmungsinhalt (wenn ich im Wald spazieren gehe und gezielt nach einem Kuckuck suche).

Im Falle eines (selbst-) bewussten kognitiven Systems, insbesondere natürlich eines menschlichen Beobachters, muss der Begriff der Perspektive ggf. auch die subjektiven Vorurteile oder die Voreingenommenheit gegenüber bestimmten Wahrnehmungsinhalten einbeziehen.

Ein Naturschützer nimmt einen 700 Jahre alten Eichenbaum unter "anderen Gesichtspunkten" wahr als ein Möbelfabrikant.

Als Kausalbeziehungen dürfen postuliert werden:

1. Jedes kognitive System (hier: biologische Lebensformen, insbesondere Menschen) generiert Wahrnehmungsperspektiven.

2. Jede Perspektive ist (aus)gerichtet, also funktional determiniert. Dies lässt sich leicht begründen: Allein schon weil ich  irgendwo lokalisiert bin, mich also an einem bestimmten Punkt auf der Welt befinde und keinesfalls überall gleichzeitig präsent sein kann! Ferner sind unsere Wahrnehmungsfunktionen (beschränken wir uns hier der Einfachheit halber auf die trivialen Sinnesfunktionen) biologisch-evolutionär in ihrer Funktionsstärke beschränkt! Ich kann keine Objekte von weniger als 0,1 mm Länge (mit bloßem) Auge sehen, ebenso wenig ultraviolettes Licht. Darin unterscheide ich mich zwar keinesfalls von den knapp 8 Milliarden Mitmenschen, was aber nichts daran ändert, dass mein Sehsinn (und der aller anderen Menschen) von Natur aus innerhalb bestimmter Parameter begrenzt ist.

Es gibt natürlich weitaus komplexere Formen von Perspektiven! Im Wechselspiel von Wahrnehmung und Kognition entstehen "innere", "geistige" Perspektiven, teilweise nur von kurzlebiger Dauer, teilweise miteinander konkurrierend oder sich aber verstärkend.

Ein triviales Beispiel hierfür ist die Anbahnung einer simplen Assoziationskette! Ich nenne 3 Begriffe: Hammer, Bild, Nagel. An was denkt man beinahe zwangsläufig? - An eine Person, die mit einem Hammer einen Nagel in die Wand schlägt, um daran ein Bild aufzuhängen! Ich habe also die Vorstellung über eine bestimmte Handlung erzeugt, ohne diese Handlung an sich benannt zu haben (die fernerhin keinesfalls zwangsläufig aus den Begriffen abgeleitet werden muss)!

Ein weiteres Phänomen soll hier unbeschadet seiner eingeschränkten Tauglichkeit zur Verallgemeinerung erwähnt werden: Wer schon einmal in einem Flugzeug saß, mit einem Gleitschirm oder Drachen geflogen oder mit dem Fallschirm abgesprungen ist, wird folgendes bestätigen: Aus großer Höhe kann ich Höhenunterschiede zwischen Flächen und Objekten am Boden nicht wahrnehmen! Ich weiß, dass ein Wald "höher" in den Himmel ragt wie ein abgeerntetes Weizenfeld, ebenso wie ein Fluß oder Bach zwingend tiefer liegt als eine daneben befindliche Landstraße. Sehen kann ich dies aus der Höhe aber nicht, ich weiß es eben aufgrund allgemeiner Lebenserfahrungen, weil ich es schon tausende Male vom Boden aus gesehen habe. Das Merkmal der Höhe wird auf dem (scheinbar) "zweidimensionalen" Bild der Erdoberfläche unterschlagen. Gleichwohl ist der Umstand meiner eigenen Höhe (wenn ich etwa bei 3000 Höhenmetern mit dem Fallschirm aus dem Flugzeug springe) Voraussetzung dafür, überhaupt eine derart hohe Anzahl an Objekten auf einer derart großen Gesamtfläche erkennen zu können!

"Perspektive" kann also (auch) bedeuten, dass eine lokal "unterschlagene" oder "nicht abgebildete" Information zum Mittel oder zur Voraussetzung der Beobachtung einer Situation bzw. zur Generierung einer umfangreicheren Information wird. Eine Perspektive kann also (auch) für eine "Information" stehen, die selbst keinen (semantisch-begrifflichen) Inhalt, dessen ungeachtet aber sehr wohl eine Wirkung oder Funktion für die Wahrnehmung anderweitiger Informationen hat!

 

 

In nachfolgenden Bildern ergibt sich die visuelle Perspektive eines Individuums (kleiner Kreis) aus dessen räumlicher Position gegenüber den Objekten (Dreiecke)

Abb.2: Aus Perspektive 1 ist Objekt B ist nicht sichtbar, da von Objekt A verdeckt. Abb.3: Aus Perspektive 2 sind alle drei Objekte sichtbar

             

 

Ein anderer, ebenfalls sehr schlichter Vergleich:

Ich kann mir eine Wahrnehmungsperspektive als schlichtes Strahlenkreuz vorstellen.

Abb.4: Analogie Strahlenkreuz: Mit einer Teilmenge meiner geistigen Gesamt(wahrnehmungs)funktionen nehme ich eine Teilmenge an Inhalten der realen Umwelt wahr. Abb.5: Die grün schraffierte Fläche entspricht dem wahrgenommenen Anteil der Außenwelt, der Flächeninhalt des grün umrandeten Kreises jenem Anteil der Außenwelt, den ich theoretisch wahrnehmen könnte (wenn ich die Perspektive um den Mittelpunkt drehe), der gelb schraffierte Bereich hingegen steht für den Anteil der Außenwelt, den ich nicht wahrnehmen kann, weil er sich gänzlich außerhalb meiner augenblicklichen Wahrnehmungsperspektive befindet.

Im linken Bild steht die nach links geöffnete "große Schere" des Strahlenkreuzes für eine bestimmte Menge an Wahrnehmungsinhalten, die sich auf die äußere Umwelt beziehen, also für eine Teilmenge von Inhalten meiner realen Umgebung. Die nach rechts geöffnete "kleine Schere" steht für eine Menge an Wahrnehmungs- (und kognitiven) Funktionen, mittels derer die Wahrnehmungsinhalte der Außenwelt als Repräsentationen verfügbar gemacht werden.

Im rechten Bild soll die grün schraffierte Fläche innerhalb der "großen Schere" für die im Moment real wahrgenommenen Inhalte der Außenwelt stehen. Die Gesamtfläche des kleineren grünen Kreises steht für den Anteil der Außenwelt, den ich theoretisch mit den aktuell aktiven Wahrnehmungsfunktionen erfassen könnte, wenn sich meine Perspektive (durch Drehung des Strahlenkreuzes um seinen Mittelpunkt) ändern würde. Die Fläche des gelb schraffierten äußeren Kreisringes steht für Inhalte der Außenwelt, die ich aus (dieser) Perspektive überhaupt nicht wahrnehmen kann, weil sie "außer Reichweite" sind.

Wir selber erleben nur dem Gefühl nach eine eindeutige (Gesamt)wirklichkeit! Tatsache ist: wir haben keinen unmittelbaren Kontakt zur Wirklichkeit, sondern sind durch biologische und psychologische Filter, die den Input unserer Sinnes- und Kognitionssysteme zensieren, von ihr "relativ getrennt"!

Genau genommen gibt es uns selber als kohärente, immer gleich bleibende Persönlichkeit ebenfalls nicht! Unser eigenes vermeintliches ICH "wohnt" in einer funktionalen Schnittstelle informationsverarbeitender neuronaler Systeme und Programme, ist im Grunde selber eine Art Programm, dessen Funktionalität (Stärke und Ausrichtung) gewissermaßen ebenso determiniert ist, wie unsere geistig-mentalen Perspektiven!

 

Ich bitte meine Leser an dieser Stelle zur Teilnahme an einem kleinen Gedankenexperiment (bitte zuerst lesen und dann weiter scrollen!):

 

"Erinnere Dich an deinen letzten Besuch in einem Freibad! Stell Dich selbst bildlich beim Schwimmen vor!"

 

Die meisten (vor allem die Rechtshänder) haben den bildlich vorgestellten eigenen Körper an der rechten Längsseite  von links nach rechts oder (vor allem die Linkshänder) von rechts nach links im Wasser schwimmen sehen?! Der Körper war vermutlich knapp einen halben bis einen Meter vom Beckenrand entfernt und wurde aus relativer Nähe (bis zu etwa 2 Meter Entfernung) von schräg vorne betrachtet?!

 

Wer versucht hat, die Vorstellung zu erzeugen, hatte denkbarer Weise ein Bild vor dem geistigen Auge, dass in etwa den nachfolgenden Bildern (Abb. 6 und 7) ähnelt (ich muss mit dieser Vermutung allerdings nicht unbedingt richtig liegen!)

 

Abb. 6: Schwimmer in Bewegung (von l.n.r.) Abb. 7: Schwimmer in Bewegung (von r.n.l.)

 

Der bildlich vorgestellte Körper entspricht in diesem Fall dem "modellierten Selbst" oder dem "Selbstmodell"! Aber wo war das phänomenale Selbst, also diejenige Instanz, die sich den eigen Körper aus einer externen Perspektive beim Schwimmen bildlich vorstellt?

 

Zwischenbemerkung: Als "phänomenales Selbst" bezeichnet man den akuten Vorgang der Selbst-Identifikation mit dem Erlebens- und Wahrnehmungsprozess! Es geht also mehr oder weniger um die subjektive Qualität des Erlebensprozesses an sich bzw. die Integration der (empfundenen) "Ich-Vorstellung" in denselben. Die "Perspektive" des phänomenalen Selbst bezeichnet nachfolgend die optische Wahrnehmung einer Sache, wie ich sie "original" durch meine eigenen Augen sehen würde, wenn ich mich real am vorgestellten Ort bzw. in der vorgestellten Situation befinden würde. Man spricht auch schlichtweg von der "Ego-Perspektive"

 

Ich spekuliere weiter:

Die "Ego-Perspektive" der Teilnehmer am Experiment, gleichbedeutend mit dem "phänomenalen Selbst" (in Abbildungen Nr.9 und Nr.10 symbolisch als "gelber Geist" in annährender Menschengestalt symbolisiert) war vermutlich auf etwa 1,50 bis 2 Meter Höhe ebenfalls an der rechten (oder linken) Beckenseite  platziert, wahrscheinlich ebenfalls um ca. 1,50 bis maximal 2 Meter "schräg vor den Schwimmer" ?!

Abb.8: Die rote (gelb markierte) Linie symbolisiert den Abstand des vorgestellten Körpers vom Beckenrand, die grüne Linie den Abstand und die Position der 1.Person- (Ego-)Perspektive bzw. des "phänomenalen Selbst" (die roten Augen) gegenüber dem vorgestellten (modellierten) Körper.

 

 

Abb.9: simulierte Position des beobachtenden "Phänomenalen Selbst" Abb.10:(analog zu Abb.8): Schwimmer bewegt sich von rechts nach links

 

 

Evtl. war der vorgestellte eigene Körper auch etwas weiter von der Ego-Perspektive (des "phänomenalen Selbst") entfernt, vielleicht ca. 3 bis max. 5 Meter ?!

Eine Minderheit der Teilnehmer am Gedankenexperiment wird den eigenen vorgestellten Körper vielleicht von hinten betrachtet haben?! Vermutlich ebenfalls aus einer Entfernung zwischen 2 bis maximal 5 Metern, wie in unteren beiden Fotos beispielhaft dargestellt?

 

Abb.11: eigener vorgestellter Körper aus  2 Metern Entfernung von hinten Abb.12: eigener vorgestellter Körper aus ca. 5 Metern Entfernung von hinten

 

Ich spekuliere weiter: Vermutlich hat sich niemand selber im Geiste "aus sehr großer" Entfernung gesehen, wie im nachfolgenden Bild beispielhaft dargestellt?!

Abb.13: vorgestellter eigener Körper aus "großer" Entfernung

 

 

 

Insbesondere hat sich wahrscheinlich kaum jemand die Szene ohne ein modelliertes "Selbst-Bild", also ohne eine verbildlichte Repräsentation des eigenen Körpers vorgestellt. Dies könnte natürlich auch mit der eingangs konkret formulierten Aufforderung, "sich selbst beim Schwimmen bildlich vorzustellen", zu tun haben?! Aber selbst bei einer weniger eindeutigen Anweisung vermute ich, dass sich die Wenigsten eine Situation im Schwimmbad aus der direkten 1.Person- bzw. Ego- Perspektive heraus ohne ein implementiertes Abbild des eigenen Körpers vorgestellt hätten?!

Anmerkung: der schwach zwischen den ersten beiden Sprungpodesten (v.l.) erkennbare Badegast entspricht hier nicht dem implementierten Bild des eigenen Selbst, sondern ist eine fremde Person, die man hier zufällig aus der Ego-Perspektive heraus sieht.

 

Abb.14: Das Schwimmbecken aus der "1.Person- bzw. Ego-Perspektive" des Schwimmers. Um sich  aus dieser Perspektive heraus "selbst zu sehen", müsste er in einen Spiegel schauen!

 

 

 

Mit noch geringerer Wahrscheinlichkeit wird jemand seinen eigenen Körper von unten, also vom Boden des Beckens aus betrachtet haben?!!

Abb.15: Schwimmer von unten betrachtet

Bild von unten

Die hierfür erforderliche "Ego-Perspektive" (des phänomenalen Selbst), befände sich in diesem Fall, wie im nachfolgenden Bild illustriert, am Beckenboden schräg vorne unterhalb des Schwimmers :

Abb.16: Darstellung der für Abb.13 erforderlichen 1.Person-Perspektive

Warum ist es eigentlich "abwegig" sich selbst von unterhalb der Wasserlinie bzw. vom Beckenboden aus zu betrachten? Man könnte sagen, dies sei unzweckmäßig, weil wir unter Wasser nicht atmen können! Auch würde der Auftrieb des eigenen Körpers eine Rückenlage am Beckenboden reichlich erschweren. Aber ist das im Rahmen einer imaginären Vorstellung nicht etwa völlig egal? Doch, ist es! Aber wir sind daran gewöhnt, bei der Vorstellung einer Sache automatisch eine Perspektive zu wählen, die im Falle ihrer realen Umsetzung unser Überleben oder unseren Komfort gewährleisten oder begünstigen würde! Unser Unterbewusstsein liefert, soweit möglich, eine unter physikalischen Aspekten, oder sagen wir besser, eine vor dem Hintergrund "normaler" Alltags- und Lebenserfahrungen als "realistisch" zu erachtende Darstellung (abhängig vom Grad, in dem unser Wissen bzw. unsere Vorstellungskraft die Wirkung der Naturgesetze korrekt widerspiegelt oder simuliert)!

Dass sich die meisten von uns die vorgestellte Eigenbewegung ihres modellierten Selbst von links nach rechts dachten, hat mglw. damit zu tun, dass wir von links nach rechts lesen und daher unseren Kopf, unser wohl elementarstes Körperteil, sehr häufig von links nach rechts bewegen (zumindest jedenfalls drehen)?!

Unabhängig davon, ob diese Spekulationen stimmen, bleibt es eine hoch interessante Frage, wie sich das Hirn für die Generierung von Variablen einer Perspektive und die Details der darin enthaltenen Inhalte (wenn es sich etwa um eine visuelle Vorstellung handelt) entscheidet!

 

Nachfolgende Abbildung zeigt einen Ausschnitt an denkbaren (willkürlichen) Orten, an denen sich die "Erste-Person-(Beobachter)-Perspektive" oder kurz "Ego-Perspektive" des phänomenalen Selbst (die roten Augen) im Zuge der "Selbst-Beobachtung" beim Schwimmen im Freibad positionieren könnte! Anzahl, Winkelverläufe und Abstand der Kreisbahnen repräsentieren natürlich nur eine minimale Auswahl von theoretisch "unendlichen" Möglichkeiten!

Abb.17: mögliche "Kreisbahnen" für die 1.Person-Perspektive

 

Manch ein Leser wird vielleicht einwenden, er hätte in seiner Vorstellung gar keine präzise Umgebung von geometrischer Qualität, mit (Becken)linien oder konkreten Abständen und Winkeln zum bildlich gedachten Körper erzeugt? Vielleicht hat manch ein Teilnehmer des Gedankenexperiments nur einen "diffusen" Umriss eines (mit dem eigenen Ich assoziierten) Körpers in einer "unspezifischen" Umgebung generiert, wie durch nachfolgende Bilder beispielhaft illustriert?

 

Abb.18 (-20): "abstraktes Selbstbild" Abb.19 Abb.20

 

Aber auch in diesem Fall bleibt die Frage: Wie hat sich das Hirn im Zuge der Erzeugung dieser Vorstellung für irgendeine der gegebenen "Qualitäten" entschieden? War da hinter den Kulissen mglw. ein zumindest kurzer, dem Bewusstsein verborgener "Wettbewerb" konkurrierender Bilder, oder wurde das Ergebnis sehr spontan innerhalb eines eher "linearen" Entstehungsprozesses geliefert?

 

 

Ein anderer Aspekt bei der Generierung einer bildlichen Perspektive ist neben der Lokalisation der "Beobachterposition"  auch deren Ausrichtung:

Eine Perspektive kann bspw. objektbezogen sein und einem (hier beweglichen) Motiv folgen: In nachfolgender Abbildung beobachtet jemand einen Läufer, der fliehenden Schrittes durch die Gegend eilt. Sein Blick folgt der Person von rechts nach links. Der Läufer selbst ist in der "Mitte des Rahmens" fixiert, hat also immer denselben Abstand zum Rahmen. Der Rahmen selbst hingegen wandert, da er dem Läufer (von rechts nach links) folgt!

Abb.21: "Auf (bewegliches) Objekt gerichtete Perspektive

 

Umgekehrt ist es im nächsten Fall: Jemand beobachtet einen "Raumzeitausschnitt". Stellen wir uns vor, es sei das Bild einer Webcam, die sich irgendwo im Allgäu befindet und auf die Gebirgslandschaft gerichtet ist. Der Hintergrund ist immer derselbe, der Fokus der Kamera ist auf das Bergpanorama gerichtet. Die beweglichen Objekte im Vordergrund wandern nach links oder rechts aus dem Rahmen hinaus!  Fragt man den Beobachter: "Woher kam das Flugzeug?" könnte er korrekter Weise antworten: "von rechts!" Und "wohin flog es?" Die an sich unsinnige, aus der konkreten Perspektive heraus aber durchaus korrekte Antwort lautet: "nach links!"

 

Abb.22: Auf (statischen) Raumausschnitt gerichtete Perspektive

 

In seiner wirklich trivialsten Bedeutung beschreibt der Begriff der Perspektive eine Beziehung zwischen einem Beobachter und einem (um es trivial zu belassen) visuell wahrgenommenen Objekt.

Diese "Beziehung" weist zwei Variablen auf: Entfernung und Richtung.

Eine (optische Wahrnehmungs-) perspektive weist zudem auch eine "Qualität" auf, die auf zweifache Art definiert sein kann.

Fall 1: Ein bestimmtes (bewusst ausgewähltes) Motiv wird bestmöglich ("vollständig" oder "optimal")  erfasst:
Wenn ich auf dem Tegelberg wandere und das Schloss Neuschwanstein sehen oder fotografieren will, finden sich hierfür verschiedene lokale Punkte, die entweder überhaupt nicht, nur einigermaßen gut oder aber ganz hervorragend dafür geeignet sind.

Fall 2:  Wahrnehmungsinhalte (ob gezielt ausgewählt oder nicht) werden als "widerspruchsfreie Einheit" erfasst:
Blicke ich von einer Bergspitze aus in irgendeine Himmelsrichtung, erkenne ich eine detailreiche, weitflächige Landschaft.

 

Wir wissen, dass die (bewusste) Wahl oder (zufällige) Begebenheit einer Perspektive Auswirkungen darauf hat, was wir wahrnehmen und wie wir etwas wahrnehmen! Ein Blick vom Gipfel des Nebelhorns in nördliche Richtung liefert andere Inhalte, als ein Blick nach Süden! Und ein Mensch, den wir wahlweise aus 5, aus 500 oder aus 5000 Metern Entfernung sehen, wirkt dementsprechend größer oder kleiner.

Natürlich haben wir keinerlei Zweifel daran, dass die südlich des Nebelhorns gelegenen Objekte auch dann vorhanden sind, wenn wir nach Norden blicken (also unabhängig von unserer Wahrnehmung existieren). Auch wird ein Mensch, egal wie groß oder klein er bei wechselnder Entfernung auch wirken mag, seine reale und von unserer Wahrnehmung unabhängige Körpergröße aufweisen. 

Es gibt aber tatsächlich Inhalte, die sehr wohl nur innerhalb unserer Wahrnehmung existieren bzw. durch  Wahrnehmungsfunktionen oder/und -perspektiven erzeugt werden. Eine optische oder akustische Halluzination ist ein reines Produkt des Gehirns, gleichwohl weist sie überhaus konkrete Qualitäten auf (etwa Lautstärke, Stimmlage, Stimmfrequenz, Emotionalität, u.a. einer eingebildeten Stimme).

Und es gibt Wahrnehmungsinhalte, deren Ursprung sowohl in der realen Welt als auch in unserer (perspektivisch bedingten bzw. determinierten) Wahrnehmung liegen. Ein triviales Paradebeispiel hierfür ist der Regenbogen! Ein solcher wirkt überaus "echt" und befindet sich scheinbar in einer bestimmten Entfernung an einem bestimmten Ort in der Landschaft. Gleichwohl ist eine Annäherung sinnlos, da er sich dann entfernt und irgendwann verblasst. Das heißt: er entfernt sich eigentlich nicht, denn er befindet sich an gar keinem bestimmten Ort! Ich kann ihn auch nur sehen, wenn ich die Sonne im Rücken habe! Die Regentropfen am Himmel wirken wie ein Prisma, die das weiße Sonnenlicht in seine Spektralfarben aufspalten. Ob, wie (welche Farben, Farbintensität) und wo ich ihn verorte hängt von meiner (räumlichen) Perspektive ab! Ein Kind von geringerer Körpergröße, dass direkt neben mir stehend ebenfalls auf den Regenbogen schaut, erlebt ihn gegenüber meiner Wahrnehmung leicht versetzt und mit etwas anderer Farbdominanz!

Ein Regenbogen ist also insofern real, als die Lichtbrechung (durch Prismen oder eben auch durch Wassertröpfchen) real ist und er ist insofern nur Einbildung, als seine Wahrnehmung wirklich völlig von meiner Perspektive abhängt.

Im Falle des Regenbogens mag dies nicht besonders wichtig erscheinen. Wir werden uns nachfolgend mit sehr viel weitreicheren Aussagen über Wahrnehmung, Kognition und Perspektiven beschäftigen und auf Dinge zu sprechen kommen, die für uns weitaus wichtiger als ein Regenbogen sind - und die viel komplexere "Schwebezustände" zwischen "Realität" und "Information" aufweisen können!

 

 

PERSPEKTIVISCHES WAHRNEHMEN

 

WAHRNEHMUNG UND KOGNITION IN INTERAKTION

Wahrnehmung und Kognition sind keine grundverschiedenen Mechanismen! Sie bedingen sich vielmehr gegenseitig. Oft entscheidet die Intensität eines Prozesses oder der Grad des Bewusstseins über den Prozesses darüber, ob er dem Bereich der Wahrnehmung oder jenem der Kognition zuzuordnen ist: Eine un- oder vorbewusste Kategorisierung (wenn ich etwa  einen Käfer spontan als solchen erkenne und ihn unbewusst aus der Ordnungskategorie "Insekt" in eine Unterebene verschiebe) ist eindeutig ein Wahrnehmungsprozess. Die genauere Analyse (etwa der Versuch, unter bewusstem Abruf gespeicherten Wissens die genaue Art zu benennen) entspricht eindeutig einer Kognitionsleistung.

 

KOGNITION IST BEWUSSTE UND FOKUSSIERTE WAHRNEHMUNG

Kognition ist im Grunde eine potenzierte Form der Wahrnehmung, die zielgerichtet ist und i.d.R. stark mit der augenblicklichen Intention des wahrnehmenden Subjektes in Verbindung steht. Wahrnehmung ist etwas unglaublich Universelles. Auch unsere Selbst-Repräsentation beruht auf Wahrnehmungsprozessen (auf Empfindungsebene). Ich kann Dinge wahrnehmen ohne sie (bewusst oder willentlich) kognitiv zu verarbeiten. Aber ich kann keine Kognitionsleistung bzw. prinzipiell keinen "Willensakt" vollbringen, ohne denselben nicht zwingender Weise auch in irgendeiner Form und in irgendeinem Umfang wahrzunehmen.

 

GEDANKENEXPERIMENT:

Ich erwache aus tiefer Bewusstlosigkeit und befinde mich in einem Raum. Ich habe keine Ahnung wo ich sein könnte. Ich schaue mich also um und beginne bewusst wahrzunehmen und zu denken: Der Raum hat Eisenwände. Das spricht gegen ein gewöhnliches Zimmer in einem Haus oder einem Hotel. Ich höre Motorengeräusche und spüre leichte Vibrationen. Ich befinde mich wohl in einem Fahrzeug. Der ganze Raum schwankt etwas. Das spricht für meine Anwesenheit auf einem Schiff, das im Seegang schaukelt. Das Fenster ist verglast und kreisrund. Könnte wohl ein Bullauge sein. Die Schiff-Vermutung wird gestützt. Ich schaue aus dem Bullauge und sehe Raben am Himmel fliegen. Das Schiff muss sich wohl in Küstennähe befinden. Auf hoher See gibt es keine Raben. Ein paar Eisbrocken treiben im Wasser. Also kann sich das Schiff unmöglich in der Südsee aufhalten. Ich sehe dass sich die Wasserfläche etwa zehn Meter unter dem Bullauge befindet. Also befinde ich mich wohl auf einem relativ großen Schiff. Durch Kognitionsleistung kann ich also einige Rückschlüsse über die Situation gewinnen.

Nehmen wir nun an ich könnte meine räumliche Perspektive X-beliebig verändern: Ich verlasse also den Raum und gehe auf dem Schiff umher. Nun kann ich direkt erkennen ob es ein Frachter, ein Passagier- oder gar ein Kriegsschiff ist (ohne abstrakt darüber nachzudenken). Ich schwebe nun in die Luft und sehe das Schiff von oben. Je höher ich schwebe, umso deutlicher sehe ich das Schiff im Kontext zu seiner Umgebung. Ich erkenne Konturen von Küsten, Ländern, Kontinenten und weiß nun (unter der Voraussetzung, dass ich geographisches Wissen im Hirn gespeichert habe) ob sich das Schiff in der Adria, in der Ostsee, in der Karibik oder im Atlantischen Ozean befindet ("Priming").

Durch Wahrnehmung und Kognition generiere ich Informationen. Um wahrnehmen bzw. kognitive Leistungen vollbringen zu können, muss ich aber über eine Perspektive verfügen. Spezielle Wahrnehmungsprozesse befassen sich mit einer vordergründigen Aufgabenstellung (etwa den Inhalten einer aktuellen Erlebens-Situation oder einer Rechenaufgabe). Eine andere Art von Wahrnehmungsprozessen befassen sich mit der relativen Position des eigenen ICH`s in einer (physikalischen oder abstrakten) Umgebung bzw. Situation. Während ich momentan z.B. im Kopf auszurechnen versuche, wie viel 275 geteilt durch 3 ist, habe ich ein Bewusstsein darüber, dass ich mich während dieser Aufgabenausführung in meinem Wohnzimmer befinde und habe ebenso eine Vorstellung oder zumindest eine Empfindung darüber, ob bzw. welchen Grund ich dafür habe, die Aufgabe überhaupt lösen zu wollen und ob es prinzipiell relevant sein könnte, die Aufgabe erfolgreich abzuschließen. Wir sprechen also von zwei parallel ablaufenden Ebenen der Wahrnehmung: Einer (fokussierten) kognitiven und einer (reflektierenden) perspektivischen Wahrnehmung.

Die Effizienz von perspektivischen Wahrnehmungsprozessen ist umso höher, je "entfernter" sich meine Wahrnehmungsperspektive (im räumlichen oder abstrakten Sinne) zu einem Wahrnehmungsinhalt befindet.

Die Effizienz kognitiver Wahrnehmungsprozesse bzw. einer kognitiven Aktion hingegen ist umso höher, je näher sich meine Wahrnehmungsperspektive (im räumlichen oder abstrakten Sinne) zu einem Wahrnehmungsinhalt befindet.

 Ich will es an folgendem Beispiel verdeutlichen:

 Eine kognitive Aktion entspricht analog betrachtet einer aktiven Handlung (während Wahrnehmung von seiner grundsätzlichen Natur her eher etwas "passives" ist). Um aus dem verschlossenen Raum auszubrechen nützt es nichts, wenn sich meine (Beobachter-) Perspektive 100 km über dem Schiff befindet und ich somit bestens darüber im Bilde bin, dass es im Adriatischen Meer kreuzt. Um eine wirksame Aktion vornehmen zu können, muss ich ganz punktuell präsent sein und unmittelbar Kraft ausüben (indem ich etwa mit einem Brecheisen die Tür aufheble).

 

Der Punkt ist also der:

Perspektivische (reflektierende und nicht explizit vom "Ich" angestrengte) Wahrnehmungsprozesse haben die Tendenz, das Wahrnehmungsfeld oder den Fokus möglichst weit auszudehnen und viele Informationen (und ggf. Wissen um Handlungsoptionen) zu sammeln. Das "Wissen" bildet sich in diesem Zusammenhang aus dem Kontext eines primären Wahrnehmungsinhaltes in Bezug auf seine (räumliche oder abstrakte) Position/Anordnung gegenüber weiteren, sekundären Wahrnehmungsinhalten.

 

Abb.23:
Expandierendes
Wahrnehmungsfeld

 

Kognitive (Wahrnehmungs)Prozesse hingegen haben die Tendenz, das Wahrnehmungsfeld zu verengen (zu fokussieren), möglichst viele Informationen selektiv auszuklammern und sich mit möglichst wenigen Inhalten auf Grundlage möglichst weniger Kriterien punktuell zu befassen (und ggf. die Entscheidung für eine Handlungsoption zu erzielen). 

Abb.24: sich verengendes
Wahrnehmungsfeld

 

 

FUNKTIONALE GRENZEN DER WAHRNEHMUNGS-PERSPEKTIVE

Mit der "Distanz" zum Objekt - ob im direkten oder im abstrakten Sinn - erhöht sich, wie oben angesprochen, die Effizienz eines mit der Generierung einer Perspektive betrauten Wahrnehmungsprozesses (es wird eine höhere Informationsmenge generiert), weil dadurch der Kontext eines Objektes zu seiner Umwelt umso deutlicher hervortritt: Einen Radfahrer aus ein paar Kilometer Entfernung zu beobachten gibt mehr Aufschluss über dessen Fahrtrichtung, sein denkbares Ziel und die Geschwindigkeit. Natürlich gilt dies nur bis zu einem bestimmten Grad. Kommen wir noch einmal auf das  Schiff zurück. Infolge einer imaginären Vogel-Perspektive zu wissen, in welchem Meer es sich bewegt ist aufschlussreich und limitiert zunächst die theoretisch denkbaren Zielorte des Schiffes. Die perspektivische Distanz noch weiter zu erhöhen nützt nichts mehr! Die Information darüber, dass sich das Schiff auf dem Planeten Erde befindet ist für die konkrete Situation uninteressant. Zu wissen in welcher Position sich die Erde im Sonnensystem, das Sonnensystem innerhalb der Milchstraße und die Milchstraße innerhalb der anderen Galaxien befindet, bringt keine weiteren brauchbaren Erkenntnisse in Bezug auf die Situation.

Nicht alle Informationen konkretisieren sich analog zur Distanz zum Objekt! Will ich etwa den Namen des Schiffes erfahren oder das Gesicht des vorhin angesprochenen Radfahrers sehen, muss ich sogar die Distanz idealer Weise bis zu einem Minimum verringern. Das ist aber eine völlig andere Sache! Wenn mich der Namen des Schiffes oder das Gesicht des Radfahrers interessieren, dann habe ich ein persönliches Motiv oder es besteht ganz schlicht ein intentionaler Bezug zwischen Beobachter und beobachtetem Objekt. Zielgerichtete Wahrnehmungen infolge eines Motivs aber sind kognitiver Natur!

 

ICH MUSS WISSEN, WORUM ES GEHT

Damit Wahrnehmungen einen Sinn ergeben und kognitive Bemühungen zielgerichtet sind, muss ich als Subjekt  jederzeit "wissen", "um was es überhaupt geht". Auf einem Schiff gefangen gehalten zu werden ist eine sehr konkrete Situation mit einer sehr konkreten Handlungsaufforderung für das Subjekt. Die meisten Situationen und Ereignisse die wir erleben sind eher "belanglos" und dennoch "wissen" wir bzw. haben stets zumindest ein "Gefühl" dafür, ob bzw. was wir überhaupt tun müssen, sollen oder zumindest wollen. Weder ein Bleistift auf dem Tisch, noch ein Bild an der Wand oder irgendwas anderes auf der Welt ergibt einen "Sinn", wenn meine persönliche Intentionalität gegenüber dem Objekt oder der vorherrschenden Situation, innerhalb derer ich mit dem Objekt konfrontiert werde, nicht irgendwie reguliert ist! Allerdings trifft das bewusst agierende ICH in den wenigsten Fällen eine Wahl bezüglich der Perspektive oder der Erweiterung/ Verengung des Wahrnehmungs- Fokus! Es reagiert vielmehr auf vorausgegangene Ereignisse dieser Art, die das Hirn jenseits bewusster Willens- und Entscheidungsvorgänge vollzogen hat! "ICH" selber kann ja schließlich mangels Kapazität auch gar keine bewusste Intention zu zahllosen Einzelobjekten entwickeln, die zufällig in meinen Wahrnehmungswinkel gelangen! Vielmehr werden auf unbewusster Ebene aus unzähligen Einzelinformationen aufgrund z.T. minimaler logischer Prinzipien eine überschaubare Menge an "Paketen"  gebündelt (die meisten Personen, Autos, Häuser, etc. an denen wir tagsüber vorbeilaufen, integrieren sich problemlos in die allgemeine "Hintergrundwahrnehmung")!

Das wirft zwei interessante Fragen auf:

1. Was will ich tun, wenn ich "nichts tun will" bzw. "worum geht es", wenn es auf bewusster Ebene "um nichts" geht"? Ohne ein intentionales "Thema" stürzen sich wahrnehmende und kognitive Prozesse "sinnlos" auf Inhalte und driften weit auseinander!

2. Was definiert den Sinn von Wahrnehmungen und/ oder Handlungen, die gerade erst entstehen bzw. sich aus einem Spektrum an vorhandenen Möglichkeiten heraus kristallisieren?


Diese Fragen beziehen sich nicht darauf, wie die Wertigkeit eines noch nicht eingetretenen aber bekannten künftigen Ereignisses (etwa ein geplanter Mallorca-Urlaub) gebildet wird! Dies geschähe eben auf Grundlage einer Hypothese. Es geht um die Frage, warum ich in einem bestimmten Augenblick z.B. überhaupt über einen Mallorca-Urlaub nachdenke. Genauso gut könnte mir im selben Augenblick in den Sinn kommen, ein Modellflugzeug kaufen zu wollen, im Wald spazieren zu gehen oder ich könnte "zufällig" darüber nachgrübeln, wann die französische Revolution war.

Bei psychotischen Störungen kann der Betroffene unter der verwirrenden Empfindung leiden, nicht zu wissen, "um was es geht!" Sinnvolle Strukturierungen des Informationsflusses auf un- und vorbewusster Ebene bleiben aus! Die Grenze zwischen Hintergrund- und Vordergrundwahrnehmung verschwindet. Die verschiedenen Grade der Intentioniertheit zerfließen.

Ich postuliere folgendes: Das bewusst agierende Ich, zumeist sogar unsere unterbewussten, der Orientierung und der Verhaltenssteuerung zugrunde liegenden geistigen Regungen, trachten danach, eine "kognitive", den Fokus verengende und somit selektierende Perspektive einzunehmen, welche die Anzahl der Wahrnehmungsinhalte verringert. Es geht salopp vereinfacht ausgedrückt um die Frage: "Wie löse ich das vordergründig vorhandene "Problem" oder wie treffe ich (m)eine "Entscheidung"? oder "Mit welchem Thema setzte ich mich überhaupt auseinander?"

Das "System" trachtet danach, eine expandierende, den Fokus erweiternde Perspektive einzunehmen oder zu simulieren, aus der sich kontextbezogene Informationen ergeben. Es geht dabei um den Kontext zwischen dem (in welcher Art und Stärke auch immer) gegenwärtig repräsentierten Selbst-Modell und seiner (abstrakten) Umwelt. Hier geht es also um die Frage: "In welcher Situation befindet sich das ICH oder SELBST überhaupt?"

Zwischenkommentar: Informationen könnte man m.E. sinnvoller Weise in zwei Hauptkategorien einteilen: Repräsentationen ("Abbildungen") stehen für "analoge", "banale" Darstellungen der Außenwelt (oftmals nur Objekte), die wir zwar wahrnehmen, mit denen wir uns aber nicht näher (mental, kognitiv) befassen). Ein Thema hingegen steht entweder im "positiven" Sinn mit unserem (Über)lebensvorteil oder Lustgewinn in Verbindung. Dann berührt es unser Interesse. Oder es steht im negativen Sinn mit unserem (Über)lebensvorteil oder Lustgewinn in Verbindung. Dann handelt es sich um ein "Problem". Ein Problem wiederum ist eine Information (über etwas), die bzw. das entweder unerfreulich (hinderlich, bedrohlich, etc.) oder aber unlogisch ist. Unlogisch ist eine Information immer dann, wenn sie sich durch Unvollständigkeit, Widersprüchlichkeit oder Mehrdeutigkeit auszeichnet. Dann denken wir i.d.R. über die Sache nach, was wir meistens auch tun, wenn nur ganz allgemein ein "Thema" vorliegt!

Ein "Problem" im Sinne der Informationsverarbeitung liegt immer dann vor, wenn eine Information unvollständig, mehrdeutig oder widersprüchlich ist. Dann nämlich tangiert die dem "Problem" zugrunde liegende Information sowohl die Wahrnehmungs- als auch die "Relevanzschwelle" und neigt somit dazu, einen Denkprozess auszulösen bzw. Gegenstand eines Gedankens zu werden. Relevant wiederum sind im weitesten Sinn alle Informationen, die mit unseren Überlebensvorteilen, unserem Lustgewinn und unserem Selbstwertgefühl zu tun haben (könnten)!

Der Leser mag sich vielleicht fragen, warum ich bei den angenommenen Verursachern einer den Fokus verengenden bzw. erweiternden Perspektive zwischen dem "Selbst" und dem "System" und nicht zwischen "Bewusstsein" und "Unterbewusstsein" unterscheide?!

Nun, das Unterbewusstsein ist, obgleich wir keinen direkten Zugriff auf seine Inhalte haben und seine Mechanismen uns weitgehend verborgen bleiben, letztlich, wenn auch in weit geringerem Maße, eben doch dem "Ich" oder "Selbst" zuzurechnen!

Unter "System" verstehe ich, wie in nachfolgenden Absätzen näher erläutert wird, jene neuronalen und somit physikalischen Schaltkreise und Schleifen, die funktional an der "Schweißnaht" des Übergangs von Materie zu Geist stehen!

 

 

 

 

Kapitel II

 

Die 4 GRUND-PERSPEKTIVEN  DES  SYSTEMS

 

INFORMATION:
ALLGEMEINE UND ERWEITERTE BEGRIFFSDEFINITION

Im Allgemeinen versteht man unter einer Information etwas, dass ein Beobachter wahrnimmt. Der PC vor mir auf dem Tisch, der Arbeitskollege der mir gegenübersitzt, das Wissen das in einer Stunde ein Bekannter anrufen will,... Dies alles entspricht einer Information im allgemeinen Sinne. Man differenziert also zwischen einem Subjekt, Informationen die das Subjekt wahrnimmt und kognitiven Prozessen, mittels derer das Subjekt Informationen verarbeitet.

Im erweiterten Sinn beinhaltet der Informationsbegriff aber sowohl die Zustände des Subjektes (Aufmerksamkeit, Interesse, Müdigkeit,..) als auch die Zustände des neuronalen Systems, innerhalb dem sowohl die Psyche des Subjekts (seine Selbst-Vorstellung) als auch dessen Wahrnehmungsinhalte und (Re)aktionen auf Wahrnehmungsinhalte generiert und repräsentiert werden. Ein Beispiel: Ein Tropfen Alkohol befindet sich in der Blutbahn. Er ist Teil der physikalischen Realität. Nun überwindet er die Blut-Hirn-Schranke und dringt in Nervenzellen ein. Er wird nun zu einer "Information" weil er den Zustand einzelner Neurone verändert, die darauf hin anders mit den Netzwerken interagieren, in die sie integriert sind  (ihre synaptische Verbindungsstärke könnte sich bspw. vorübergehend ändern). An späterer Stelle möchte ich dieses Konzept um den Begriff der "Funktion" ergänzen.

Es geht beim erweiterten Informationsbegriff also nicht (nur) um die dem Beobachter verfügbaren Wahrnehmungsinhalte, sondern auch um den in-/direkten Zustand des Beobachters infolge von Gesamt-System-Zuständen (des Gehirns)!

Der innere Beobachter, das eigene Selbst ist zwar die zentrale Information innerhalb des Gehirns, nicht aber die zentrale Funktion! Der Beobachter ist eine Institution innerhalb der Gesamt-System-Prozesse! Die Existenz- und Identitätsvorstellung beruht auf Empfindungen, die aus Körperzuständen bzw. deren Schwankungen (Kontrastwahrnehmung!) generiert werden.

 

Abb.25: Sinnesinformation und Körperempfindung

 

 

 Es existieren reale Objekte in der äußeren Wirklichkeit (grüne Objekte rechts im Bild). Der Körper des Beobachters ist ebenfalls ein reales Objekt, ebenso seine Sinnesorgane (Augen, Ohren, Nase, Tastsinn, Geschmackssinn und Gleichgewichtsorgan im Mittelohr) über die sein Gehirn Informationen über die Außenwelt erhält. Diese Informationen über die Außenwelt werden auf neuronaler Ebene repräsentiert. Andere Informationen für das Hirn kommen aus dem Körper selbst. Es empfängt ständig Zustandsberichte von inneren Organen und Rezeptoren in allen möglichen Gelenken und Oberflächenregionen. Die Sinnesorgane haben eine Doppelfunktion: Sie sind Teil des Organismus und der körperbezogenen Selbst-Repräsentation (meine Hand ist ein Teil meiner Selbst-Repräsentation), zugleich sind sie Informationsquellen über die Außenwelt (mit meiner Hand kann ich die Oberflächeneigenschaften von Objekten erfühlen). Das eigene ICH (Selbst-Bild, Selbst-Vorstellung, Identitätsempfindung, etc.) ist - wie alle anderen neuronal repräsentierten Informationen - kein reales Objekt der materiellen Wirklichkeit! Es entspricht ebenfalls dem Ergebnis neuronaler Verarbeitungs- Prozesse! Seine Repräsentation ist ungleich aufwändiger als jene aller denkbaren anderen Informationen! Der große Kreis auf dem Hals des Männleins im Bild soll das biologische neuronale System (Gehirn) darstellen. Es ist so real und materiell wie der Baum, das Haus und das Auto, die über seine Sinnesorgane wahrgenommen werden. Die beiden inneren Kreise stellen den unbewussten (blau) und bewussten Anteil (rot) der Ich-Repräsentation dar. Wäre ich ein Tier unterhalb der Stufe hoch komplexer Säuger oder Vögel, befände sich keine ICH- Repräsentation in meinem Hirn! Ich würde rein affektiv wahrnehmen und auf Umweltreize reagieren. Aus der "Sicht" des Gesamtsystems ist mein ICH eine Parallel-Wahrnehmung zu anderweitigen Repräsentationen. Mein "ICH" ist aus der "Sicht" des Gesamtsystems im Gegensatz zu "banalen" Objekt-Repräsentationen der äußeren Wirklichkeit sogar nur indirekt vorhanden (weil das "ICH" wie erwähnt durch weitaus komplexere Prozesse generiert werden muss). Die mentale Auseinandersetzung des ICH`s mit externen Wahrnehmungsinhalten wäre aus der "Sicht" des Gesamtsystems sogar noch um eine Ebene indirekter. Aber in den neuronalen Strukturen des Gesamtsystems unterhalb der kohärenten Ich-Repräsentation existiert keine "Sicht", keine bewusste "Perspektive". Da gibt es allenfalls darwinistische Prozesse, die unter strikt ökonomischen Gesichtspunkten um die Vorherrschaft einer (von mehreren parallel um Verwirklichung ringenden) Perspektive kämpfen! Besser gesagt: Die Art der jeweils unmittelbar nachfolgenden (Meta-)perspektive ist eigentlich sogar zwingend festgelegt, allenfalls die betreffenden möglichen Inhalte werden darwinistisch selektiert.

Das Gesamt-System hat also im Gegensatz zum ICH keine Perspektive, es generiert vielmehr die Perspektiven des ICH`s. Wenn ich nachfolgend postuliere, das gesamte Wirklichkeits- und Selbsterleben des Menschen würde aus nur 4 Grund-Perspektiven (bzw. deren Überlagerungs- und Kontrastzuständen) bestehen, dann meine ich nicht, dass das Hirn und das Subjekt (ICH) lediglich 4 generelle Arten von Informationen wahrnehmen und verarbeiten könnten! Ich spreche von Impulsen des Gesamtsystems, welche in die verschiedenen Schichten des Bewusstseins und der ICH- Generierung vordringen und dort in kurzer aber regelmäßiger Abfolge 4 generelle Zustandsempfindungen oder Meta-Perspektiven erzeugen, innerhalb derer wiederum in der Tat alle erdenklichen Arten von Informationen in verschiedenen Ausprägungsgraden dargestellt werden können.

Das Gesamtsystem definiert "Vollständigkeit" (ebenso "Widerspruchslosigkeit" und "Eindeutigkeit") von Informationen jeglicher Art nach zeitlichen Kriterien, das bewusste ICH hingegen nach inhaltlichen Kriterien. In Phasen, in denen das bewusste ICH keine starken vordergründigen Motive hat, wird mir als wahrnehmendes Individuum vom "Gesamtsystem" mitgeteilt, "um was es gerade geht", also auf was sich meine Aufmerksamkeit richten oder nicht richten soll, ob und welche Handlungsaufforderungen bestehen, etc.

 

Wir unterscheiden also ganz allgemein zwischen dem "System Gehirn", dem biologisch-neuronalen Gesamtapparat der Informationsverarbeitung und dem Selbst oder dem ICH als eine besondere Konstante innerhalb dieser Prozesse, die gleichsam Information als auch ein besonderes Mittel der (weiteren) Informationsverarbeitung ist! Mit konstant soll nicht etwa Stabilität oder gar Unveränderlichkeit des Selbst gemeint sein, sondern die Tatsache, dass es fortwährend, zumindest jedenfalls über die meisten Wach- und Remschlafphasen hinweg, überhaupt latent in einer gewissen Mindestfunktionsstärke erzeugt bzw. aufrecht erhalten wird (unbeschadet schwankenden Ausprägungsgrade und wechselnder Inhalte)!

Was "will" das System?

Wie allen physikalischen Systemen bzw. allen chemischen und biologischen Vorgängen wohnt natürlich auch dem "System Gehirn" an sich kein "Wille" oder "Vorsatz" inne, wohl aber eine von Energieniveaus bestimmte Eigendynamik!

Das System "will" die Lebensfunktionen des Körpers aufrechterhalten, es strebt nach einem homoöstatischen Gleichgewicht. Dies bedeutet, dass alle Organ- und Stoffwechselfunktionen (Hormone, Blutdruck, Atmung,.....) sich innerhalb bestimmter, der (Über)lebenswahrscheinlichkeit zuträglichen Skalenwerte befinden und idealer Weise auch aufeinander abgestimmt sind. Fernerhin simuliert das System Gehirn die Zukunft, es generiert Bilder möglicher Entwicklungsverläufe, sowohl des Körpers, als auch der Umwelt. Um den Überlebensvorteil nachhaltig zu gewährleisten gilt es nicht nur günstige Korrelationen an Aktivität und Funktionsstärke zwischen verschiedenen Organsystemen zu ermitteln und zu regulieren, sondern fernerhin, den Organismus vor gefährlichen (gegenwärtigen oder künftigen) Umweltereignissen zu bewahren. Zu diesem Zweck werden auch die Wahrnehmungsperspektiven generiert und ausgerichtet.

 

Was will das Selbst?

Das Selbst entspricht einer höheren Instanz der neuronalen Informationsverarbeitung. Ob real oder illusorisch- jedenfalls zeichnet es sich durch etwas aus, dass entweder tatsächlich einem freien Willen entspricht oder sich zumindest so anfühlt! Das Selbst denkt, bewertet, entscheidet, es ist schlichtweg SUBJEKTIV, d.h. es bezieht Informationen auf sich selbst. Zunächst einmal hat das Selbst oder das eigene Ich eine große "Interessensüberschneidung" mit dem System. Ich strebe entweder nach Sicherheit ("Defensivmodus") oder nach Macht ("Offensivmodus"). Ersteres bedeutet, sich so an die Umwelt anzupassen, dass einem (wahrscheinlich) nichts passiert. Zweiteres bedeutet, die Umwelt derart zu gestalten oder umzuformen, dass sie auf die eigenen Bedürfnisse möglichst weitgehend abgestimmt ist.

Sämtliche (einfache wie höhere) geistige Funktionen dienen fundamental dem Zweck der Lebenserhaltung. Die jeweiligen Vorteile sind offensichtlich! Sich an viele Dinge erinnern zu können (Gedächtnis), sich viele Szenarien vorstellen und Zwischenergebnisse speichern zu können (Vorstellungskraft, Intelligenz - beruhend auf Arbeitsgedächtnis und Aktualbewusstsein), die Informationen auf sich selbst beziehen zu können (Bewusstsein, Subjektivität), sich auch vor dem Hintergrund einer vielfältigen und unüberschaubaren Informationsmenge entscheiden zu können (Emotion, "Bauchgefühl" bzw. "somatischer Marker"), sich in Artgenossen geistig hineinversetzen zu können (Empathie), usw. All diese Fähigkeiten  stärken unsere Position gegenüber all jenen Lebensformen, die ein weniger komplexes Gehirn haben und über diese Fähigkeiten nur sehr eingeschränkt verfügen.

 

Gedankenexperiment: Stellen wir uns folgendes vor: Wir fahren morgens in die Arbeit und öffnen gerade die Tür unseres Büros. Aber dahinter befindet sich diesmal nicht unser Schreibtisch, nicht unser PC, nicht die Akten in den Wandregalen, etc. Statt dessen werden wir völlig unerwartet mit einer vollkommen fremdartigen, "verrückten" Situation konfrontiert. Vor uns stehen ein grün angemaltes Nashorn, ein Gorilla und ein Indianer, der mit zwei Tomahawks jongliert.

Wie würden wir auf unbewusster und bewusster Ebene auf die Konfrontation mit einer derartig unerwarteten Situation reagieren?

Ich denke es gäbe mindestens 4 seriell ablaufende Reaktionsmuster:

1. Reflexive Resonanz

In diesem Stadium dominieren Überraschung und Erschrecken. Noch ehe wir erkennen was wirklich vor uns steht registrieren wir erst mal nur Eines: Hier ist etwas vollkommen anders (als gewöhnlich)! Jegliche un- und vorbewusste Erwartungshaltung  ist gnadenlos durchkreuzt (das Unterbewusstsein erstellt unablässig Prognosen über mögliche Inhalte der unmittelbar folgenden Zukunft). Ein genereller Alarmzustand wird ausgelöst. Diese Phase währt nur geringste Sekundenbruchteile.

 

2. Affektive Resonanz

In diesem Stadium erkennen wir konkrete Inhalte. Wir erkennen den Indianer, das Nashorn und den Gorilla. Wir merken nicht nur, das wir vor einer völlig anderen Situation stehen, es bildet sich vielmehr ein Bewusstsein um den Grad der Abweichung zwischen der realen und der vorbewusst prognostizierten Situation.

 

3. Kognitive Resonanz

Nun haben wir eine eigene mentale Position gefunden, wir befinden uns jetzt mit der Kraft und den Fähigkeiten unseres kognitiven Apparates innerhalb der Situation. Wir generieren den Selbst-Bezug zu dieser Situation und merken, dass es hier etwas zu klären gibt. Die ersten konkreten Gedanken entstehen: "Warum stehen der Indianer und diese Tiere in meinem Büro?" "Welche Ursachen könnten dahinter stecken?"

 

4. Kognitive Reaktion

Aus den ersten Gedanken werden konkrete Entscheidungsprozesse. Nun beginnen wir systematisch Informationen zu generieren, die zur Aufklärung des Sachverhaltes führen könnten. Wir entwerfen Hypothesen über die möglichen Ursachen und vergleichen sie miteinander. Wir interagieren nun zu diesem Zweck auch ggf. mit der Umwelt. Wir bitten den Indianer, die Tomahawks mal kurz beiseite zu legen und erkundigen uns vorsichtig, ob die Tiere ev. bissig oder angriffslustig sind.

 

In unserem Alltag werden wir zum Glück nur selten mit völlig befremdlichen, sich außerhalb jeglicher Erfahrungswerte und jeglicher Erwartungshaltung befindlichen Situationen konfrontiert. Dennoch unterliegt unsere "banale" Alltags-Wahrnehmung ständig Zyklen, innerhalb derer sich die perspektivische Grund-Wahrnehmungsart ändert, so wie es in obigem Beispiel überspitzt dargestellt wurde.

Man darf sich das nicht so vorstellen, dass der Wechsel dieser Perspektiven bzw. die Abfolge von Zyklen dieser Perspektiven unsere Erlebensprozesse, unser Identitätsempfinden und unsere Wahrnehmungsinhalte wie in unterem linken Bild  "zerhacken" würden! Dann nämlich wäre auch gar kein sinnvolles, zusammenhängendes Wahrnehmen und Erleben möglich!

 

Ab.26 Abb.27

       Abb.26 u. 27: Linkes Bild: Der Wechsel von Perspektiven  führt nicht zur "Trennung" von Wahrnehmungsinhalten. Diese können  "unbeschadet" in die folgende Perspektive übernommen werden bzw. auch innerhalb der Übergangsmomente ihren grundlegenden inhaltlichen Charakter beibehalten (rechtes Bild). Dennoch hat die relative zeitliche Position eines Wahrnehmungsinhaltes zum jeweiligen Aktivitätsmodus der Grundperspektiven sehr wohl Konsequenzen auf die Art des Wahrnehmens!

 

 

 

GRUND-WAHRNEHMUNGS-PERSPEKTIVEN:

Es gibt 4 zentrale Wahrnehmungsstufen auf Empfindungs-Ebene! Sie werden nicht als inhaltliche Informationen, sondern als Zustände bzw. als Kontraste zwischen Zuständen erlebt.

Würde man sie in semantische Informationen übersetzen, hätten diese allgegenwärtigen und sich überlappenden Grundperspektiven folgende Inhalte oder "Aussagen":

1. "Ich existiere"

2. "Ich befinde mich in einer bestimmten Situation"

3. "Ich befinde mich in einem Ereignis" (passive Variante) oder: "ich habe eine Aufgabe innerhalb der Situation" (aktive Variante)

4. "Ich habe die Aufgabe bewältigt" (oder: "Ich habe verstanden" oder: "Ich habe integriert").

 

Ich wiederhole: Wir treten jetzt einen Schritt hinter den Beobachter, hinter die Selbst-Repräsentation bzw. das "ICH"! Diese Grund-Perspektiven sind keine Informationen über die der Beobachter direkt verfügt oder die er generiert! Sie befinden sich im Gesamt-System und definieren den Zustand oder die Intentionalität des Beobachters im Vorfeld seines bewussten Erlebens. Der Beobachter beruft sich in seinem Wahrnehmen, Denken und Handeln unbewusst auf diese System-Empfindungen und integriert seine Erfahrungen im Kontext zur zyklischen Abfolge dieser Grund-Informationen!

Die Präsenz dieser Grund-Wahrnehmungs-Perspektiven erfolgt innerhalb zweier Achsen:

1. Horizontale Achse. Damit ist die zeitliche Achse gemeint, also die abwechselnde Funktionsstärke bei grundsätzlich gleichzeitiger Aktivierung (und die damit einhergehende Kontrastwahrnehmung).

2. Vertikale Achse: Damit ist die Achse der Impuls-Entstehung in tiefsten Schichten des Gesamtsystems und deren Ausdehnung bis in die expliziten Funktionsschaltkreise des ICH`s gemeint: Die "Eruptionswellen" dringen (zeitversetzt) bis in die höheren Ebenen des bewussten Erlebens vor und knüpfen sich (zufällig) an Inhalte des bewussten Wahrnehmens und Erlebens.

 

ERSTE GRUND-PERSPEKTIVE: DAS EXISTENZ-GEFÜHL

Das Existenz-Gefühl resultiert primär aus Körperwahrnehmungen auf Empfindungsebene!

Viele interne Wahrnehmungssysteme befassen sich ausschließlich mit Körperwahrnehmungen, aus denen im Wesentlichen auch unsere Selbst-Wahrnehmung, unser Existenz- und Identitätsempfinden resultiert!

Da gibt es z.B. einen Regelschaltkreis, der den Blutzucker-Spiegel reguliert. Ein abfallender Blutzuckerspiegel lässt uns Hunger verspüren und wir werden uns darum bemühen, dem Körper Nahrung zuzuführen. Atmung, Herzschlag, Verdauung und Müdigkeit werden ebenfalls durch Hirn-Körper-Regelschaltkreise reguliert. Der neuronale Teil dieser Schaltkreise befindet sich im Stammhirn, dem verlängerten Rückenmark. Über diesen stammesgeschichtlich ältesten Teil des Hirns verfügen auch Reptilien. Bei diesen Wesen erfüllt es dieselben Aufgaben. 

 Dieser Teil der Körperwahrnehmung, der dem Hirn Informationen über Organtätigkeiten bzw. Organfunktionszustände übermittelt, bezeichnet man am Rande bemerkt als Viszerozeption.

Körperwahrnehmungen beziehen sich natürlich nicht allein auf vegetative Zustände und werden mitnichten nur im Stammhirn verarbeitet.

Die sog. Propiozeption ist jener Teil der selbst- und körperbezogenen Wahrnehmungen, der dem Hirn (natürlich auch unserem ICH) Auskunft über Körperbewegungen und die Lage des Körpers im Raum vermittelt.

Zahllose  Propiozeptoren in sämtlichen Körpergelenken sorgen für eine starke Oberflächen- und Tiefensensibilität und vermitteln einem bestimmten Teil der Großhirnrinde (dem "Orientierungs-Assoziations-Areal" oder einfach "OAA") wo der Körper endet, wo die Außenwelt beginnt, in welcher Winkelstellung sich unsere Gelenke und wo sich somit unsere Gliedmaßen befinden. Zudem hat die Oberfläche eines jeden Körperteils im Neuralnetz des sog. "sensorischen Kortex" der Großhirnrinde eine maßstabsverzerrte Entsprechung. Druck - und Temperatursensoren auf der Hautoberfläche (insbesondere auf Handflächen und Fußsohlen) geben im Zusammenspiel mit dem Gleichgewichtsorgan im Mittelohr präzise Auskunft über unseren Bodenkontakt oder unterstützen die Berechnung der optimale Griffstärke, um z.B. nach einer Tasse Tee zu greifen.

Der Wesentliche Aspekt der Existenzempfindung liegt in der Kontrast-Wahrnehmung! Ob ich einen hohen oder niedrigen Blutdruck habe, weiß ich höchstwahrscheinlich gar nicht! Das kurzfristige Ansteigen oder Abfallen eines niedrigen/hohen Wertes in die andere Richtung der Skala hingegen würde ich ziemlich sicher feststellen (etwa durch Schwindel, Übelkeit, Sehstörungen, u.a.).

 

 

VERSUCH EINER FALSIFIZIERUNG DES EXISTENZEMPFINDENS

Nachfolgendes Bild soll beispielhaft einen neuronalen Regelschaltkreis für Körperregulation darstellen. Sagen wir mal rein beispielhaft, es wäre das Regulierungssystem für das Sättigungsempfinden.

 


Abb.28:Regulierungssystem

Wenn der Blutzuckerspiegel fällt, gleitet der Schieberegler in der Mitte der Skala nach unten. Das Sättigungsempfinden steht auf Hunger. Dies wird der zuständigen Instanz im Hirn gemeldet (grüner Punkt). Diese veranlasst mich durch ein bewusstes Hungergefühl zur Nahrungsaufnahme. Mit zunehmenden Sättigungsgrad geht der Schieberegler darauf hin nach oben.

 

 

In nachfolgendem Bild sind 3 solcher Regulierungssysteme dargestellt, die funktional miteinander in Verbindung stehen.


Abb.29:  verknüpftes Regulierungssystem

 

Diese Systeme arbeiten also nicht für sich allein, sondern treffen ihre "Entscheidungen" auch infolge von Zustandsberichten der jeweils anderen Systeme. Sie kommunizieren direkt miteinander. Der Nachteil dieser Variante: Jedes System muss zu seiner eigenen Aufgabenbewältigung noch Informationen aus zwei weiteren Quellen integrieren.

 

 


Abb.30: Regulierungssystem mit Steuereinheit

In obigem Bild wurde der Mechanismus um eine Instanz (A) erweitert. Sie sammelt den Input aller 3 Systeme, wandelt diesen nach internen Regeln in eine einheitliche Größe um und beliefert die einzelnen Systeme mit einem vereinheitlichten Wert. Vorteil: Jedes System hat nur noch die Information aus einer weiteren Quelle zu integrieren. Wir gehen dabei von folgendem Sachverhalt aus: Die unteren Systeme liefern ihre Informationen nicht gleichzeitig, sondern nacheinander an Instanz A! Sie erhalten hingegen ihren Steuerbefehl von Instanz A gleichzeitig in einem einzigen kurzen Impuls!

 

In folgendem Bild verändern wir den Mechanismus durch Hinzufügen einer weiteren Instanz (B), welche ihren Input von Instanz A bezieht und seine "Steuerbefehle" anschließend an die 3 unteren Systeme erteilt.


Abb.31: Regulierungssystem mit 2 Steuereinheiten

 

Wie gesagt: Die unteren Systeme sind zeitlich nicht gleich getaktet! Die Informationen mit denen Instanz A gefüttert wird, sind zeitlich korrekt, weil sie zwar nacheinander aber in "Echtzeit" eintreffen. Die Information die Instanz B erhält, sind inhaltlich korrekt, weil sie den Gesamtzustand sämtlicher 3 Systeme repräsentiert. Dafür sind es aber keine "Echtzeit-Informationen".

Hierzu eine kleine Metapher: Ein Hauptmann befindet sich mit seinen Einheiten in einer Gefechtssituation und muss mit ihnen einen feindlichen Angriff abwehren. Es gibt 3 Frontabschnitte. In regelmäßigen Zeitpunkten treffen Kradmelder ein, die ihm die aktuelle Situation am jeweiligen Frontabschnitt schildern. Der Hauptmann steht vor folgendem Problem: Er kann auf jede Einzelinformation direkt reagieren und sofort Maßnahmen ergreifen. Der Nachteil: Er kennt die Gesamtsituation noch nicht. Er kann auch warten bis alle 3 Kradmelder vorgesprochen haben und nun auf die Gesamtsituation reagieren. Der Nachteil: Zwischenzeitlich könnten sich am ersten Frontabschnitt die Ereignisse längst überworfen haben und eine angemessene Reaktion kaum noch möglich sein.

 

In folgendem Bild wird der Gesamtmechanismus ein letztes Mal erweitert.

Wir wissen: Die unteren Systeme liefern ihre Informationen nacheinander an Instanz A, wo sie gebündelt und vereinheitlicht werden. Über Instanz B erhalten sie anschließend gleichzeitig einen Steuerbefehl. Dies benötigt natürlich etwas Zeit, da zwei Instanzen in diese Schleife integriert sind. Wir kennen das Problem des Hauptmanns aus obiger Analogie: Ist es besser, sofort auf eine Einzelinformation zu reagieren oder besser, die Gesamtlage zu kennen, dafür aber zeitversetzt zu reagieren?! Beides kann sich im Nachhinein als richtig oder falsch herausstellen!

 

Diese Schwachstelle wird von Instanz C teilweise kompensiert! Instanz B sendet - wie gehabt - ihren Output weiterhin an die tieferen Subsysteme, nun aber zusätzlich an Instanz C. Die Information die C erhält ist eine Art "Reflexion" über den letzten inhaltlich vollständigen Zustandsbericht. Und dieser letzte Bericht geht nun in einer separaten Schleife zurück an Instanz A, während diese auch gleichzeitig die tatsächlichen Zustandsberichte der unteren Systeme in Echtzeit erhält. Die "Erinnerung" des letzen inhaltlich vollständigen Lageberichts wird mit den neu eintreffenden Echtzeit-Einzelberichten zusammengefügt. Dadurch wird die Generierung eines neuen Gesamtberichtes erleichtert. Die Erinnerung der unmittelbaren Vergangenheit wird somit zur Prognose der unmittelbaren Zukunft und zusätzlich mit aktuellen Echtzeit-Informationen aus den unteren Systemen vereint. Das verhält sich in etwa so, als stünde unserem Hauptmann ein Adjutant zur Seite, der die Meldungen eines jeden neu eintreffenden Kradmelders (betreffend einzelner Frontabschnitte) mit einer ergänzenden Bemerkung über die letzte bekannte Gesamtsituation kommentiert. Dieser Kreislauf entwickelt ein sehr erstaunliches Eigenleben: An verschiedenen Punkten dieses Mechanismus befinden sich Informationen in verschiedenen Zuständen: Einzel- oder Gesamtinformation, zeitlich oder inhaltlich korrekte Information, Erinnerung oder Zukunftsprognose. Sie alle beziehen sich auf dieselbe Sache, insbesondere aber auf sich selbst! Die Existenz unseres menschlichen Bewusstseins resultiert (wenn man nicht gerade eine übernatürliche Seele postuliert) aus der Funktion reentrant rückkoppelnder Subsysteme, die auf sich selber aufmerksam werden. Durch deren Überlagerung bildet sich eine Art Schwerpunkt, den wir für unser eigenes Selbst erachten! Das System erfindet sich selbst und bezeichnet sich als ICH! Allerdings nur, wenn wir in einem menschlichen Umfeld aufwachsen, eine Muttersprache erlernen und im Kleinkindalter mit autobiographischem Input gefüttert werden.

Wie eine in diesem Szenario salopp als "Vereinheitlichte Information" betitelte Bündelung unterschiedlicher Informationen verschiedener Subsysteme zu einem "sinnvollen Ganzen" möglich sein soll oder kann, soll an dieser Stelle nicht ausschöpfend behandelt werden.

Eine (durchaus ebenfalls "saloppe") Sichtweise könnte so lauten: Für eine einzelne Komponente dieses beispielhaften Systems differenziert sich die Gesamtheit an vorhandener Information über Zustandsberichte jeweils perspektivisch betrachtet in einen "eigenen Zustand" und einen "Zustand aller anderen Subsysteme insgesamt". Im angenommenen Regulierungsschaltkreis wurden so verschiedene Aspekte wie Hunger und Müdigkeit bzw. deren "Vereinheitlichung" als Gesamtzustand angesprochen. Man könnte sich ein Speichersystem vorstellen, dass in regelmäßigen Abständen die Korrelationen zwischen verschiedenen Subsystemen und der Befindlichkeit des Organismus in Beziehung setzt und als Variable speichert. Diese entsprechenden "Bilder", diese Multimomentaufnahmen vergangener Ereignisse (Korrelationen)  könnten dann in die hier vorgestellte Informationsschleife eingespeist werden und der "Natur der Vereinheitlichung" entsprechen?!

 

 

 

 


Abb.32: Rückkoppelndes Regulierungssystem mit 3 Steuereinheiten

 

  Das Existenzgefühl ist also eine von (hier postulierten) 4 elementaren Grund-Perspektiven, über die das Gesamt-System (nicht speziell der Beobachter) verfügt. In unserem alltäglichen Erleben stellt die Grundperspektive des Existenzempfindens "nur" einen "Gesamtrahmen" des Wahrnehmens bereit. Ich erinnere noch einmal an das imaginäre Beispiel mit dem Indianer und den Großwildtieren, die wir unerwartet in unserem Büro vorfinden. Die Informationen, die durch die Existenzempfindung geliefert werden, entsprechen hierzu analog dem "Erschrecken", der "reflexiven Resonanz". Diese Perspektive sagt mir nur, dass ich selber existiere und dass es abgesehen von mir selbst noch andere Dinge gibt!

 

Abb.33: Die dem Existenzempfinden entsprechende Grund-Perspektive stellt "nur" den Gesamtrahmen des Erlebens bereit.

 

 

 

ZWEITE GRUND - PERSPEKTIVE: DIE WAHRNEHMUNG EINER SITUATION

Um mich herum gibt es eine Außenwelt. Sie betrifft im Grunde das ganze restliche Universum. Während ich mir bspw. eine Tasse Kaffee eingieße, passieren auch auf der Sonne, dem Mars oder dem Jupiter irgendwelche Dinge. Die haben mit mir und meiner Situation aber nichts zu tun. Im engeren Sinne bezeichnet die Äußere Gesamtsituation  jene Dinge und Vorgänge, die sich in meinem (theoretisch denkbaren und größtmöglichen) aktuellen Wahrnehmungsbereich befinden (oder die rein theoretisch und auf indirekte Weise mit mir wechselwirken könnten).

Abb.34: Die äußere Gesamtsituation beinhaltet alles, was sich innerhalb eines Augenblickes im Bereich meines Wahrnehmens und Erlebens befindet bzw. sich unter der Voraussetzung meiner (zielgerichteten) Aufmerksamkeit darin befinden würde oder könnte.

 

Ich selber wiederum verfüge über einen inneren Gesamtzustand oder eine innere Gesamtsituation (IGS), mit der ich mich innerhalb eines Augenblickes innerhalb einer aktuellen äußeren Gesamtsituation (ÄGS) befinde.

 
Abb.35: Das Erleben der äußeren Gesamtsituation erfolgt unter den Bedingungen einer inneren Gesamtsituation heraus.

 

Innerhalb meiner inneren Gesamtsituation (also dem Milieu meiner Gefühle, Stimmungen, Gedanken, etc.) befindet sich wiederum eine Repräsentation, eine Abbildung der äußeren Gesamtsituation. Sie spiegelt alle Inhalte der äußeren Gesamtsituation wieder, die ich aktuell wahrnehme oder derer ich mir bewusst bin.

Abb.36: Innerhalb der inneren Gesamtsituation befindet sich eine Repräsentation der äußeren Gesamtsituation.

 

 Meine innere Situation wird auf zweierlei Weise von außen beeinflusst: Zum Einen gibt es in der äußeren Gesamtsituation Sachverhalte, die mich direkt beeinflussen und zwar unabhängig davon, ob ich sie wahrnehme! Wenn jemand von hinten einen Stein auf mich wirft (und trifft), wird sich meine innere Gesamtsituation infolge der Konsequenzen, die mein Körper dadurch erleidet, verändern. Ich habe den Steinwerfer und sein Geschoß in diesem Fall nicht gesehen oder anderweitig wahrgenommen. Wenn ich hingegen sehe, dass jemand einen Stein auf mich werfen will, wird sich meine innere Gesamtsituation ebenfalls verändern. Diesmal nicht unmittelbar, sondern infolge einer Wahrnehmung die sich innerhalb der Repräsentation (des inneren Abbildes) der äußeren Gesamtsituation widerspiegelt. Das heißt: Sowohl die tatsächliche äußere Gesamtsituation als auch die Repräsentation der äußeren Gesamtsituation beeinflussen meine innere Gesamtsituation. Am Rande bemerkt enthält die Repräsentation der äußeren Gesamtsituation selbstverständlich auch Inhalte, die sich aus meinen inneren Wahrnehmungen und Vorstellungen heraus ergeben (eine Halluzination etwa würde ich der Außenwelt zurechnen, obwohl sie ursächlich aus meiner inneren Situation hervorgeht und nur in die Repräsentation der äußeren Gesamtwirklichkeit hineinprojiziert wird).

Inhalte des inneren Erlebens und der äußeren Situation können sich grundsätzlich parallel verändern, ohne das sich die Wahrnehmung derselben behindern würde. Ein Beispiel: Ich denke gerade an Einzelheiten meiner nächsten Urlaubsplanung. Gleichzeitig sehe ich (beiläufig im Vorübergehen), wie ein Baum im Stadtpark von Bauarbeitern umgesägt wird. Diese Wahrnehmungen können problemlos gleichzeitig ablaufen.

Würde der Baum plötzlich in meine Richtung fallen, würden wahrnehmungs- und kognitive Vorgänge die sich auf Inhalte des inneren Erlebens beziehen (in diesem Fall die Urlaubsplanung) abrupt unterbrochen und ich würde nur noch auf das Ereignis in der äußeren Situation reagieren (um im konkreten Fall zu verhindern, vom Baum getroffen zu werden).

Es hätte aber auch sein können, dass mich die Baumfällerei "einfach nur so" näher interessiert hätte, ich meine Gedanken an den Urlaub "zufällig" beendet oder zumindest unterbrochen und einfach nur den Arbeitern zugesehen hätte. Warum wurden in diesem Fall meine inneren Wahrnehmungs- und Erlebensprozesse von Inhalten der äußeren Gesamtsituation (genauer gesagt deren Repräsentation) verändert oder unterdrückt?

 Es gibt subtile und diskrete "Zeitfenster", innerhalb derer das Gehirn Ist-Zustände, sowohl der aktuellen repräsentierten äußeren als auch der (funktionalen) inneren Gesamtsituation, definiert (deren Inhalte und Strukturen). Dies geschieht nicht auf Grundlage inhaltlich-logischer Prinzipien, sondern infolge einer rein zeitlichen Taktung! Ein Beispiel: Ich befinde mich im Getümmel der Fußgängerzone einer Großstadt. Zahllose Einzelereignisse passieren unentwegt um mich herum und ich erkenne lauter kleine, zusammenhangslose (oder doch zusammenhängende?) Situationen. Eine Frau und ein Kind verlassen nebeneinander ein Kaufhaus - ich unterstelle spontan und vorbewusst eine Mutter-Tochter-Beziehung zwischen den Personen. Vor einem Geschäft stehen zwei Teenager dicht beieinander - ich vermute es handelt sich um ein Liebenspärchen, dass zum Kuss ansetzt. Diese spontanen Interpretationen können natürlich falsch sein. Hätte ich das kleine Mädchen und die Frau etwas länger beobachtet, hätte ich sehen können, dass sich ihre Wege trennen und sie nur zufällig ein paar Schritte nebeneinander hergelaufen sind. Ebenso gut kann der Teenager die Teenagerin nur nach dem Weg gefragt haben. Vielleicht waren sie auch gar nicht so jungendlich für wie ich sie unbewusst infolge der Frisuren, der Kleidung o.ä. erachtet habe! Hätte sich meine bewusste Aufmerksamkeit auf die Personen gerichtet, dann hätte ich mein Urteil wahrscheinlich auch zurückgehalten und erst nach weiteren Beobachtungen meine Schlussfolgerungen gezogen. Sie befanden sich aber im Bereich der Hintergrundwahrnehmungen und diese wiederum definiere nicht ich - der Beobachter, das tut mein Gehirn indem es Inhalte und Strukturen der äußeren und inneren Gesamtsituation festlegt (also entsprechende Zeitfenster öffnet und schließt). Wobei das Öffnen und Schließen der situations-generierenden Zeitfenster natürlich nicht  allein den Grad der Bewusstheit von Wahrnehmungsinhalten definiert. Dieser Prozess "entscheidet" auch darüber, ob mich zu einem bestimmten Zeitpunkt auch eine sehr bewusst wahrgenommene Sache überhaupt "zufällig" interessiert oder nicht interessiert! Kommen wir noch mal auf die Arbeiter zurück die gerade einen Baum fällen, während ich in meinen inneren Dialogen meinen nächsten Urlaub plane. Hätte ich einen Sekundenbruchteil vorher gesehen, dass ein Baum gefällt wird, hätte dieses Ereignis dazu geführt, dass ich nicht an meine Urlaubsplanung gedacht hätte, sondern mich (rein zufällig) für diese Situation interessiert hätte ("wie lange brauchen die wohl um den Baum umzusägen?")! Das hat nichts damit zu tun, dass die Fällung des Baumes einen Sekundenbruchteil früher für mich persönlich real eine andere Bedeutung gehabt hätte, sondern damit, dass in diesem Augenblick das Hirn sich in einem Perspektiven-Übergang befunden und gerade die innere und äußere Gesamtsituation neu definiert hat.

In folgender Abbildung sehen wir einen Überlagerungszustand zwischen der ersten Grundperspektive (Existenzempfindung) und der zweiten Grundperspektive (Situationsempfindung). Erstgenannte Perspektive erzeugt den "Gesamtrahmen des Erlebens", die zweite erzeugt Inhalte der äußeren und inneren Situation.

Abb.37: Die dem Situationsempfinden entsprechende Grund-Perspektive "befüllt" den Gesamtrahmen des Erlebens (generiert durch "Existenz-Perspektive") mit konkreten Inhalten (Objekte, Personen, etc.).

 

DRITTE GRUND-PERSPEKTIVE: DAS ERKENNEN EINES EREIGNISSES ODER EINER AUFGABE

Dem empfundenen Wissen um die eigene Existenz und dem Erkennen einer äußeren Gesamtsituation, die im Rahmen einer inneren Gesamtsituation erlebt und dort auch repräsentiert wird, fügt sich mit der Aktivierung dieser dritten Grund-Perspektive die Information um die Präsenz einer Aufgabenstellung hinzu.

Oftmals werden wir durch äußere Umstände oder andere Personen in konkrete Aufgaben- und Entscheidungssituationen gebracht. Wenn sich ein Auto mit hoher Geschwindigkeit dem Zebrastreifen nähert, den ich gerade überqueren will, muss ich meine Schrittfolge beschleunigen. Delegiert mein dienstlicher Vorgesetzter eine Aufgabe an mich weiter, muss ich zusehen, wie ich eine Lösung herbeiführe.

Auch aus spontanem, inneren Antrieb ergeben sich "Aufgaben". Mitunter kann ein spontaner, unbewusster Impuls mein Interesse an irgendwas binden woraufhin ich mich damit kognitiv auseinandersetze.

Sehr häufig aber haben wir auch gar keinen äußeren oder inneren Anstoß für eine bestimmte Aufgabe oder Entscheidung. Dennoch haben wir unablässig eine Empfindung dafür, was wir tun sollen- selbst wenn diese Empfindung uns zur Passivität anhalten sollte!

Die "Bedeutung" der uns umgebenden Wirklichkeit und konkreter Inhalte derselben hängt ungeheuer stark mit unserer Intentionalität oder unseren konkreten Motiven und Absichten zusammen! Wie komplex oder intensiv ich etwas wahrnehme, in welche Bezugssysteme und Kontexte ich die Sache gedanklich einordne usw. - alles steht mit meiner Intention (das entspricht im Minimalfall lediglich einer sich "zufällig" anhand einfacher und unbewusster Kriterien ergebenden Wertehierarchie) oder meinen bewussten, willentlichen Wertigkeitskategorien in Verbindung. Dass wir prinzipiell nicht über längere Zeiträume in einen völlig interessens- und motivationslosen Zustand geraten können, hängt mit der Tatsache unserer körperlichen Bedürfnisse zusammen! Ggf. definiert das Hirn auf unbewusster Ebene irgendwelche "Minimalkriterien" in Bezug auf Überlebensvorteile oder Lustgewinn der wahrgenommener Inhalte. In Abwesenheit einer komplexen, situationsbedingten "Aufgaben- oder Entscheidungssituation" werden sich meine Entscheidungsvorgänge im Minimalfall darauf beziehen, in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen etwa eine Toilette  aufzusuchen, in einen wärmeren Pullover zu schlüpfen, einen kleinen Imbiss einzunehmen oder das Fernsehprogramm zu lesen, um dem langweiligen Werktagsabend einigermaßen "lustvoll" zu begegnen. Allerdings muss niemand von uns wirklich warten bis er auf Klo muss, ehe sich irgendwelche Inhalte oder Phänomene seines inneren Erlebens verändern! Wer sich schon mal bewusst mit dem Vorsatz auf einen Stuhl gesetzt hat, auch nur 30 Sekunden lang an überhaupt rein gar nichts zu denken und überhaupt nichts bewusst wahrzunehmen, wird rasch bemerkt haben, dass unser Hirn ständig irgendwelche Inhalte auf unser geistiges Display schleudert! Unweigerlich auch solche, an die sich in einem zumindest entfernten Sinne an unsere Emotionen, unser Interesse oder irgendwelche trivialen Motive binden.

 

Ein Gedanken-Experiment:

 Ich stehe in einem Raum von der Größe eines gewöhnlichen Zimmers. Ich weiß, dass diesem Raum viele andere, in Bezug auf Größe und Architektur grundsätzlich identische Räume folgen, die jeweils durch eines schmalen Durchgang miteinander verbunden sind. In diesen Räumen befinden sich verschiedene Werkzeuge die im jeweils nachfolgendem Raum zur Lösung einer dortigen Aufgabe benutzt werden müssen. Es wechseln sich also immer ein Raum mit Werkzeugen und ein Raum mit einer zu lösenden Aufgabe ab. Erst nachdem ich eine Wahl getroffen habe, welche Werkzeuge ich in einem Raum mitnehme, darf ich den nächsten betreten und ebenso muss erst die bestehende Aufgabe eines Raumes gelöst (oder deren Unlösbarkeit akzeptiert) werden, ehe zum nachfolgendem Raum mit Werkzeugen fortgeschritten werden darf. Entscheidend ist, dass man immer nur in einem Raum Handlungen vornehmen kann und sich nicht zurückbewegen darf! Es gibt also keine neuen Versuche in vergangenen Situationen, sondern fortwährend nur neue Situationen!

Sagen wir mal vor mir lägen eine Schere, ein Hammer, ein Nagel und eine Zange. Wenn ich nun wüsste, dass im nächsten Raum ein Bild an der Wand befestigt oder aber ein Papierschiff gebastelt werden soll, dann wäre die Wahl einfach! Für den Fall das ich überhaupt keine Ahnung habe was kommt, wäre es besser, möglichst viele Werkzeuge mitzunehmen. Habe ich hingegen eine überaus konkrete Vermutung was mich erwartet, wäre es besser, nur ein einzelnes aber passendes Werkzeug mitzuführen.

 

Ein weiteres kleines Gedankenexperiment:

Stellen wir uns vor wir befänden uns in einem beruflichen Einstellungstest bei dem unsere Wahrnehmungsfähigkeit getestet werden soll. Wir sitzen vor einem Bildschirm auf dem fünf Minuten lang geometrische Figuren auftauchen und wieder verschwinden. Die erste Aufgabe lautet, die grünen Dreiecke zu zählen. Das ist recht einfach und ich kann die roten Kreise, gelben Quadrate und blauen Ellipsen die ebenfalls erscheinen, umgehend ignorieren. Bestünde die Aufgabe darin, sämtliche Formen nach Art und Anzahl zu benennen, sähe es anders aus. Die gleiche äußere Situation wird infolge einer komplexeren Aufgabenstellung viel anspruchsvoller und ich kann keine der einzelnen Wahrnehmungsinhalte einfach so ignorieren. Eine Steigerung bestünde in der Aufforderung, Regeln zu erkennen wonach bestimmte Objekte auftauchen. Vielleicht taucht immer dann ein grünes Dreieck auf nachdem ein gelbes Quadrat im oberen Rand des Bildschirms verschwindet, vielleicht wechseln sich die Formen auch einfach nur reihum ab, vielleicht aber ist die Regel viel komplizierter und ich muss über einen etwas längeren Zeitraum eine ganze Serie an einzelnen Ereignissen beobachten, im Gedächtnis behalten und analysieren. Ich könnte sogar die Ebene der Betrachtung wechseln und hinterfragen, ob es in Wirklichkeit gar keine Regel gibt und der Prüfer lediglich herausfinden will, wie lange ich mich verarschen lasse!

Während wir so durchs Leben gehen "sagt" uns unser Unterbewusstsein unentwegt, wie "wichtig" oder "unwichtig" manche Dinge sind, die wir wahrnehmen und wir greifen mit unseren kognitiven Apparaten ständig nach irgendwelchen Werkzeugen, lassen sie mal spontan, mal nach kürzerem oder längerem Nachdenken wieder fallen!

Dabei spielt es zum Einen eine Rolle, ob wir gerade über ein bewusstes und langfristiges Handlungskonzept verfügen (das Abitur in 2 Jahren bestehen zu wollen, ist ein dauerhaftes Meta-Konzept, das auch die Wertigkeit verschiedener Dinge justiert), oder aber nur eine sehr flüchtige und unbewusste Intention haben.

Aber woher "wissen" wir, was wir tun sollen, was uns erwartet und warum manche Dinge weniger und andere hingegen weitaus wichtiger (zumindest jedenfalls interessanter) sind??! Rein theoretisch könnte ich einen ganzen Tag, eine ganze Woche oder einen ganzen Monat darüber nachgrübeln, ob ich z.B. eine alte Zeitung wegwerfen oder sie über weitere Jahre hinweg aufbewahren soll!

Wenn ich mich als bewusster Beobachter mit irgendwelchen Dingen auseinandersetze, sie analysiere und Entscheidungen treffe, kann ich mich im Prinzip in jede X-beliebige Richtung fortbewegen, an verschiedenen Entscheidungspunkten beliebig lange verweilen, mal weiter und mal weniger weit vorausplanen und mal eine höhere oder geringere Anzahl an Fakten in die jeweiligen Denkanstrengungen mit einbeziehen (wie im Gedankenexperiment mit dem Einstellungstest, wo dieselbe äußere Situation nach unterschiedlichen Kriterien behandelt werden kann).

Die untere Abbildung soll die  "Entscheidungsfreiheit" darstellen: Ich kann mich auf bewusster Ebene von irgendeinem (mentalen) Standpunkt aus in irgendwelche Richtungen fortbewegen und mich - je nach belieben - auch wieder zum Ausgangspunk zurückbewegen.

Abb.38: Ich kann mich als Beobachter (kognitiv und natürlich auch in Form einer realen räumlichen Fortbewegung) in jegliche Richtungen bewegen und auch wieder zum Ausgangspunkt zurückkehren.

Das Gesamtsystem jenseits des Bewusstseins und des Beobachters aber liefert in regelmäßigen zeitlichen Intervallen den Impuls bzw. die Information, sich in in einer "Entscheidungssituation" zu befinden. Das System kennt in diesem Bezug nur zwei Zustände: Es kann "sich" als eine singuläre Einheit wahrnehmen, oder aber als eine Einheit in einer Entscheidungssituation. Ich erinnere nochmals an die aneinander gereihten Räume in denen sich abwechselnd Werkzeuge und zu lösende Aufgaben befinden. Das Gesamtsystem durchschreitet also in einer nach internen Gesetzen definierten zeitlichen Taktfolge diese Räume. Es gibt nur eine Bewegungsrichtung und keine Rückkehr zu einem Ausgangspunkt!

Abb.39: Das Gesamtsystem wechselt seine Zustände ständig zwischen den Polen "Einheit in Ruhe" oder "Einheit in einer Entscheidungssituation".

 

Wie kann aber innerhalb der Perspektive des Beobachters etwas völlig anderes passieren als innerhalb der tieferen Strukturen des Gesamtsystems? Meine realen Entscheidungsprozesse sind kompliziert, dauern verschieden lange, beziehen unterschiedlich viele Einzelinformationen und abzuwägende Kontexte mit ein! Ich kann ja einen Entscheidungsprozess nicht beenden, weil meine tiefen Systemfunktionen gerade auf "Keine Entscheidungs- Situation" umschalten!

Dies geschieht natürlich auch nicht. Wenn ich ein Auto auf 100 km/h beschleunige, benötige ich viel Energie. Ich muss Gas geben und der Motor hat eine vergleichsweise hohe Arbeitslast zu bewältigen. Um das Fahrzeug auf gerader Strecke auf 100 km/h Geschwindigkeit zu halten, bedarf es nur eines Bruchteiles an Energie bzw. an Motorleistung wie beim Beschleunigen! D.h. während mein Gesamtsystem gerade den Modus "Keine Entscheidungssituation" durchläuft, bleibe ich auf bewusster Ebene weiterhin an der aktuellen Aufgabenstellung haften. Ebenso wenig muss die Aktivierung des Systemmodus "Vorhandene Entscheidungssituation" spontan zur Beendigung eines aktuellen Gedankenprozesses und zur Wahrnehmung einer neuen Aufgabe führen! Statt dessen kann die  Relevanz der aktuellen Aufgabenstellung durch diesen Impuls bestätig werden. Das System "sagt" also: "Ich entscheide, dass an der vorliegenden Problemstellung weiterhin gearbeitet wird". Ebenso kann die Komplexität einer bewussten Aufgaben- und Entscheidungssituation erhöht werden. Das System "sagt" dann:" Ich entscheide, dass dieser oder jener Aspekt ebenfalls mit einbezogen und auf seine mögliche Bedeutung analysiert wird". Die im bewussten Erleben vorhandenen Inhalte müssen also mitnichten zwingend ersetzt werden! Sie können statt dessen auf verschiedene Art verändert, mitunter auch "verjüngt" werden.

 

DER WECHSEL AN GRUND-PERSPEKTIVEN FÜHRT OFTMALS ZU EINER (NEUEN) SKALIERUNG, DER WAHRNEHMUNGSBILDER, MITNICHTEN ZWINGEND ZUM WECHSEL AN INHALTEN!

 

"Verjüngung" bedeutet, dass mir eine Situation oder ein Ereignis zunehmend vertrauter erscheint und die Repräsentation derselben weniger Ressourcen des Wahrnehmungsapparates beansprucht. Auch treten die selbstbezüglichen Eigenschaften eines "verjüngten" Wahrnehmungsinhaltes stärker in Erscheinung, während sich der Kontext bzw. Kontrast zu seiner "Umwelt" (im Wahrnehmungsfeld) abschwächt.

 

Ein kleines Beispiel hierzu: Nachfolgendes Bild zeigt das Ereignis eines sich verändernden Objektes. Aus dessen Zentrum entstehen Zweige, die sich ständig um ein im 45Grad Winkel anschließendes Stückchen verlängern. Die Zahlen an jedem der einzelnen Zweige zeigen die Menge an Reaktionsschritten, innerhalb derer sie entstanden sind.

Abb. 40: Beobachtetes Ereignis

 

Im Zuge der "Verjüngung" definiert das Hirn andere Kriterien für die Komplexität von Inhalten. Im konkreten Beispiel orientiert es sich nicht mehr an einzelnen Strichen, sondern betrachtet jeweils zwei aneinander angewinkelte Striche als eine (größere) Einheit und als (neues) Maß für die Komplexität des Objektes.  Ferner verringert es die Tendenz von Wahrnehmungsinhalten, mit anderen Inhalten zu interagieren oder eine veränderte Wirkung auf den Beobachter auszuüben.

 

Abb.41: Links: "unvertrautes" Objekt.  Rechts: "verjüngtes" bzw. "vertrautes" Objekt.

 

Folgende Abbildung stellt die funktionale Überlagerung der ersten drei von den erwähnten vier Grund-Perspektiven dar. Die dritte Perspektive (Entscheidungsempfinden) lässt uns innerhalb des Gesamtwahrnehmungsfeldes (Existenzempfinden) und konkreter Inhalte (Situationsempfinden) eine eigene mentale Position und eine "Aufgabe" im weitesten Sinn erkennen.

Abb.42: Die dritte System-Grundperspektive lässt uns innerhalb einer wahrgenommenen Situation eine Entscheidungsaufforderung erkennen.

 

 

 

VIERTE GRUND-PERSPEKTIVE: DIE INTEGRATION EINER VORAUSGEGANGENEN ERLEBENS-SEQUENZ

Diese Grund-Perspektive des Gesamtsystems (nicht explizit des Beobachters) schließt eine Erlebens-Sequenz ab. Anschließend wird die erste Grund-Perspektive, nämlich jene des Existenz-Empfindens, wieder aktiviert. Natürlich hat mein Gesamt-Neural-System zwischenzeitlich nicht "vergessen" das es existiert. Das Existenzgefühl wird aber "upgedatet"! Neue körperliche Zustandsberichte ersetzen die vorherigen.

Bleiben wir aber erstmal bei dieser vierten Grundperspektive. Wie kann eine Erlebens-Sequenz "abgeschlossen" werden? Die einfachste Aussage wäre: Das Gehirn bestimmt, dass die betreffende Gesamtsituation jetzt Vergangenheit ist! Hierzu müssen aus einer zunächst koexistent bestehenden inneren und äußeren Gesamtsituation eine generelle (vollendete) Gesamtsituation gebildet werden, damit im nachfolgenden Aktivierungszyklus der anderen Grund-Perspektiven eine neue Ausdifferenzierung zwischen innerer und äußerer Gesamtsituation erfolgen kann.

Oder salopp gesagt: Die Zukunft kann erst auf der Ebene einer (vollendeten) Vergangenheit beginnen.

Es gibt noch eine andere Art von Vergangenheit, die "determinierte" ("vorherbestimmte" oder zumindest als solche empfundene) Zukunft. Darauf soll an anderer Stelle noch näher eingegangen werden.

Untere Abbildung veranschaulicht die Überlagerung sämtlicher 4 Grund-Perspektiven, über die das Gesamtsystem im Rahmen der hier geäußerten Hypothesen verfügen könnte:

 

Abb.43: Die vierte Grundperspektive ("Abschluss einer Erlebenssequenz") in blauer Farbe singularisiert sämtliche Inhalte und ermöglicht deren Integration innerhalb nachfolgender Erlebenssequenzen.

 

 

 DIE AKTIVITÄT DER UNIVERSALEN GRUND-PERSPEKTIVEN DES SYSTEMS NOCH EINMAL IM SCHNELLDURCHLAUF :

 

 

Die erste Grundperspektive beinhaltet das Existenzempfinden und generiert den äußeren Gesamtrahmen des Erlebens.
Der "Rahmen" steht für eine "banale" Trennung des fiktiven "ICH" vom "Rest der Welt" bzw. vom fiktiven "Hier und Jetzt" vom "vorher" und "nachher"


 Abb.44: Existenzempfindung

 

 Die zweite Perspektive beinhaltet das Situationsempfinden und erzeugt konkrete Inhalte. In ihr werden Objekte und (spontan) als zusammenhängend wahrgenommene Vorgänge dargestellt.


Abb.45: Situationserleben

 

 Die dritte Perspektive  induziert die Empfindung einer Aufgabenstellung  bzw. einer Entscheidungssituation und reguliert die "Intentionalität" des Beobachters. Für diese angenommene Grundperspektive gibt es sowohl einen "passiven" ("ich erlebe ein Ereignis" oder "ich befinde mich innerhalb einer sich verändernden Situation") als auch einen "aktiven" Modus ("ich bin in einer Entscheidungssituation"; "ich habe eine Aufgabe innerhalb der erlebten Situation").


Abb.46: Entscheidungsprozess

 

 Die vierte Perspektive (symbolisiert durch den äußeren, gelb markierten Rand) beendet eine Erlebenssequenz, indem sie alle bisherigen Inhalte in einer Gesamtsituation vereint. Aus einer gegenwärtigen ("aktiven", "veränderlichen") wird nun eine vergangene oder zumindest determinierte ("statische", "unveränderliche") Situation ("Vergangenheit" und "determinierte Zukunft" sind gewissermaßen dasselbe, wie noch gezeigt werden soll).


Abb.47: Integration, "Abschluss" einer "Erlebenssequenz"

 

 

Man möchte vielleicht einwenden, der hier angenommene Wechsel an verschiedenartigen Grundperspektiven - so er mit der Wirklichkeit übereinstimmen sollte - würde eine zu starke Determinierung unseres Erlebens bedeuten! Wie könnte sich mein Geist so scheinbar "frei" allen möglichen Inhalten zuwenden, wenn die inneren Erlebensprozesse von sehr kurzen, impulsartigen Zyklen vorangetrieben und durch deren Abfolge auch determiniert werden?!

Der ultimative Kritikpunkt ist aber jener: "Existenz", "Situation", "Ereignis" und "Integration" sind im Grunde ja "nur" universelle Zustandsformen aller existierenden Dinge! Alles Vorhandene existiert, es befindet sich in einer relativen raumzeitlichen Anordnung in Bezug zu anderen Dingen (Situation), es verändert sich oder interagiert mit anderen Dingen (Ereignis) und gelangt in einen neuen Zustand oder eine neue Situation (Integration). Man könnte darauf aufbauend sogar einwenden, ich hätte zwei der universellen Zustandsformen ausgelassen: nämlich Entstehung und Vernichtung. Letzter Punkt ist insofern zu vernachlässigen, als das Entstehen oder Vergehen von Dingen nur eine Unterform von "Integration" darstellt! Ob ein Mensch geboren wird, ein Auto vom Fließband oder eine Gerölllawine vom Berghang rollt: das "neue" Objekt wird in eine bereits bestehende Umgebung "integriert". Auch eine angenommene vollständige Vernichtung könnte als Integration des betreffenden Objekts in eine neuartige Situation gedeutet werden, nämlich als dieselbe Situation ohne das entsprechende Objekt.

Habe ich mit meinem Modell nur eine gemeinsame "Schnittmenge" an trivialen Eigenschaften explizit geistiger Vorgänge und Phänomene einerseits, sowie Objekten und Prozessen in der realen Welt andrerseits definiert?!

Nicht ganz! Die o.g. Grundperspektiven geben nicht vor, welche speziellen und konkreten Inhalte im Bereich meiner Wahrnehmung, meines Bewusstseins auftauchen dürfen und wie sie sich verhalten müssen! Sie definieren vielmehr den "äußersten" Gesamtrahmen des Kontextes zwischen wahrnehmendem/denkenden Subjekt und seiner realen und abstrakten Umgebung! Dem liegt vermutlich ein bio- bzw. neurologisch prä- organisiertes Symmetriestreben zugrunde!

Generierung, Wechsel und Veränderung von Wahrnehmungsräumen, deren Inhalten und der Intentionalität des Selbst müssen vom Gehirn unablässig parallel zueinander abgewickelt werden! Durch Skalierung und Taktung symmetrisiert das Gehirn verschiedenartige Inhalte auf Grundlage weitläufigster Ordnungskriterien (eben der besagten Grundperspektiven) und setzt sie in Bezug zueinander! Es handelt sich bei denselben also nicht um wahrgenommene Informationen, sondern um FUNKTIONEN! Ich nenne sie auch FUNKTIONSBILDER! Sie geben mir als Subjekt nicht vor, was ich (als nächstes) wahrnehmen werde, sondern WIE ich es wahrnehmen/erleben werde!

Und natürlich erlöschen Wahrnehmungsprozesse und deren Inhalte nicht vollständig beim Perspektivenwechsel!

Wir müssen auch wissen:
  Unser Gehirn benötig keine vollständigen Informationen um vollständige Inhalte zu generieren! Es ist ein sog. Fuzzy-System! D.h. es erzeugt aus angedeuteten Mustern aufgrund gespeicherten Wissens vollständige Inhalte.

 

In der Tat werden wir allerdings auch unentwegt sehr stark determiniert. Viele denkbaren Folge-Wahrnehmungen und Folge-Assoziationen einer gewissen, perspektivisch determinierten Erlebens-Situation können nicht eintreten. Allerdings führen jene Pfade die sich "zufällig" verwirklichen nicht in Sackgassen, sondern in anderweitige innere Erlebens-Situationen, die ihrerseits einen "Streukreis" an theoretisch denkbaren Folgezuständen und -inhalten aufweisen. Untere Abbildung zeigt 3 verschiedene Pfade, die sich von einem gemeinsamen Zentrum aus verzweigen (rot, blau und grün). Die kleinen Hügelchen an denen die Pfade vorbeiführen, können nur gesehen werden, wenn man den jeweiligen Pfad abschreitet. Die großen gelben Berge hingegen können von jeder räumlichen Position der dargestellten Landschaft aus gesehen werden. 

 


Abb.48: Möglichkeitspfade

- Es ist "Zufall", dass ich manche Dinge überhaupt bzw. in einer bestimmten (nämlich der realisierten) Form wahrnehme.

- Die Wahrnehmung universeller Wirklichkeitsinhalte, die Bildung zentraler Ordnungs- und Wertigkeitskategorien sowie das Erkennen einiger grundsätzlicher philosophischer Probleme hingegen ist Gewissheit, weil praktisch "alle Wege dorthin führen"! 

 

 

 

Kapitel III

 

"MORALISCHE PERSPEKTIVEN"

Die Abfolge der o.g. "Grundperspektiven des Systems" (nicht explizit des Subjets) gewährleisten also "Sinngehalt" und Dynamik jeglichen Selbst- und Wirklichkeitserlebens! Diesem Modell der rein "funktionalen"  Perspektiven möchte ich fortfolgend die Hypothese der "moralischen Perspektiven" hinzufügen:

 

DER ERWEITERTE MORAL-BEGRIFF

Ich erinnere an die zu Beginn erfolgte Gegenüberstellung zwischen einem "klassischen" und einem "erweiterten" Informationsbegriff! Analog hierzu möchte ich nun zwischen einem "klassischen" und einem "erweiterten" Begriff der Moral differenzieren:

Im klassischen Sinn hat Moral etwas mit Gewissen, Aufrichtigkeit, sozialverträglichem Verhalten, Verantwortungsgefühl, also summarisch mit der Ethik zu tun! Im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Begriff allenfalls auf das Gebiet der Motivation/Stimmung ausgedehnt, etwa im Sinne von: "die Moral der Truppe" sei gut oder schlecht. Ich denke aber, es gibt einen weitaus größeren Kontext!

Betrachten wir vorab den Begriff des sog. "Selbstwertgefühls" (nachfolgend als SWG bezeichnet). In jedem Augenblick meines (Er)lebens, habe ich eine empfundene Vorstellung über den "eigenen Wert". Zumeist handelt es sich um ein eher beiläufiges, die allgemeinen Körper(zustands)empfindungen ergänzendes Substrat, das ich nicht bewusst wahrnehme, so wie ich analog hierzu auch einen normalen Blutdruck, eine gesunde Verdauung und eine normale Atmung nicht bewusst registriere. In manchen Fällen kann das SWG aber als sehr penetrant und vordergründig erlebt werden! Wenn ich z.B. beleidigt werde oder einen schweren Fehler begehe (und mir dessen bewusst bin oder seitens anderer damit konfrontiert werde), spüre ich mein SWG so deutlich wie eine Magenverstimmung, einen extrem hohen Blutdruck, einen unregelmäßigen Herzschlag oder eine hyperventilierende Atmung.

Das SWG kann als eine ganzheitliche, geschlossene Einheit erlebt werden! Es gibt aber Situationen, in denen es sich aufdröselt und selektiv aus nur einem oder zwei von insgesamt drei denkbaren Gesamtfaktoren hervorgeht, die ich nachfolgend als "moralische Komponenten" bezeichne.

Was sind diese Komponenten?

Es sind:

AKZEPTANZ:

Akzeptanz bezeichnet den Grad, in dem ein Subjekt sich selbst auf einer Hass-Liebe-Skala wahrnimmt ("inneres Bezugssystem") bzw. den Grad, in dem ein Subjekt von seiner Umwelt gering geschätzt, gehasst oder hingegen anerkannt bzw. im positiven Extremfall "bewundert" oder "geliebt" wird (externes Bezugssystem).

Auf einer Skala für die Akzeptanz wäre Hass/Verachtung der negative Pol. Sie führt über einen neutralen Punkt "gewöhnlichen Respekts" über positive Zwischengrade (Anerkennung, Zuneigung) hin zum positiven Extremwert der Skala, an dem sich "Liebe" und "Bewunderung" befinden.

 

LEGITIMITÄT:

Legitimität bezeichnet den Grad, in dem sich ein Subjekt in allgemeiner Hinsicht (oder kontext- bzw. situationsabhängig) als zu existieren und zu handeln berechtigt fühlt. Die Motivation eines Menschen korrespondiert mit der Empfindung über die eigene "Legitimität". Auf bewusster Ebene bezeichnen wir die Entsprechung des Faktors Legitimität als "Selbstsicherheit" (den Gegenpol als Selbstzweifel)!

 

INTEGRITÄT:

Integrität bezeichnet die innere Neigung oder Bereitschaft, sich an ethische und gesetzliche Regeln zu halten! Das sog. "Gewissen" ist umso ausgeprägter, je stärker der Faktor Integrität in der (Selbst)wahrnehmung des Subjekts verankert ist! 

 

Abb. 49: "Sinnbild für Akzeptanz"

Abb.50: Sinnbild für "Legitimität"

Abb.51: Sinnbild für "Integrität"

AKZEPTANZ

"Ich fühle mich respektiert, anerkannt, geliebt"

 

LEGITIMITÄT

"Ich will es, kann es, schaffe es, mache es, bin dazu in der Lage...(und würde es ggf. auch tun, wenn es verboten wäre oder ich jemanden damit Schaden zufüge)"

 

 

INTEGRITÄT

"Mein Gewissen ist rein! Ich tue nichts Böses (selbst dann nicht, wenn mir keine Strafverfolgung droht)!"

 

 

Der Faktor "Legitimität" (also die gefühlte Berechtigung, zu existieren und zu handeln) ist derjenige, dessen Bedeutung im Sinne dieser Darstellungen am weitesten vom "klassischen" Moralbegriff abweicht! Es geht hier nämlich nicht um formale Berechtigung, sondern um Handlungsbefähigung schlechthin (ggf. auch außerhalb einer formalen oder ethischen Grundlage). Man könnte auch von Kapazität oder "Macht" sprechen. Jegliches menschliches Handeln vollzieht sich im polarisierten Spannungsfeld zwischen einem (tendenziell passiven) Sicherheits- und einem (tendenziell aktiven oder "aggressiven") Machtstreben. Auch Gesundheit und körperliche Robustheit können Kriterien dieser "Macht" oder dieser "Befähigung" sein. Hierzu ein anschauliches Beispiel: Mein Hausarzt entdeckt während einer Routineuntersuchung einen sehr stark fortgeschrittenen Tumor, der bereits stark gestreut und eine Vielzahl an Tochter-Metastasen gebildet hat. Die daraus abgeleitete Diagnose eines sicheren Todes binnen maximal drei Monaten entspricht (gefühlt und de Facto) einer "fehlenden Legitimation" weiterzuleben, auch wenn hier keine "offizielle Instanz" irgendein Verbot oder ein Urteil ausspricht! Oder ein weniger tragisches Beispiel: Ich bin auf die spontane Grillfeier eines Freundes eingeladen. Ich habe aber übelste Kopfschmerzen oder Brechdurchfall. Mangels einer hinlänglichen gesundheitlichen Verfassung bin ich nicht befähigt, also nicht "legitimiert", an dieser vergnüglichen Angelegenheit teilzunehmen.

Der Faktor "Legitimation" des Selbstwertgefühls (SWG) resultiert also (auch) aus den reinen Körperzustandsempfindungen (die wiederum u.a. vom Grad der persönlichen Gesundheit und Fitness abhängen) und hat nur zweitrangig mit formaler oder ethischer "Berechtigung" im Sinne der "klassischen Moral" zu tun!

Noch wichtiger ist: Der Legitimitäts-Faktor bildet eine latente "Kopplungsebene" zwischen Informationen, die rein "sachlicher" Natur sind, und solchen mit "moralischer" Qualität.

Also: Das Selbstwertgefühl (SWG) ist nicht nur ein rein soziales Gefühl, dass auf Kritik und Lob der Umwelt bzw. auf Erfolg oder Misserfolg der eigenen Handlungen anspricht, sondern darüber hinaus ein durchaus allgemeines (Körperzustands)gefühl! Das SWG "markiert" einen Gesamtkörperzustand mit einer gewissen "Wertigkeit". Diese schließt u.a. die subjektiv vermutete (gefühlte) Nähe oder Distanz  gegenüber Tod und Schmerz mit ein! Ebenso ist "Legitimation" weniger der Ausdruck formaler (rechtlicher oder ethischer) "Berechtigung", sondern steht für ein ganz allgemeines "Kompetenz-" oder "Machtgefühl" (auch) außerhalb rechtlicher und ethischer Maßstäbe. Macht wiederum bedeutet die Fähigkeit, die Umwelt den eigenen Bedürfnissen anzupassen!

 

DIE 4 STUFEN DER ICH- BEZOGENHEIT (INTENTION)

 

Was ist eine "sachliche" und was eine "moralische" Information? Ganz salopp gesagt: Eine moralische Information hat irgendetwas mit meinen Überlebensvorteilen oder meinem Lustgewinn zu tun (ist also für mich ein "Thema"- siehe ggf. Ausführungen in Kapitel VI auf der aktuellen Seite). Eine sachliche Information nicht.

 

Die STUFEN DER ICH-BEZOGENHEIT in aufsteigender Reihenfolge:

Diesbezüglich gibt es 4 Stufen: Repräsentation, Intention, Involation und Selbst-Identifikation!

Repräsentationen sind irgendwelche Wahrnehmungsinhalte, die mich im Grunde "nichts angehen". Selbst-identifizierte Informationen hingegen rechne ich sehr unmittelbar dem eigenen Ich zu (eigene Hand, eigenes Bein, eigener Körper, eigene Gedanken, eigene Gefühle,...). Intention und Involation liegen beide dazwischen und bezeichnen den Grad, in dem mich eine Information (un)mittelbar persönlich ("moralisch") betrifft!

 

Hierzu ein anschauliches Gedankenspiel:

Irgendwelche Häuser (z.B. in München, Augsburg, egal wo) die ich im Rahmen eines Spazierganges oder einer Straßenbahnfahrt sehe, sind Repräsentationen. Sie sind Teil der "sachlichen", "objektiven" Welt. Nun sehe ich ein Haus mit einem Vordach von exakt jener Bauweise, wie ich es selbst gerne an meinem eigenen Hauseingang anbringen will! Ich habe also dem beobachteten Haus gegenüber eine gewisse Intention. Es hat "abstrakt" etwas mit meinen Motiven oder Gefühlen zu tun. Nun höre ich in den Nachrichten, ein Gebäude in der Bahnhofstr. 17 in meinem Heimatort würde gerade völlig niederbrennen. Das könnte mir theoretisch egal sein, würde ich nicht selber in der Bahnhofstr. 15, also direkt daneben wohnen! Ein Großbrand im Nachbargebäude wird nicht völlig folgenlos für das eigene Haus bleiben! Ich bin in das Schicksal des Hauses Nur 15 "involviert", weil sich dessen Schicksal in einer nicht genau absehbaren Weise auf den Zustand meines eigenes Hauses (es könnte verrußen oder ebenfalls niederbrennen) und somit auf mein eigenes Wohlergehen auswirken kann. Nehmen wir nun an, mein eigenes Haus würde niederbrennen während ich mich gerade darin befinde. Ich bilde mit ihm gewissermaßen eine "Schicksalsgemeinschaft". Ich kann durch das brennende Treppenhaus nicht entkommen und einen Sprung aus dem Fenster nicht überleben. Für mein Weiterleben müsste ich meinen augenblicklichen Aufenthaltsort ändern, den wiederum die strukturellen Begebenheiten des Hauses und das darin wütende Feuer eingrenzen! Ebenso verhielte es sich, wenn ich in einem Auto säße, das im Augenblick von einem ungebremst auffahrenden 40-Tonner unter einen langsam vorausfahrenden Bundeswehr-Panzer geschoben wird! Ich und das Objekt, indem ich mich befinde, sind in diesen Beispielen insofern "ein Gebilde", als mein Überleben unmittelbar vom Zustand meines Körpers abhängt, dessen Zustand wiederum genauso unmittelbar vom Zustand des Objektes abhängt, in dem er sich gerade befindet! Die Objekte sind funktional, also aufgrund der besonderen Umstände, tatsächlich gewissermaßen gleichzusetzen mit "meinem Körper" bzw. meinem "ICH" (werden sie zerstört, bin ich ebenfalls vernichtet bzw. tot bzw. die Kräfte oder Ursachen, die in den Beispielen auf das Haus oder das Auto einwirken, betreffen mich in gleicher Weise)!

Man möchte wohl vermuten, es sei doch "völlig selbstverständlich", den eigenen Körper in seiner Gesamtheit dem Ich zuzuschreiben und etwas Abstraktes aus der Außenwelt hingegen keinesfalls dem Ich gleichzusetzen! Vorsicht! Das könnte ein Irrtum sein! Es gibt Patienten, die unter dem Gefühl leiden, ihr völlig gesunder Arm oder ihr völlig gesundes Bein sei ein Fremdkörper und die sich die Amputation geradezu herbeisehnen (oder in krassen Fällen mit der Kreissäge zur "Selbsthilfe" greifen!). Ferner gibt es ein relativ leicht durchführbares Experiment, dass einen "normalen" Probanden einigermaßen zuverlässig dazu verleitet, eine vor ihm auf dem Tisch liegende Gummihand für seine eigene zu halten!

Dass die "Grenzen" des ICH`s, insbesondere einzelner Subkomponenten (etwa des "sozialen ICH`s") mitnichten jederzeit klar festgelegt und auch nicht auf die reine Körperwahrnehmung beschränkt sein müssen, soll folgendes Gedankenexperiment verdeutlichen:

Versetzten wir uns in die Lage eines jungen, sagen wir mal 18-20 Jahre jungen Mannes, der in der Disko gerade seine Traumfrau kennen lernt und eifrig mit ihr flirtet. Nun kommt ein 160 cm großer, schlaksiger Unbekannter hinzu und beleidigt ihn in Gegenwart seiner Herzdame mit derben, obszönen Schimpfworten. Wie leicht oder schwer fällt es ihm darauf zu reagieren?! Ich postuliere, eine Reaktion könnte ihm ziemlich schwer fallen, weil sein Selbstbild, seine Eigenvorstellung über das eigene Ich in diesem Augenblick wahrscheinlich von dem vermuteten (simulierten) "externen" Fremdbild abhängt, dass die junge Frau in den nächsten Momenten über seine Person entwickeln könnte?! Die vorhandene oder nicht vorhandene Kompetenz zur Bewältigung einer unvertrauten oder unerfreulichen Situation, und die Art, wie andere diese vermutlich wahrnehmen, wird hier zum (abstrakten) Anteil des eigenen Selbstbildes. Die Situation ist psychologisch viel anspruchsvoller, als wenn sich der Konflikt nur zwischen ihm und dem Provokateur abspielen würde! Und jede beliebige Entscheidung birgt das Risiko einer "Disqualifikation", ob nun als Schläger, als Feigling oder als Unentschlossener!

 

Das Selbstwertgefühl (SWG) könnte man gewissermaßen als einen "Wie-Vektor" der "Ich`s" deuten!

In allen Lebenslagen und -augenblicken befinde ich mich mit einer bestimmten (gesamt-seelischen) Verfassung aus irgendeinem Zweck oder irgendeiner Ursache an irgendeinem Ort um dort irgend etwas (nicht) zu tun oder zu wollen!

Man könnte es auch so ausdrücken: in jedem Augenblick meines Lebens befinde ich mich in irgendeiner Situation, die man durch eine "Wie-Wo-Was-Koppelung" beschreiben könnte (wo ich bin, was ich dort will, mache oder jedenfalls erlebe und wie ich mich dabei fühle). Diesbezüglich kann ich ferner zwischen selbst- und fremdbestimmten Situationen unterscheiden: ich sitze z.B. in Augsburg in meinem Büro, weil mein Arbeitgeber meine Diensttätigkeit erwartet ("fremdbestimmte" Situation). Oder ich wandere in Oberstdorf auf das Nebelhorn, weil ich gerade dort Urlaub mache und Lust darauf verspüre ("selbstbestimmte" Situation). Als "Neutrum" könnte man noch die "zufällige Situation" einbringen - aber das ist eine Frage der Perspektive! Jeder "zufälligen" Situation geht eine selbst- oder fremdbestimmte Situation voraus.

Sofern in der gegebenen Situation eine "Handlungsaufforderung" (fremdbestimmte Situation) oder ein Handlungsbedürfnis bzw. Motiv (selbstbestimmte Situation) gegeben ist, hängt mein SWG ferner davon ab, wie klar (eindeutig, definiert) Handlungsaufforderung oder Handlungswille (Motiv) sind und ob ich mich dazu in der Lage fühle, die Handlung auszuführen oder das Bedürfnis zu befriedigen!

Ich kann mich am Rande bemerkt auch in einer vollkommen selbstbestimmten Situation ohne jeglichen Entscheidungs- oder Handlungsdruck negativ fühlen (dann entspricht die "Qualität" der erlebten Situation nicht jener bewussten oder der unbewussten Erwartungshaltung).

 

Die moralische Komponente LEGITIMITÄT (gefühlte Berechtigung, zu existieren und zu handeln) ist also, wie erwähnt, ein Durchgangstor über das "sachliche Informationen" in "moralische Informationen" umgewandelt werden. Ebenso korrespondiert diese moralische Komponente stärker und latenter mit dem Gesamtphänomen des SWG als die anderen beiden Faktoren (Akzeptanz und Integrität)!

 

 Das "System" (die neuronalen Gesamtvorgänge ausser- bzw. unterhalb der Selbst-Repräsentation) sind latent darum bemüht, "sachliche Informationen" (also "belanglose" Repräsentationen) zu "ver - moralisieren" um überhaupt erst ein auf Motiven und Bedürfnissen basierendes Selbst zu generieren! Das "SELBST" wiederum versucht seinerseits umgekehrt, latent eine größtmögliche Menge an "moralischen Informationen" (insbesondere jene auf der Stufe der Involviertheit) zu "ver - sachlichen", also in solche umzuwandeln, "die mich nichts (mehr) angehen", um die ich mich als Subjekt "nicht weiter kümmern" muss. Ich will ja schließlich nicht in einer unüberschaubaren Menge an Einzelinformationen und deren Kontexten "ertrinken"! Ein "gelöstes Problem" ist, salopp ausgedrückt, Gegenstand einer (gerade) "ver - sachlichten" Information!

 

 

Abschließende Aussagen über das Selbstwertgefühl (SWG)

Über die folgend skizzierte Aussagen kann man sich leicht seine eigenen Gedanken machen. Ich umreise sie nur kurz:

 

PERSÖNLICHE PRÄFERENZEN

Menschen unterscheiden sich zweifelsfrei bezüglich dessen, wie stark ihr individuelles SWG von den verschiedenen Komponenten stärker oder schwächer abhängt (unbeschadet der generell vordergründigen Bedeutung des Faktors Legitimität). Ein "Gewissensmensch" wird sich zwischenmenschlich eher sensibel und rücksichtsvoll verhalten, ein überwiegend vom Faktor "Legitimität" geprägter Mensch wird die Ellbogen ausfahren und auch mal den eigenen Vorteil auf Kosten anderer realisieren ("Faustrecht"), ein besonders stark an den Faktor "Akzeptanz" gekoppelter Mensch wird Harmonie begehren und emotional verstärkt vom Werturteil anderer abhängig sein....

 

POLARITÄT DER MORALISCHEN KOMPONENTEN DES SWG

Die Skala zwischen den Polen für die Faktoren "Akzeptanz" und "Integrität" stellt man sich m.E. besser mit einem sowohl negativen als auch positiven Zahlenbereich vor (mit einer neutralen Null in der Mitte), anstatt mit einem positiven Bereich mit den Werten Null bis Hundert (Prozent)! Haß ist schließlich nicht die "Minimalausprägung" von Liebe, sondern ihr Gegenteil. Ebenso sind Empathielosigkeit und Brutalität das Gegenteil von Integrität und nicht deren Minimal- oder nullwertige Auspräung!

Beim Faktor "Legitimität" ist eine Skala von Null (nicht vorhanden) bis Maximal (Größenwahn) hingegen plausibler, auch wenn man Resignation theoretisch als "Anti-Motivation" und somit als "Anti-Legitimitätsgefühl" deuten könnte! Allerdings ist der Faktor Legitimität auch das "Tor" für die Umwandlung von sachlichen in moralische Informationen (und umgekehrt). Ein "negativer" Skalenwert ist deshalb unstimmig.

 

Mitunter "spiegelt" der extrem niedrige oder hohe Skalenwert eines Faktors in den gegenteiligen Skalenbereich eines anderweitigen Faktors!

Die Möglichkeit einer solchen "Doppelpräsenz" zeigen uns folgende Überlegungen:

Ein "Heiliger" (dieser überspitzte Begriff soll hier einen Menschen skizzieren, dessen SWG sich sehr ausgeprägt oder fast ausschließlich aus dem Faktor "Integrität" ableitet) wird jeden respektieren und "lieben" (auch objektiv bösartige Mitmenschen). Er wird jeden Menschen pauschal entschuldigen und in Schutz nehmen. Eine "heilige" Ehefrau wird behaupten, sie sei auf der Kellertreppe gestürzt, anstatt den Fausthieb des betrunkenen Mannes wahrheitsgemäß als Ursache für ihre Gesichtsverletzung zu benennen! Die fatale Kurzformel hierzu: "Maximale Integrität = minimale Legitimität"! Wenn ich jedem dienstbar sein will, mich dem Wohlergehen einer jeden anderen Person verpflichtet fühle und das Böse im Mitmenschen nicht erkennen oder wahrhaben will, kann ich keine eigenen Ansprüche haben oder darf jedenfalls nicht zu ihnen stehen! 

Ein "maximal Legitimierter" (damit soll hier eine aggressive Person gemeint sein, die ggf. auch körperliche Gewalt ausübt und sich höchstens im Angesicht drohender Strafverfolgung und selbst dann nur zum Schein gesetzlich-ethischen Normen fügt) wird schwerlich ein Gespür eigener Verantwortung im Sinne von Schuld(anerkennung) und Sühne entwickeln! Er wird das Faustrecht bevorzugen, wo immer er es mit Schwächeren zu tun hat! Also kurz: "maximale Legitimität = minimale Integrität"

Jemand, der unbedingt akzeptiert (also geliebt) werden will, wird sich orientierungslos an X-beliebigen ("moralischen") Instanzen ausrichten! Er versucht zu beeindrucken, leistet vorauseilenden Gehorsam, vollbringt in Erfüllung der Erwartungshaltung Anderer vielleicht sogar sinnlose oder bösartige Handlungen (z.B. "Mutproben", in "den heiligen Krieg ziehen") um respektiert oder zumindest wahrgenommen zu werden. Auch hierzu gibt es eine fatale Kurzformel: Maximale Akzeptanz (soll hier heißen: maximales Bedürfnis nach Liebe) = verringerte Legitimität und verringerte Integrität!

 

 

SELEKTIVE ANSPRACHE DER MORALISCHEN KOMPONENTEN DES SWG DURCH DIE UMWELT

Wir unterscheiden uns sowohl darin, welche Faktoren des SWG jeweils stärker oder schwächer an der Ausprägung (und Schwankung) des SWG beteiligt sind, als auch darin, welche äußeren Situationen überhaupt (in welchem Maß) eine Resonanz innerhalb des SWG und seiner einzelnen Komponenten auslösen!

 

VORBEDINGTHEIT

Mitunter ist das Erreichen eines Mindest-Skalenwertes einer der Komponenten des SWG durch einen hinlänglich ausgeprägten Skalenwert einer anderweitigen Komponente vorbedingt! Folgende "Trinität" an Bedingtheit dürfte den meisten von uns aus der eigenen Kinderstube vertraut sein: wir mussten vermutlich "artig" bzw. "brav" (Integrität) sein, um der elterlichen Liebe (Akzeptanz) anteilig zu werden und uns dadurch im Kreis der engsten Bezugspersonen als legitimiert (lebens-, liebenswert und handlungsberechtigt) fühlen zu dürfen?!!

 

 

 

 KONFLIKTE

Vorab: in nachfolgenden Absätzen ist ausschließlich von inneren Konflikten des Subjekts ("wie soll ich mich verhalten?") bzw. des Bewusstseins (welche Perspektive soll es generieren?) die Rede, nicht von Konflikten im Sinne von aktiven Kampfhandlungen oder gar Kriegen!

 

Also: Was ist ein Problem und was ist ein Konflikt? Ich denke, es gibt einen gravierenden Unterschied (der zugegebenermaßen ein wenig künstlich wirkt) - ich halte diese Differenzierung aber dennoch für wichtig.

"Gewöhnliche Informationen" haben einen analogen Charakter, sie begegnen uns als "Einheiten". Objekte, Situationen, Ereignisse,.... Alles was wir sozusagen "nacheinander" erleben ist für uns mehr oder weniger eine "Einheit". Wenn wir uns an die entsprechenden Wahrnehmungen mit den betreffenden Inhalten "zurückerinnern", können wir sie i.d.R. auf einer Zeitachse anordnen, so wie man in der Mathematik Zahlen nach Größe auf einem Zahlenstrahl anordnet. Aber der wesentliche Punkt ist: Eine "gewöhnliche" Informationen befindet sich i.d.R nicht im Widerspruch zu einer anderen "gewöhnlichen" Information.

 

Sowohl ein Problem als auch ein Konflikt haben immer etwas mit Widersprüchlichkeit, Mehrdeutigkeit und/oder Unvollständigkeit (alles Aspekte von "Unlogik" im entfernten Sinn) zu tun! Ganz stark überspitzt ausgedrückt: Alles was wir "gleichzeitig" erleben, ist tendenziell ein Problem oder ein Konflikt (zumindest aber jedenfalls ein "Thema")! Das hört sich vielleicht nicht überzeugend an?! Bei einem Zoo-Besuch kann ich ja schließlich auch die Affen, deren Kletterbaum, deren Futter und einige andere Zoo-Besucher gleichzeitig wahrnehmen?! Das stimmt. Allerdings nehme ich alle diese Dinge, Tiere und Personen aus der Meta-Perspektive einer mehr oder weniger "geschlossenen", also einheitlichen Rahmensituation wahr! Ich weiß, wo ich gerade bin und was ich dort mache und sämtliche Einzelbeobachtungen sind Teil dieser übergeordneten Situation (eben des "Zoo-Besuches").

Mit "gleichzeitig" erleben meine ich nachfolgend aber Dinge, auf die sich die Ressourcen jener Mechanismen, die unsere geistigen Perspektiven erzeugen, verteilen müssen!

 

Bei einem klassischen Problem muss ich konkurrierende Vorstellungen und Bilder über mögliche Bedeutungen oder  Entwicklungsverläufe einer Angelegenheit erstellen und gegeneinander abwägen.

Probleme haben üblicherweise mit tendenziell "sachlichen" Informationen (Themen) zu tun, die sich auf irgendwelche Dinge der Außenwelt  beziehen.

Ich erinnere nochmals an die o.g. "Stufen der Intentionalität" (Identifikation, Involation, Intention, Repräsentation)

 

Ein Konflikt ist einem Problem grundsätzlich sehr ähnlich, nur dass die "problem"- respektive "konfliktbehaftete" Information viel direkter mit mir als Subjekt, mit meinen möglichen (Über)lebensvorteilen und meinem Lustgewinn zu tun hat!

Im Falle einer Konfliktsituation muss ich verschiedene künftige Modelle meiner eigenen Person und deren angenommener Zustände entwerfen, die sich in Abhängigkeit zu meinen Entscheidungen und Handlungsweisen ergeben könn(t)en.

Betrachten wir z.B. wieder den o.g. Zoobesuch, der zunächst völlig problem- und konfliktfrei war. Nun kollabiert etwa 15 Meter neben dem Affengehege ein Besucher. Offensichtlich erleidet er gerade einen Herzinfarkt. Es sind etwa 7 oder 8 Leute in der Nähe, einschließlich mir. Was soll ich tun? Ich könnte zum Eisbärengehege weitergehen und so tun, als hätte ich nichts gesehen! Schließlich bin ich nicht der einzige, der helfen könnte. Wenn sich aber alle anderen genauso verhalten, stirbt der Mann! Kann ich das vor meinem Gewissen rechtfertigen? Könnte ich vielleicht sogar von Dritten wegen unterlassener Hilfeleistung angezeigt werden? Wenn ich hingegen helfe und einen eklatanten Fehler mache (Beatmen, Herzdruckmassage- kann ich das überhaupt?)......?!

 

Ich habe es weiter oben bereits angesprochen: es gibt einen "systembedingten" Umwandlungsprozess von sachlichen in moralische Informationen. Dem gegenüber steht ein vom Selbst ausgehendes Bestreben, moralische in sachliche Informationen (zurück) zu verwandeln.

Am allerdeutlichsten geschieht dieser Umkehrprozess (Umwandlung von "moralischen" in "sachliche" Informationen) im Rahmen einer moralischen Konfliktbewältigung!

 

Die trivialste, wohl jedem von uns vertraute Form eines moralischen Konfliktes ist eine Gewissensfrage!

Es geht um eine "Rangfolgeentscheidung" zwischen einem persönlichen Vorteil und Sozialverträglichkeit!
Man könnte auch sagen es geht um Legitimation ("Macht") VS Integrität. Dies wäre etwa der Fall, wenn ich auf einer öffentlichen Parkbank eine Geldbörse mit sagen wir mal 500 Euro Bargeld finde. Nehme ich das Geld, habe ich mich nach dem Prinzip der Legitimation (=empfundene Berechtigung, zu existieren und zu handeln) verhalten!

Warum "Legitimation"? Hierauf gibt es zwei Antworten:

 Erstens: "Legitimation" steht hier im Sinne der bereits getroffenen Aussagen NICHT für formale oder ethische Berechtigung, sondern für das rein subjektive Berechtigungsgefühl zu einer Handlung! Ich habe mich hier also "legitimiert", "befähigt" gefühlt, mich "selbst ermächtigt". Die zweite Antwort: Bargeld erhöht meine künftige "Legitimation" im Sinne meines weiteren "Handlungspotenzials"! Kaufkraft korreliert mit den Handlungsspielräumen eines Menschen! Als Milliardär kann ich mir andere Häuser, Boote, Autos, Pferde, etc kaufen wie als Hatz IV -Bezieher!

Ich könnte die Geldbörse samt Inhalt natürlich im Fundbüro abgeben. In diesem Fall habe ich mir vielleicht Gedanken über den rechtmäßigen Eigentümer gemacht, mir dabei z.B. eine akut von Altersarmut betroffene 80 jährige Oma vorgestellt, die nun weinend vor ihrem unbelegten Brötchen sitzt und nicht weiß, wie sie den Monat ohne Geld durchstehen soll?! Nun habe ich nach dem Prinzip der Integrität oder salopp des Gewissens gehandelt! Nachdem ich die Geldbörse zum Fundbüro gebracht habe, fühlte ich mich als "Gewissensmensch" vermutlich ebenfalls "legitim(iert)" (mich gut zu fühlen und mir selber auf die Schulter zu klopfen). In diesem Fall war dem subjektiven Legitimationsgefühl das Prinzip der Integrität als Vorbedingung vorangestellt!

Ebenso häufige "direkte" moralische Konflikte (im engeren Sinn) begegnen uns in Entscheidungsfragen, in denen es gilt, zwischen (sicheren) kurzfristigen und (möglichen) langfristigen Vorteilen abzuwägen! Ich könnte mir z.B. jetzt im MC Donalds 5 Big Mac reinstopfen oder bewusst darauf verzichten und dabei hoffen, bis Juni die richtige Badehosen-Figur zu haben!

 

KRITIK: EIN MORALISCHER KONFLIKT IM DIREKTEN ZWISCHENMENSCHLICHEN KONTEXT

Ein moralischer Konflikt tritt dann auf, wenn ein Mensch oder ein Ereignis entweder mein Selbstwertgefühl (SWG) insgesamt oder eine der möglichen moralischen Komponenten meines Selbst(wert)empfindens (Legitimität, Akzeptanz oder Integrität) angreift.

In diesem Abschnitt betrachte ich ausschließlich Konflikte, die sich tatsächlich zwischen Menschen ereignen und auch von Menschen verursacht werden.

Ein Konflikt besteht zwingend aus drei Grundvariablen: Ein kritisiertes Subjekt, eine die Kritik ausübende (moralische) Instanz und eine kritisierte Tat oder Eigenschaft!

Eine Kritik (ob von außen oder von innen) kann, wie gesagt, das SWG insgesamt oder dessen einzelne Faktoren angreifen.

Beispiele:

Jemand beleidigt mich: Dies betrifft die "Akzeptanz". Er sagt damit: "Ich liebe/respektiere Dich nicht!"

Jemand klaut mein Handy oder schlägt mich nieder: Natürlich handelt es sich hierbei um Diebstahl und Körperverletzung, aber eben auch um Kritik, die sich auf meine Legitimität bezieht! Die dahinter stehende Einstellung (des Täters) lautet: "Ich erkenne Deine Legitimität (Recht) auf Eigentum und körperliche Unversehrtheit nicht an!"

Wer mich mit einem Schuldvorwurf konfrontiert, greift mich auf der Ebene der Integrität an! Die Aussage: "Du bist ein Lügner!" soll heißen: "Ich bezichtige Dich, ethischen Werten nicht zu entsprechen!"

Ein Kritiker kann am Rande bemerkt für sich selber, für eine Dritte Person (ein Opfer) oder für ein (abstraktes) Wertesystem sprechen! Wenn ich jemanden zusammenscheiße, der mit dem Fahrrad auf dem Fußgängerweg rast, spreche ich für die Straßenverkehrsordnung und die Fußgänger!

 

SCHAM- DAS WAHRSCHEINLICH BEDEUTSAMSTE MORALISCHE (UND SOZIALE!) GEFÜHL

Wie merke ich überhaupt, dass ich von einem moralischen Konflikt betroffen bin?

Ich merke es in dem Augenblick, indem ich Scham empfinde.

Diesbezüglich gibt es drei Varianten:

 

OPFERSCHAM

Opferscham empfinde ich, wenn ich mit der eigenen Hilflosigkeit oder Inkompetenz konfrontiert werde! Beleidigt, geschlagen oder bloßgestellt zu werden, schulischen oder beruflichen Ansprüchen (trotz vorhandenem Leistungswillen und Bemühungen) nicht entsprechen zu können, erzeugt Opferscham (ich bin "Opfer" von Menschen, Umständen oder sogar der eigenen Defizite). Diese untergräbt das Vertrauen in die eigene Legitimität (der "Berechtigung", zu leben und zu handeln)

 

TÄTERSCHAM

Täterscham empfinde ich, wenn ich mit einer ethischen Schuld konfrontiert werde! Jemanden (z.B im Straßenverkehr oder während eines Alkoholrausches) schwer verletzt oder getötet zu haben, erzeugt Täterscham. Diese untergräbt das Vertrauen in die eigene Integrität (als moralisches Wesen funktionstüchtig bzw. als solches anerkannt und respektiert zu sein).

 

SEXUELLE SCHAM

ist eine facettenreiche Sonderform, die sowohl mit Täter- als auch mit Opferscham korrelieren kann.

 

Der Differenzierung zwischen Täter- und Opferscham könnte man mit einem Einwand begegnen: Ein "authentischer" Täter, also ein Mensch, der aus echter Gewissenlosigkeit oder Verblendung handelt, dem im Wesentlichen Empathie- und Schuldgefühle, Charakter, Moral und Gewissen weitgehend fremd sind, wird sich für seine Tat wahrscheinlich nicht schämen. Dieser Einwand ist mitnichten hinfällig. Dennoch können wir zwischen dem Schamgefühl, dass aus Hilflosigkeit oder Inkompetenz hervorgeht und jenem, dass aus einem explizit ethischen Versagen hervorgeht (Schuldgefühl), sehr klar unterscheiden. Vergleichen wir zur Bestätigung dieser Aussage in einem kleinen Gedankenexperiment zwei verschiedene Szenarien miteinander: Fall 1: Ich komme aus dem Supermarkt, steige in mein Auto, parke rückwärts aus und überfahre dabei ein 3 jähriges Kind. Ich steige aus, sehe mit Entsetzen den leblosen Körper unter meinem PKW und stehe einer nervlich kollabierenden Mutter (nebst einer Reihe entsetzt und vorwurfsvoll blickender Augenzeugen) gegenüber. Fall 2: Ich komme aus dem Supermarkt, eine Gruppe herumlungernder, angetrunkener Halbstarker pöbelt mich an, prügelt mich zu Boden, überschüttet mich mit dem Inhalt von Bierdosen und filmt alles per handy für ein Youtube- Video. Wir sehen: beide Situationen wären für den Betroffenen in einer durchaus klar unterscheidbaren Weise extrem beschämend! Der "normale" Mensch (weniger der ausgesprochene Schwerverbrecher oder Gewalttäter) ist grundsätzlich für beide Varianten der Beschämung oder des Schamgefühls anfällig.

 

 

 

BEOBACHTUNGEN AM PHÄNOMENALEN SELBST IM ZUGE DER KONFLIKTBEWÄLTIGUNG

Die Besonderheit im Erleben moralischer Konflikte besteht m.E. darin, dass wir hierbei unser "phänomenales Selbst", also unser im Alltagserleben "profilloses", "bildloses", rein qualitativ erlebbares Selbst deutlicher spüren, ohne dabei zwingend ein Selbstmodell, also eine vorgestellte Repräsentation des Ich`s zu erzeugen!

Was geschieht im Augenblick der Konfrontation mit einem moralischen Konflikt?

Zunächst mal verändert sich in dem Augenblick, in dem wir persönlich oder ein von uns favorisiertes Wertesystem angegriffen (beschämt, verunglimpft) werden, unser Selbstwertgefühl! Vormals ist es dezent wie die Atemluft, die wir im allgemeinen nicht bewusst registrieren. Nun aber wird es irgendwie "substanziell", so als bewege man sich durch zähe Flüssigkeit, welche die eigenen Bewegungen hemmt.

Im nächsten Moment konkretisiert sich das Gefühl um die Ebene, in der wir "angegriffen" (kritisiert) wurden: Etwa im Bereich des Faktors "Legitimität"  ("Das darfst Du nicht / kannst Du nicht,.."), der "Akzeptanz" ("Du bist langweilig, lächerlich! Verschwinde!") oder der Integrität ("Du bist gemein, böse, Du bist daran schuld!") Das vormals als dreieinige Gesamtheit fungierende Selbstwertgefühl scheint nun selektiv das Etikett einer dieser moralischen Grundkomponenten zu tragen!

Nun erst kommt meine Reaktion! Vielleicht entwerfe ich ab jetzt sogar in der Tat ein "Selbstmodell", um mich selber von einer Außenperspektive heraus innerhalb einer vorgestellten Situation wahrnehmen zu können. Ich kann fliehen oder angreifen (beschämt sein oder dem Kritiker argumentativ entgegentreten)!

Der Angreifer, also der "Kritiker", der mich beschämen oder einschränken will, bestimmt das Spielfeld (also eine der moralischen Ebenen), auf der das Spiel eröffnet wird. Ich habe als "Kritisierter" (als jemand, an den der moralische Konflikt herangetragen wird) nun die Möglichkeit, mich innerhalb desselben Feldes zu verteidigen, oder ich wechsle das Spielfeld!

Ein Beispiel: Ich gehe durch die Münchner Fußgängerzone, ein volltrunkener Obdachloser mit penetrantem Körpergeruch tritt an mich heran und sagt mit fester Stimme: "Ich liebe Dich nicht!" In dieser Situation wird es mir sehr leicht fallen, die Ebene der Akzeptanz ("Anerkennung" oder "Liebe") zu verlassen und mich in die Ebene der "Legitimität" zurückzuziehen, indem ich für mich feststelle: "das ist mir völlig gleichgültig, ob der mich liebt!" Ich bin befähigt ("legitimiert") seiner Liebe zu entbehren (weil ich ihm infolge meiner ganzheitlichen Lebenssituation "überlegen" bin), meinem Selbstwertgefühl wird dies nicht abträglich sein!

Würde meine eigene Mutter diese Aussage treffen, sähe es wahrscheinlich anders aus! Ich würde in der Ebene der Akzeptanz bleiben und versuchen, ein Argument zur Erwiderung oder Revision dieser für mich belastenden Aussage zu definieren!

Die Sachlage verhält sich ein wenig wie beim Tischtennis: das Spiel erfolgt auf der Platte, die Spieler agieren aber von außerhalb der Platte, sie bewegen sich um das Spielfeld herum! In manchen Fällen hingegen beugen sie sich vielleicht auch ganz dicht über die Platte, legen sich beinahe auf sie, um mit dem Schläger ganz nah an das Netz in der Mitte ranzukommen!

 

Ich denke, es gibt hierbei einen sehr interessanten Aspekt: Wie erwähnt, weist jede Konfliktsituation drei Grundvariablen auf: einen Kritiker (oder Rügenden), einen Kritisierten (oder Gerügten) und eine die Kritik auslösende Tat oder Eigenschaft. Nur in diesem "Dreiecks- Spannungsfeld" kann ein Konflikt funktionieren! Fällt eine davon weg (etwa die kritisierte Tat oder Eigenschaft- wenn sie der Kritisierte abstellt oder sich entschuldigt), löst sich der Konflikt auf!

Ist nun aber eine dieser Variablen unzulänglich ausgeprägt, "diffundieren" deren potentielle Merkmale und Eigenschaften in den Bereich der anderen Variablen hinein!

Die schwierigsten Konflikte sind jene, in denen irgendeine dieser Variablen nicht klar definiert ist. Nicht zu wissen, was man falsch gemacht hat (haben soll), wer der oder die Kritiker ist bzw. sind oder warum sie eine bestimmte Sache (die nicht zwingend kritikwürdig ist?) rügen, erzeugt ein sehr hohes Maß an Unsicherheit und eine Vielzahl diffuser, kaum zu bändigender innerer Bilder und Vorstellungen!

 

 

 

BEWÄLTIGUNG UND AUFLÖSUNG EINES KONFLIKTES

Um einen Konflikt zu bewältigen genügt es im Prinzip, eine der Variablen aufzulösen! Der Rest verhält sich dann wie fallende Dominosteine.

Eine Kritik entspricht einem "Argument" das sich wahlweise gegen meine Integrität (moralischer Vorwurf), Akzeptanz (Entzug von Anerkennung) oder Legitimität (Einschränkung meiner Rechte und Freiheiten) richten kann.

Meine Reaktion (Ignoranz, Flucht oder Angriff) stützt sich ebenfalls auf Argumente. Wie oben angesprochen, kann das "Gefecht" innerhalb der vom Angreifer gewählten, oder einer anderweitigen Ebene erfolgen. Ich versuche als Kritisierter ein "gleichartiges" Gegenargument innerhalb derselben Ebene oder ein "alternatives" aber äquivalentes Gegenargument aus einer anderen Ebene einzubringen. Bezeichnend für die Konfliktbewältigung ist ein intensiver und vielfacher Wechsel an inneren Perspektiven mit dem Ziel, entlastende oder relativierende Informationen/Bilder zu generieren.

Tatsache ist allerdings: wir alle erleben Konflikte, die eigentlich nicht wirklich gelöst werden können! Manchmal macht dies auch schlichtweg keinen Sinn! Wenn mich jemand mit einem absurden Vorwurf konfrontiert, ist es besser ihn als Person mitsamt seiner Aussage "liegen" zu lassen, als sich zu verteidigen (was eher die Phantasie des Angreifers anregen, als seine Einstellung ändern würde)!

Wie aber beenden wir einen Konflikt, der auf rein moralischer Ebene "unlösbar" ist, weil er nicht entschärft oder nicht von den ihm anhaftenden Missverständnissen isoliert werden kann?

Ich denke, ein solcher Konflikt wird, sofern er nicht als Trauma oder Verbitterung dauerhaft das weitere Leben belastet (es gibt seelische Verletzungen die außerordentlich tief greifend sind), "versachlicht"!

 

"Konflikt- Dreisatz":

 

Betrachten wir, wie sich die schädigende, verletzende Wirkung eines schweren Konfliktes, also einer schweren zugefügten Kritik, i.d.R. über die Zeit hinweg reduziert.

 

1. "Alles ist Konflikt"

Wenn ich mich wirklich sehr stark von einer Kritik betroffen fühle und beschämt bin, scheint es zunächst so, als wäre die ganze Welt, das ganze Universum darin involviert! Alle Wahrnehmungen und Eindrücke verblassen und versinken gemeinsam in ein frustriertes, enttäuschtes, verletztes, vielleicht auch wütendes "Einheitsding". Es scheint, als wisse und urteile alle Welt über die Angelegenheit.

 

2. Es gibt parallele Ereignisse

Die o.g. inneren Perspektivenwechsel erzeugen entweder "Gegenargumente", die mich entlasten, oder der Prozess der Perspektivenwechsel verliert nach und nach an Energie und erzeugt dadurch eine erleichternde, relativierende Wirkung (auch wenn an der Konflikt-/Kritiksituation an sich "nichts zu machen" sein sollte). Irgendwann scheint es so, als wäre die Welt eben nicht einzig und allein darauf ausgerichtet, mich und meinen Konflikt zu bewerten und zu beurteilen. Ich stelle fest: es gibt anderweitige (wichtigere, größere) Ereignisse, um "die sich die Welt dreht".

 

3. Der (mein) Konflikt ist ein "untergeordnetes Ereignis" im Weltgeschehen

Ob gelöst oder nicht: an diesem Punkt haben sich meine negativen Gefühle und Schlussfolgerungen relativiert. Ich neige zunehmend dazu, mir selbst (und ggf. dem Kritiker) zu vergeben oder den Konflikt insgesamt innerhalb eines größeren, unpersönlicheren Gesamtkontextes einzuordnen bzw. sogar zu ignorieren.

Die "Beendigung" eines Konfliktes entspricht einer "Ver-sachlichung" der ihn betreffenden Informationen, zumindest aber (zunächst)eine Ver-Thematisierung (in rückläufiger Entwicklung)!*

*)= bezugnehmend auf die vorgeschlagene "Staffelung" von Informationen, die an dieser Stelle noch etwas ergänzt werden soll:

A Repräsentationen:
 
"sachliche", "unwichtige", "unrelevante" Informationen

B) Themen:
 
Informationen, mit denen wir uns infolge ihrer positiven oder negativen Resonanz auf unseren Überlebensvorteil oder Lustgewinn gedanklich-kognitiv auseinandersetzen

C)  Probleme:
die negative Variante von Themen, also Informationen, die entweder unerfreulich oder (wegen Unvollständigkeit, Widersprüchlichkeit oder Mehrdeutigkeit) unlogisch sind

D) Konflikte:
Besondere Form von Problemen, die sich nicht oder weniger auf Inhalte der Außenwelt, sondern auf uns selber oder zumindest jedenfalls auf eine in der Ebene der Intention höher gestellte Information bezieht

E) Krisen:
dauerhafte, schwere Konflikte

F) Traumata:
sehr schwere Krise, die das Subjekt aus eigenem Vermögen u.U. nicht oder nur im Zuge eines sehr langwierigen Prozesses verarbeiten kann.

 

 

 

Kapitel IV

 

KAPITEL IV: SITUATIONEN UND EREIGNISSE;  INNEN- UND AUSSENPERSPEKTIVE

 

Die einfachsten Dinge, die wir wahrnehmen können, sind banale physikalische Objekte. Ein Objekt erkenne ich als Solches durch seine Begrenzung! Es hat eine Form bzw. Gestalt, auf jeden Fall aber eine/n Umfang/ Begrenzung.

Auch unter einer "Situation" oder einem "Ereignis" vermag man sich zunächst eine einfache Vorstellung zu bilden.

 

Situation:

Einfach(s)te Definition:

 Eine Situation beschreibt grundsätzlich die gleichzeitige räumliche oder abstrakte Anordnung oder "Beziehung" zwischen mehreren Objekten oder "Dingen". Wesentlich ist also die Abgrenzung von der allgemeinen Umwelt oder anderweitigen Situationen. Eine Situation kann tatsächlich (physikalisch) oder auch nur bedingt durch die Wahrnehmung (scheinbar) von anderweitigen Situationen, Dingen oder der Umwelt abgegrenzt sein.

Bemühen wir die einfache Geometrie: ich habe also i.d.R. "mehrere" (mind.2), in einer Fläche (z.B. einem Rechteck oder Quadrat) einbeschriebene  "Objekte" (z.B. Symbole) die in einer Beziehung zueinander stehen. Im einfachsten Fall ist diese Beziehung durch deren räumliche Anordnung (Abstand und Richtung) zueinander gegeben.

Wo immer ich mehrere "Dinge" im weitesten Sinn innerhalb eines mehr oder weniger begrenzten raumzeitlichen Bereichs gleichzeitig wahrnehme, liegt eine Situation vor. Eine Situation kann sich aber auch auf ein einzelnes Objekt beziehen.

In diesem Fall geht es nicht um die "Beziehung(en)", sondern um den "Zustand" des Objektes innerhalb eines (abstrakten) Wertesystems ("Die Blume ist schön!") oder die Lokalisation innerhalb einer allgemeinen, ggf. unspezifischen Umgebung ("Der Baum steht im Wald"!).

 

Ereignis:

Einfach(s)te Definition:

 

Ein Ereignis beschreibt grundsätzlich das Verhalten, die Reaktion oder die Wechselwirkung zwischen mehreren (mind. 2) Objekten innerhalb eines begrenzten raumzeitlichen Bereichs.

Allerdings kann sich auch ein Ereignis auf ein Einzelobjekt beziehen. Dann geht es nicht um die Reaktion zwischen zwei (oder mehreren) Objekten, sondern um die Entwicklung oder Veränderung dieses Einzelobjektes. Ich könnte z.B. das Wachstum eines Baumes, beginnend vom Samen, bis hin zur stämmigen Eiche, betrachten.

Ich könnte diese Veränderung (also den Wachstumsprozess) auch als eine Art Beziehung oder "Bewegung" zwischen zwei Objekten auffassen! Ich betrachte den Samen als Anfangs- oder Ausgangszustand, den ausgewachsenen Baum als (definierten) Endzustand. Oder ich betrachte die "Wahrscheinlichkeitslandschaft" möglicher künftiger Entwicklungsverläufe (Brennholz, Möbelstück) als einen Fächer an möglichen "Endzuständen". Es geht hier also um die Veränderung oder Entwicklung (auch interpretierbar als "Bewegung") von einem Ausgangs- zu einem Endzustand (oder zu einem "Wahrscheinlichkeitsfächer" an denkbaren künftigen Zuständen).

Ferner kann ein Ereignis nicht nur die Wechselwirkungen zwischen mehreren ko- existenten oder die Entwicklung eines einzelnen Objektes, sondern fernerhin die Veränderung einer kompletten Situation an sich beschreiben. In diesem Fall ändert sich also der Rand, die für die Bildung einer Situation verantwortliche Abgrenzung eines Bereiches, innerhalb dem sich mehrere Objekte gleichzeitig befinden.

 

Vorläufiges Fazit:

Eine Situation beschreibt die "Beziehung" mehrerer Objekte oder den "Zustand" eines Einzelobjektes innerhalb eines real (physikalisch) oder nur innerhalb der Wahrnehmung abgegrenzten Bereiches.

Ein Ereignis beschreibt das "Verhalten" mehrere Objekte oder die "Entwicklung" bzw. "Veränderung" eines Einzelobjektes innerhalb eines raumzeitlich abgegrenzten Bereiches (fernerhin auch. die "Veränderung" einer gesamten Situation, also des "Rahmens", an sich).

Eine weitere mögliche Aussage: Eine Situation bezeichnet das Ereignispotential, ein Ereignis das tatsächlich realisierte Verhalten. Oder: Eine Situation beschreibt die Beziehung(en) zwischen Objekten, ein Ereignis den realen Vollzug dieser Beziehung(en).

 

Diese Definitionen sind allerdings nicht sehr belastbar, insofern ich Statik (also die reine Anordnung) und Dynamik (die tatsächliche Reaktion oder Veränderung) sehr eng als Definitions-und Unterscheidungskriterium zwischen den Begriffen "Situation" und "Ereignis" auffasse. Ich werde in der Natur keinen vollendeten Stillstand und zumindest nur seltene Fälle steter Dynamik vorfinden, ebenso wenig raumzeitliche Bereiche, die tatsächlich rigoros von anderen abgetrennt sind! Ist etwa ein Fußballspiel eine Situation (weil Zweck, Anlass, Dauer und Ziel, ergo der "Rahmen" vorgegeben sind) oder ein Ereignis (weil sich Spieler und Ball bewegen)?

 

Eine vorläufige Ergänzung:

Einigen wir uns auf folgende Aussagen: Innerhalb einer gegebenen Situation ist die Statik (die reine Anordnung, die Beziehung der Objekte und das Ereignispotential) relativ stärker ausgeprägt, innerhalb eines Ereignisses hingegen die dynamischen Vorgänge (die Veränderungen, Bewegungen, der tatsächliche Vollzug bzw. die Realisierung von Beziehungen).

Noch eindeutiger ist folgende Ergänzung:

Eine Situation ist grundsätzlich "vom Rand her" vorgegeben. Etwa eine Geburtstagsfeier oder ein Fußballspiel: Aus bereits gegebenen Anlass bzw. unter vorgegebenen Bedingungen interagieren Personen und Objekte auf bestimmte Weise miteinander. Der ganze Entwicklungsverlauf ist grundsätzlich absehbar. Die Entwicklung läuft auf ein finales, in seiner Art vom Beginn an "innerhalb des Rahmens" feststehendes (End)ergebnis zu.

 

Abb.52: Eine Situation verfügt über einen tendenziell "stabilen Rahmen" und eine tendenziell "nach innen" gerichtete Entwicklung

 

Ein Ereignis hingegen beginnt von einem Zentrum ausgehend und entwickelt sich "nach außen"! Betrachten wir etwa eine Massenschlägerei vor einer Diskothek. Menge und Art der Folgeereignisse (und -situationen) sind zunächst nicht absehbar (Verletzte, Tote, Sachbeschädigungen, Gerichtsverhandlungen,...) Es gibt eine ganze Reihe, darunter auch keinesfalls absehbare Folgeereignisse (oder eine "Wahrscheinlichkeitslandschaft" an solchen).

Abb.53: Ein Ereignis beginnt von einem "zentralen Auslöser" und hat "nach außen" gerichtete Entwicklungspfade

 

Viele Vorkommnisse in unserer Umwelt, allerdings auch innerhalb unserer geistigen Wahrnehmungslandschaft, vereinen in sich auch unzweifelhaft statische und dynamische, "nach innen" und "nach außen" gerichtete Entwicklungspfade.

Denken wir an eine Geburtstagsparty, die aufgrund des Erscheinens einer Gruppe an unerwünschten Gästen in eine Schlägerei ausartet! Zum Einen entwickelt sich die Veranstaltung "nach innen"  auf das "Ende der Party" zu, gleichzeitig entwickelt sich die ganze Sache nun in einer oben angesprochenen, undifferenzierten Weise "nach außen".

 

Die Vorstellung eines Situationsereignisses bzw. einer Ereignissituation ist also durchaus plausibel!

Abb.54: Eine Ereignissituation vereint in sich "nach innen" und "nach außen" gerichtete Entwicklungsverläufe (oder deren Wahrscheinlichkeiten).

Letztendlich ist es - auch in den hier nachfolgenden Betrachtungen - weder wichtig noch in letzter Konsequenz möglich, zwischen Situationen und Ereignissen oder eben "Situationsereignissen" ultimativ zu unterscheiden! Aus bestimmten Grund wollte ich auf den Unterschied jedoch hinweisen.

 

 

ARTEN von SITUATIONEN und EREIGNISSEN

 

Man kann zwischen 1.realen, 2. wahrgenommenen und 3. erlebten Situationen und Ereignissen unterscheiden.
Erstgenannter Fall strapaziert unsere Vorstellung am Geringsten. Es handelt sich um Anordnungen von Dingen (Situation) oder die Interaktion zwischen Dingen (Ereignis) in der realen, physikalischen Welt. Eine wahrgenommene Situation oder ein wahrgenommenes Ereignis hingegen wird innerhalb unserer (sinnlichen) Wahrnehmung und/oder innerhalb unserer gedanklich - kognitiven Vorstellung repräsentiert.

Die Unterscheidung zwischen einer wahrgenommenen und einer erlebten Situation hingegen erscheint mglw. zunächst unlogisch? Sie ist aber vollauf berechtigt und begründbar:

Die wahrgenommene Situation (oder der wahrgenommene Anteil einer real vorhandenen Situation) steht für alle Inhalte, die ich eben tatsächlich in oder an der Situation wahrnehme (etwa die Spieler eines Fußballspieles). Die erlebte Situation hingegen steht für die Summe aller Faktoren, die währenddessen insgesamt auf mich, meinen Körper und mein Bewusstsein (einschließlich meiner Wahrnehmungsfunktionen) einwirken (z.B. Wetterverhältnisse, Licht, Temperatur, Langeweile, Streß,...)! Manche Details der wahrgenommen Situation nehme ich also nicht deshalb (bzw. in genau der realisierten Weise) wahr, weil sie Teil der zugrunde liegenden realen (physikalischen) Situation sind, sondern weil gewisse Einflüsse, denen meine Person und mein ganzheitlicher Erlebensprozess ausgesetzt sind, für eine bestimmte Art der Repräsentation von Inhalten sorgen!

Eine wahrgenommene Situation ist nie identisch mit der erlebten Situation! Sie ist um Inhalte gekürzt, die ich allein schon aufgrund diverser neuronaler Filter gar nicht in ihrer Vielfalt im Einzelnen wahrnehmen kann (wer nimmt etwa sämtliche Fußgänger und Radfahrer beim Stadtbummel bewusst wahr?)! Fernerhin ist sie um Inhalte ergänzt, die ebenfalls auf neuronale Filter, teilweise auch auf meine unbewussten und bewussten Einstellungen und Vorurteile rückführbar sind.

Stellen wir uns vor wir müssten vor Gericht als Zeugen eines schweren Unfalles oder einer Tätlichkeit aussagen! Keinesfalls könnten wir uns an jedes Detail korrekt erinnern und ganz sicher wären wir sehr anfällig gegenüber nachträglichen Veränderungen unserer Erinnerungsinhalte ("hatte der Täter einen gelben Pullover an?")!

Es geht bei dieser Unterscheidung um die letztlich eher wieder einfache Frage, ob ich als Beobachter von einer wahrgenommenen Situation / einem Ereignis vollständig getrennt bin (wie im Kino vom Film) oder selbst darin involviert, also Teil der Situation bin, die ich wahrnehme.

 

 

ABGRENZUNGEN UND UNTERSCHIEDE ZWISCHEN bzw. VON SITUATIONEN UND EREIGNISSEN

Situationen unterscheiden sich untereinander z.B. in der Art und Menge der vorhandenen Inhalte, der Komplexität deren Beziehungen, der Schärfe bzw. Durchlässigkeit ihres "Randes", u.a. Bei Ereignissen ist ein zusätzliches Unterscheidungsmerkmal die "Determiniertheit" ihrer Entwicklung, also die Frage, mit welcher Wahrscheinlichkeit (oder gar Gewißheit) ein bestimmter Entwicklungsverlauf und/oder ein bestimmtes Ergebnis aus ihnen hervorgeht! 

Aber wie und wodurch grenzen sich verschiedene Situationen und Ereignisse voneinander ab? Gibt es überhaupt einen Unterschied zwischen einer sich verändernden (alten) und einer aufgrund von Veränderung entstandenen (neuen) Situation?

Bleiben wir zunächst bei der Vorstellung, Situationen und Ereignisse würden sich grundsätzlich klar gegeneinander abgrenzen (was sie mitunter auch tun).

Dies könnte geschehen:

aus tatsächlichen, realen (physikalischen, funktionalen) Gründen: Das Münchner Oktoberfest ist ein völlig anderes Ereignis* als ein Gottesdienst im Kölner Dom! Sie haben wohl nicht wirklich etwas miteinander zu tun! Ebenso sind z.B. der Kühlwasser- und der Schmierölkreislauf in einem Motor funktional eindeutig voneinander getrennt.

*)=spitzfindige Überlegungen, ob Ereignis, Situation oder Situationsereignis begrifflich angemessen sind, erübrigen sich

 

aus wahrnehmungsbedingten bzw. perspektivisch determinierten Gründen: drehe ich als Besucher des Münchner Oktoberfestes meinem Kopf (an einem beliebigen Standort) nach links, sehe ich andere Personen und Objekte als bei einer Kopfdrehung nach rechts; sitze ich auf der Zugfahrt nach München auf der rechten Fensterseite, sehe ich draußen andere Dinge, als wenn ich aus dem linken Fenster schauen würde,...

 

aufgrund skalierender Effekte: "Skalierung" soll an anderer Stelle noch als ein sehr wichtiger Begriff näher betrachtet und hier nur kurz angerissen werden: Skalierung bedeutet, dass eine Fläche, ein System oder ein Prozess über verschiedene Größenordnungen hinweg (wenn er/es also vergrößert oder verkleinert wird) unterschiedliche Eigenschaften aufweist. Dies kann zu einer bestimmten "indirekten" Art von Auf- oder Einteilung eines Raumes, auch eines (abstrakten) (Wahrnehmungs)raumes, führen. Dies soll aber an etwas späterer Stelle noch genauer betrachtet werden!

 

Ob verschiedene, parallel ablaufende Ereignisse tatsächlich voneinander isoliert sind oder aufgrund der Perspektive bzw. der unvermeidlichen Skalierung (auch) von Wahrnehmungs- und Erlebensprozessen für getrennt voneinander gedeutet werden, lässt sich keinesfalls stets mit Gewissheit beurteilen! Spätestens wenn ich das Universum in seiner Gesamtheit als ultimative "Situation" und die Entropiezunahme (Ausdünnung & abnehmende Energiedichte) des Universums als ultimatives "Ereignis" erachte, sind sämtliche Differenzierungen nur noch der Skalierung geschuldet!

Pauschal kann ich aber sagen: jedes erlebte/wahrgenommene Ereignis ist der Ausschnitt einer größenmäßig übergeordneten realen Situation und umgekehrt!

 

 

Was ist der RAND (Begrenzung) einer Situation oder eines Ergeignisses?

Objekte, insbesondere wenn wir von realen Objekten sprechen, weisen eine offenkundige und spontan ersichtliche, durch Form und Umfang gegebene Begrenzung auf. Auf manche Arten von Situationen und Ereignissen trifft dies ebenfalls zu (z.B. die Situation innerhalb einer Straßenbahn). Wie würden wir aber z.B. die Begrenzung einer aktuellen Gesamt-Erlebenssituation gegenüber vorangegangenen und nachfolgenden Erlebens-Situationen deuten?

Folgende Fragen sollen helfen, diese Problematik zu veranschaulichen:

Frage 1: Was ist die größtmögliche erlaubte Veränderung innerhalb einer bestehenden Situation, die das Wesen der Situation insgesamt nicht verändert (also nicht zu einer "neuen" Situation, sondern nur zu einem zusätzlichen Merkmal der bestehenden Situation führt)?

Frage 2: Was ist die geringste denkbare Veränderung innerhalb einer bestehenden Situation, die das Wesen der Situation insgesamt verändert und zu einer "neuen" Situation führt?

Es geht also um die Frage:

Entspricht eine Veränderung dem (neuen) Merkmal einer (alten) Situation oder ist sie die Ursache für eine (neue) Situation?

Denken wir an eine Wiese mit 100 Milliarden Grashalmen. Irgendein Faktor sorgt für die Krümmung eines einzigen Grashalmes (was wohl nur innerhalb einer vorgestellten Situation möglich ist, eine reale Einflussgröße auf einer realen Wiese würde, egal wie geringfügig sie auch sein mag, schwerlich nur einen einzigen Halm betreffen)? Handelt es sich nun um dieselbe Wiese, die eine Veränderung erfahren hat, oder um eine "andere" Wiese, weil sie (ein) anderweitiges Merkmal aufweist?

Das Gedankenspiel offenbart, wie stark die Begriffe der Situation und des Ereignisses mit jenen der (Wahrnehmungs)perspektive und der Skalierung zusammenhängen.

Warum ist die Unterscheidung zwischen der Veränderung innerhalb einer bestehenden und einer neu entstandenen Situation überhaupt so relevant?

Antwort: Eine veränderte Situation bezieht sich auf die dargestellten Inhalte ("Was"?). Eine neue Situation hingegen direkt auf das Subjekt, seine Perspektive, den Wahrnehmungs- und Erlebensprozess an sich ("Wie"?).

Nun, auf der makroskopischen Ebene des Erlebens erscheint diese Unterscheidung tatsächlich eher unrelevant. Sie wird weitaus relevanter, wenn es um die Frage geht, ob, wann und wie sich bewusstseins- und kognitionsrelevante neuronale Mechanismen funktional in den geistigen Gesamtprozess einbringen.

 

Zurück zum Rand: Im Falle einer visuell wahrgenommenen Situation ist nahe liegender Weise der Rand des Gesichtsfeldes mit dem Rand der Situation gleichzusetzen. Ob ich als Fußgänger oder Autofahrer auf die Straße, als Bergwanderer vom Gipfelkreuz des Nebelhorns oder von wo auch immer nach wo auch immer blicke: mein Gesichtsfeld begrenzt die optisch wahrgenommene Situation.

Aber auch eine gedanklich vorgestellte Situation hat "Kernelemente" und beiläufige Aspekte (etwa in Form hintergründiger, schwacher gedanklicher oder bildlicher Assoziationen) die unterschwellig oder verschwindend ausgeprägt sind und als "Rand" bezeichnet werden könnten.

Darüber hinaus kann ich die Grenzen meines Wissens und meiner Vorstellungskraft als den Rand der Vorstellung über eine komplexe Sache und somit als Rand der im Zuge der Vorstellung generierten Situation erachten.

Insbesondere auf abstrakte Situationen/Ereignisse könnte ich noch allgemeiner sagen:

Der Rand einer Situation ist identisch mit der Menge an nicht definierten Beziehungen zwischen den in ihr enthaltenen Elementen (Objekten, Personen, Symbolen, etc.).

 

Wir wissen: Ein reales Ereignis ist von Energie abhängig. Eine Information hingegen ist von einer "Bedeutung" abhängig, die in begrifflicher oder sinnbildlicher Form gegeben sein kann! Wenn ich keinen "Begriff", keine "Sinndeutung" von etwas Bestimmten habe, habe ich auch kein Konzept oder kein Wissen darüber. Stellen wir uns vor, wir säßen im Kino und würden uns einen Western ansehen. Wir haben eine Vorstellung darüber, worum es grundsätzlich geht bzw. diese Vorstellung generiert und erweitert sich ggf. mit zunehmendem Fortschreiten der Handlung. Wir sehen, wie ein Revolverheld  nach Tombstone reitet um einem ehemaligen Komplizen zu suchen, der das Versteck geraubten Geldes aus einem gemeinsam durchgeführten Bankraub kennt. Wir sehen ferner den Sheriff, der eine entwicklungsfähige Romanze mit der Tochter eines Farmers durchlebt. Wir sehen, wie sich der Revolverheld und der Sheriff zufällig im Saloon begegnen und sind gespannt, wozu diese Begegnung führen wird. Wir kennen den Guten, wir kennen den Bösen. Ob sich der Gute und der Böse bereits gegenseitig kennen, erfahren wir erst noch im weiteren Handlungsverlauf. Kommt es zu einer Schießerei? Ist die junge Tänzerin im Saloon eifersüchtig auf die Freundin des Sheriffs? Warum mustern die Poker-Spieler im Saloon den Revolverhelden so kritisch? Aus allgemeinem Misstrauen? Kennen sie ihn? Kennen sie vielleicht auch seinen ehemaligen Komplizen und werden sie ihn warnen? Die uns bekannten und vertrauten Aspekte der Handlung sind für uns identisch mit der Situation oder dem Ereignis! Die Summe der undefinierten Beziehungen (etwa zwischen Tänzerin und dem Sheriff) entsprechen dem "Rand" der Handlung. Entweder entwickeln sie sich zu einer konkreten Beziehung und werden somit im engeren Sinn Gegenstand der Handlung (hier für uns: der Situation/des Ereignisses) oder sie lösen sich auf, verschwinden über den Rand hinaus. Die undefinierten Beziehungen stehen für ein Ereignispotenzial, für eine mögliche, aber weder zwingende, noch in Art und Stärke absehbare Veränderung der Situation oder des Ereignisses. Sie sind der Rand! Der Rand sorgt dafür, dass unsere Wahrnehmung auf die Situation insgesamt gebunden bleibt.

 

Der Rand eines Ereignisses entspricht dem Potential seiner möglichen Entwicklungsverläufe.

 

 

DETERMINIERTE UND NICHT- DETERMINIERTE EREIGNISSE

Determination bedeutet "Bestimmung" oder "Festlegung".

 

Ein Ereignis kann sich wie erwähnt auf die Veränderung eines Objektes, die Reaktion oder Wechselwirkung zwischen koexistenten Objekten oder die Veränderung einer kompletten Situation  beziehen. Im Universum, auf der Welt und in unserem Alltag gibt es verschiedenste Ereignisse in verschiedensten Größenordungen.

Determination kann in Bezug auf ein Ereignis eine zweifache Bedeutung haben! Die erste Frage bezieht sich auf die Art des Ereignisses, lautet also: "Was geht hier vor?" Die zweite Frage bezieht sich auf die Fortentwicklung, die Konsequenz, das Ergebnis eines Ereignisses. Sie lautet: "Was kommt dabei heraus?"

Sofern wir von einem realen Ereignis der physikalischen Welt reden, ist es, was seine Natur betrifft, im Augenblick der Beobachtung zwangsläufig determiniert! Es geschieht bereits, es vollzieht sich, es ist ein Fakt. Ob es anders hätte laufen können (ob also auch eine andere Art von Ereignis vorhanden sein könnte), ist irrelevant. Die ggf. mangelnde Klarheit über seine Bedeutung (Art) ist insofern ein "subjektives" Problem des Beobachters, der sich mglw. nicht darüber im Klaren ist, was (wie, warum,..) da genau passiert.

Was die "Ergebnisse", "Konsequenzen", "Folgesituationen und -ereignisse", etc. angeht, so kann man hierzu folgendes unterscheiden:

Determiniationwahrscheinlichkeit, Determinationsgeschwindigkeit und Determinationskonsistenz

Manche Ereignisse führen zu sehr eindeutigen, mit Sicherheit eintretenden Ergebnissen! Der Tag-/Nacht-Wechsel ist die zwangsläufige Folge der Erdrotation und bedürfte einer außerordentlichen kosmologischen Störung, um spontan und nachhaltig unterbrochen zu werden (die Verlangsamung der Erdrotation über Millionen von Jahren hinweg ist indes ebenfalls absolut sicher).

Sowohl der sehr kurzfristige Effekt (etwa dass es in 5 Stunden dunkel ist, wenn wir im Moment angenommener Weise 15:00 Uhr im Winter haben) als auch die extrem langfristige Tendenz (die Verlangsamung der Erdrotation) ist vollständig determiniert.

Der Begriff der Determinierung hat zwei Aspekte: Die Frage nach der Geschwindigkeit und die Frage nach der Gewissheit. Wie sicher ist also ein bestimmtes Ergebnis und wie schnell wird es eintreten?

 

Manche Ereignisse vollziehen sich sehr rasch, etwa bestimmte chemische Reaktionen, manche sind von langfristiger Dauer, wobei ein sich sehr langsam vollziehendes Ereignis dennoch stärker determiniert sein kann, als ein sehr kurzfristiges (insbesondere im Vergleich zwischen Ereignissen höchst unterschiedlicher Größenordnungen). Dass der 5.Januar des Jahres 3015 ein Donnerstag sein wird, ist jetzt schon sicher! Klingle ich hingegen in 5 Minuten an der Wohnungstür meines Nachbarn, wird er nur vielleicht, keinesfalls aber mit Sicherheit herauskommen!

Bei der Betrachtung eines Ereignisses kann ich die Ereignisdauer der Determinationsgeschwindigkeit gegenüberstellen. Ein Beispiel: Adolf Hitler benötigte eine gewisse Zeit, um vom politisch engagierten Veteran des 1. Weltkrieges zum Reichskanzler zu werden. Was war der genaue Beginn dieser Entwicklung - etwa die ersten Auftritte im Münchner Bürgerbräukeller vor einer kleinen Gruppe applaudierender Zuhörer? Und ab wann war das Ereignis in Bezug auf sein entscheidendes Ergebnis (die Ernennung zum Reichskanzler) vollständig determiniert? D.h. ab wann war der "Point of no Return" erreicht, der Zeitpunkt, ab dem das Ergebnis zwingend eintreten musste, und durch die Summe der möglichen Hinderungsgründe in seiner Wahrscheinlichkeit nicht mehr beeinträchtigt werden konnte? Möglicher Weise war das Ereignis erst kurz vor seinem Finale tatsächlich determiniert, möglicher Weise war dies schon wesentlich früher der Fall!

Wenn ich von Augsburg nach München laufen will, werde ich dies als gesunder Mensch wahrscheinlich schaffen. Die äußeren Bedingungen sind über die ganze Distanz sicher nicht konstant gleich bleibend, ebenso wenig der Status meiner körperlichen Ermüdung. Doch handelt es sich im Grunde um eine bestimmte Anzahl sehr gleichartiger "Schritte", die es zu vollziehen gilt und die letzten 10 Schritte unterscheiden sich in der Anforderung an ihre Ausführung nicht von den ersten 10.

Will ich den Mount Everest besteigen, sieht es anders aus! Die Wahrscheinlichkeit, eine Höhe von 7900 Metern zu erreichen ist weitaus höher, als anschließend den "Rest" von weniger als 1000 (weiteren) Höhenmetern zu erreichen, da die Schwierigkeiten zum Ende hin zunehmen. In diesem Beispiel ist also die Determinationskonsistenz des Ereignisses schwankend.

Selbstverständlich gibt es auch Ereignisse, deren Ergebnisse nur sehr gering oder gar nicht determiniert sind oder die einen ganzen "Fächer" verschiedener denkbarer Folgesituationen und -ereignisse mit jeweils unterschiedlichem Wahrscheinlichkeitsgrad aufweisen.

 

Die Vergangenheit und die determinierte Zukunft haben eine gravierende Gemeinsamkeit: die Unabänderlichkeit ihrer Ergebnisse!

Der 2. Weltkrieg in Europa endete am 8.Mai 1945. Das ist sicher, daran ändert sich nichts mehr! Der 05. Januar des Jahres 3015n.Chr. wird ein Donnerstag sein! Das ist ebenfalls sicher!

Im Bereich der menschlichen Wahrnehmung gibt es darüber hinaus noch den Fall von subjektiv determinierten Ergebnissen, etwa religiöse Überzeugungen ("Jesus Christus kommt zurück!") oder höchst resistente Vorurteile.

 

 

Undeklarierte und deklarierte Situationen und Ereignisse

 

Objekte erkennen wir sofort anhand ihrer offensichtlichen Begrenzung (vorgegeben durch Form und Umfang). Zumeist kennen wir auch ihre Funktion oder Bedeutung (z.B. Hammer, Bleistift, Haus) und fernerhin ihre Lokalisation (auf/ unter/ neben/ vor/ ... dem .....Tisch/Fernseher/Schublade, etc.).

Ein uns unbekanntes, ergo undeklariertes Objekt (für das wir keinen Begriff haben und dessen Funktion, Herkunft und Bedeutung uns nicht bekannt sind), würden wir aufgrund seiner Begrenzung ebenfalls als eine Einheit, als Objekt verstehen.

Sowohl im Fall einer deklarierten (oder deklarierbaren) als auch undeklarierten (oder undeklarierbaren) Situation handelt es sich um die relative (räumliche oder abstrakte) Anordnung von Objekten zueinander.

Im ersten Fall geschah dies aus einem vordefinierten/vorgegebenen Zweck (ob nun real oder innerhalb unserer Wahrnehmung). Die Anordnung der Dinge geschah aus einer bestimmten Ursache und dient einem bestimmten Zweck, hat ggf. eine bestimmte Funktion oder Bedeutung. Im Falle einer Geburtstagsparty etwa treffen diese Definitionsmerkmale zu.

Im zweiten Fall handelt es sich um eine Anordnung von "Dingen" aus unbekannter Ursache zu nicht vorhandenem oder nicht ersichtlichen Zweck. Oder einfach schlicht um eine (reale oder als solche gedeutete) Zufallskonstellation. Ich steige in München aus dem Zug und sehe auf den Bahnsteigen Menschen, Koffer, ein paar Tauben,... Natürlich hat jede einzelne Person ggf. ihren persönlichen Grund bzw. jedes Objekt seine "Ursache", sich genau jetzt hier zu befinden. Aber das genau jetzt genau diese Leute in genau dieser Zusammensetzung hier sind, ist grundsätzlich Zufall! Der Schaffner der gerade aus dem Zug kommend an einer Frau mit Kinderwagen vorbeiläuft und dabei eine Taube aufscheucht ist nicht (geplant und vorsätzlich) genau hier, um vorsätzlich genau jetzt an einer Frau mit Kinderwagen vorbeizulaufen und eine Taube aufzuscheuchen (anstatt z.B. an einem Rentner vorbeizulaufen und dabei in einen ausgespuckten Kaugummi zu treten)!

Deklarierte Situationen und Ereignisse sind "vulnerabel", störanfällig! Ihr Zustandekommen und ihr Erhalt bedarf jeweils bestimmter Bedingungen. Zu einer Geburtstagsfeier gehören z.B. Gäste und eine organisierte Zusammenkunft. Bricht Feuer im Gebäude aus oder beginnen die Gäste sich zu prügeln, erlischt die als solche geplante, beabsichtigte und verstandene Geburtstagsfeier. Es bedarf gewissermaßen einer "Begründung" oder "Ursache", damit eine deklarierte Situation in eine anderweitige deklarierte oder eben in eine undeklarierte Situation übergeht.

Undeklarierte Situationen und Ereignisse sind nicht "vulnerabel" oder störanfällig. Da Ursache und Zweck nicht vorhanden sind, bedarf es auch keiner "Begründung" oder "Ursache" für Wechsel und Übergänge!

Wenn die Frau mit dem Kinderwagen plötzlich stehen bleibt, der Schaffner sich umdreht und zurückläuft (weil er z.B. im Zug was vergessen hat) und die Taube sitzen bleibt, herrscht eben zum Zeitpunkt X auf Bahnsteig 5 eine anderweitige Situation, ohne dass ich als (zufälliger) Beobachter das Gefühl hätte, hier müsste irgendetwas anders sein oder es bedürfte einer besonderen Erklärung, warum sich jetzt genau diese und nicht andere Dinge hier befinden bzw. warum genau dieses und nicht jenes gerade geschieht!

 

Die vorangestellten Ausführungen über "Begrenzungen", zur Un-/deklariertheit von Situationen, über die Auswirkung von Veränderungen (ob sie eine neue Situation erzeugen oder "nur" zusätzliches Merkmal einer "alten" Situation sind), etc. beziehen sich weniger auf das makroskopische Alltagserleben! Es geht darum, wann und wie sich bewusstseins- und perspektivengenerierende Prozesse "angesprochen" fühlen, ihren jeweiligen Beitrag an Vorgängen des Wahrnehmens, Denkens und Erlebens zu leisten!

 

 

BEZIEHUNGEN ZWISCHEN SITUATIONEN UND EREIGNISSEN

Die symbolhafte grafische Darstellung eines Ereignisses in Form eines regelmäßigen Vierecks mit sich gleichmäßig ausdehnenden Entwicklungspfaden ist natürlich unrealistisch!

 

Idealisierte Darstellung der Entwicklung eines Ereignisses

Abb.55:

Abb.56

Möglichkeit 1. Das Ereignis expandiert insgesamt (hier symmetrisch)  Möglichkeit 2: Aus dem Ursprungsereignis werden durch die (hier symmetrische und gleichmäßige) Ausdehnung gleichartige Folgesituationen und -ereignisse

 

Realistischer wäre es, ein Ereignis symbolhaft als unregelmäßiges Vieleck darzustellen:

 

Abb.57 Nehmen wir an, das als unregelmäßiges Vieleck dargestellte Ereignis würde eine Schlägerei symbolisieren. Im Verlauf eines solchen Ereignisses sind nicht sämtliche (End)ergebnisse oder sämtliche  Folgesituationen und -ereignisse "gleichartig" was die Tragweite ihrer Konsequenzen betrifft! Die starken Pfeile könnten für schwerwiegende "Ergebnisse" (etwa schwer oder lebensgefährlich verletzte  Personen), die schwachen, kleinen Pfeile für "Nebensächlichkeiten" (etwa eine zerkratzte Armbanduhr oder eine verlorene Mütze) stehen.

 

Situationen und Ereignisse können ineinander gespachtelt sein: Die ineinander einbeschriebenen Rechtecke könnten z.B. folgende Geschichte symbolisieren: Ich unternahm einen Ausflug nach München (das äußerste Rechteck). Ich ging ins Museum (mittleres Rechteck) und sah mir dort den Bergwerksnachbau an (inneres Rechteck).

Abb.58: Verspachtelte Situationen oder Ereignisse

 

Situationen und Ereignisse können sich linear aneinander reihen wie nachfolgend dargestellte Rechtecke, die bspw. für eine Geschichte dieser Art stehen könnten: Ich fuhr in meinem Spanienurlaub erst mach Madrid (linkes Rechteck), dann nach Barcelona (mittleres Rechteck) und schließlich über die portugiesische Grenze nach Lissabon (rechtes Rechteck).

 

Abb.59: aneinander gereihte Situationen oder Ereignisse

 

Selbstverständlich ist die Mischform möglich:

Ich fuhr nach Ort A,B,C,D (von links nach rechts). In Ort B  unternahm ich Aktion 1,2,3 oder habe Objekt X,Y,Z besichtigt (einbeschriebene Rechtecke im zweiten Rechteck).

 

Abb.60: Mischvariante an gereihten und verspachtelten Situationen oder Ereignissen

 

 

Davon abgesehen, dass sich Situationen und Ereignisse mitunter nur infolge unserer Wahrnehmungsperspektive oder skalierender Effekte (die sowohl in der Realität, als auch im Informationsstrom unseres Bewusstseins auftreten ) voneinander abgrenzen, sind sie zumeist in weitaus komplexerer Form ineinander verwoben!

 

Überschneidungsarten von bzw. zwischen Informationen und Ereignissen

 

 

Abb.61 Der "auslaufende" Entwicklungspfad eines Ereignisses ist zugleich der ins Zentrum gerichtete Entwicklungspfad einer Situation: das linke Rechteck soll neuerlich für unsere oft bemühte Schlägerei stehen. Der Pfeil, der sich sowohl rechts oben im linken wie auch links unten im rechten Rechteck befindet, repräsentiert einen Verletzten, der mit dem Krankenwagen abtransportiert wird und ins Krankenhaus kommt. Das linke Rechteck ist also das Ereignis der Schlägerei, das rechte Rechteck die Situation im Krankenhaus.
Abb.62 Innerhalb unserer Wahrnehmung "organisieren" und repräsentieren wir Situationen und Ereignisse mitunter symmetrisch und abgegrenzt wie Marineplanquadrate! In der Realität aber befinden wir uns in einem unentwegten Mengengelage, von sich aneinanderreihenden, ganz oder teilweise integrierenden und überlappenden Situationsereignissen!

 

Es gibt Entwicklungsverläufe, deren einzelne Ursachen innerhalb verschiedener, relativ getrennt voneinander ablaufender Ereignisse liegen, wie in nachfolgender Abbildung: Die einzelnen Ereignisse/Situationen führen zu unterschiedlichen Ergebnissen und Folgeereignissen. Über die Skalen verschiedener solcher Ereignisse hinweg tritt aber ein Symmetrieeffekt zwischen grundsätzlich getrennten Entwicklungspfaden auf (die 4 roten Pfeile im rechten Bild), die, obgleich jeweils aus verschiedenen Ursachen stammend, ein zusammenhängendes Ereignis bilden!

 

Abb.63  

Die vier "Pfeile" bilden aufgrund ihrer symmetrischen Anordnung eine logische Einheit im Sinne einer Situation oder eines Ereignisses, obgleich sie aus verschiedenen, an sich nicht zusammenhängenden Situationen oder Ereignissen hervorgehen

 

Die Interaktion zwischen Objekten oder die Entwicklung eines Objektes kann grundsätzlich in höchst linearen und analogen Schritten erfolgen, wie etwa bei einer Autofahrt von Augsburg nach München, bei der jeder einzelne Kilometer nach dem anderen abgefahren und jeder Punkt der (in diesem Fall vorher genau feststehenden) Strecke passiert wird.

Interaktionen und Wechselwirkungen zwischen Situationen und Ereignissen oder zwischen Objekten, die während ihrer Wechselwirkung "nicht autonom" sind, sondern zusätzlich den Bedingungen einer jeweiligen Situation ausgesetzt und von deren Kontext abhängig sind, verlaufen anders!

 

Zum Beispiel ergeben sich hieraus "temporäre" Elemente, z.B. Orte, die in der direkten Realität nicht vorhanden sind, die sich aber als "Folge" einer Situation/eines Ereignisses ergeben. Ein Beispiel: Man kann jedes Objekt auf der Welt genau lokalisieren. Nehmen wir an, jemand fährt auf der A 7 von Freiburg nach Hamburg. Mit Blick auf die Karte sehe ich genau, wie sein Weg verläuft und an welchen Städten er vorbeifahren muss. Nun erzählt uns ein Bekannter er war "an einem größeren Weiher" beim Angeln. Er hätte das Auto "50 Meter vor dem Weiher" geparkt und "neben dem Auto" ein Zelt aufgestellt. Ferner hätte er ein ein Bier getrunken, nachdem er den ersten Fisch gefangen hat. Die Ort- und Zeitangaben erscheinen uns logisch, obwohl wir nirgends auf dem Globus "50 Meter vor dem Weiher" oder "neben dem Auto" finden! Ebenso wenig wissen wir, wann "nach dem ersten Fisch gefangen" war! Die Ort- und Zeitangaben sind abhängig von der Geschichte, vom Ereignis und ergeben nur im Kontext dieses Ereignisses einen Sinn.

Ein anderes Beispiel: Jemand sagt mir, er sei gerade dabei, die Zahlen 3 und 5 im Kopf zu multiplizieren. Somit weiß ich, dass er auf 15 kommen wird (sofern er in der Lage ist, diese Grundrechenart auf natürliche Zahlen niedrigen Betrages anzuwenden und sich nicht verrechnet). Sagt er aber, er hätte gerade eine Rechenaufgabe ausgeführt, deren Ergebnis 15 ist, verhält es sich anders! Ich könnte vermuten, er hätte die Zahlen 3 und 5 multipliziert. Ebenso könnte er aber auch gerechnet haben: 2*3+9 oder 2*6+3 oder 15*1 oder 2+2+2+2+2+2+2+1 oder 150.000.000. geteilt durch 10.000.000. oder die Kubikwurzel aus 1000 plus 2 zum Quadrat plus 1!  Ich kann das Ergebnis, obgleich es ganz sicher aus einer ganz konkreten Operation hervorgegangen ist, keinesfalls im Umkehrschluss auf die (tatsächlich richtige) Operation zurückführen, weil auf einmal die schiere Unendlichkeit an möglichen Operationen als Ursache in Frage kommt!

Oder betrachten wir kurz das unten abgebildete Schachspiel:

Abb.64: nicht analoge Ursache-Wirkungs-Beziehung zwischen Objekten und einer Situation

 

Wenn der rot markierte weiße Bauer die Position des ebenfalls rot markierten schwarzen Bauern einnehmen (ihn also "schlagen") sollte, treten gleichzeitig Konsequenzen für nicht weniger als 7 Figuren ein:

 

Abb.65: Bei diesem einfachen Zug gibt es insgesamt 7 "Betroffene"

1. der schwarze Bauer wird ausgeschaltet

2. der den Zug ausführende weiße Bauer verliert seine Doppeldeckung seitens der beiden Figuren links und rechts unterhalb von ihm (weißer Läufer & weißer Bauer)

3. der weiße Bauer wird nicht nur - wie bisher - durch das schwarze Pferd, sondern zusätzlich durch den schwarzen Turm bedroht

4. der weiße Bauer kann durch die ihn nun bedrohenden Figuren ungesühnt geschlagen werden, da er seine bisherige Deckung durch 2 Figuren (s. P.2) verliert


5. die durch den weißen Bauern bisher gewährleistete Deckung für den weiße Läufer links unten gegenüber dessen  feindlichen Artgenossen rechts oben (oberste Reihe, dritte Figur von rechts) geht verloren.

 

Es gibt hier also keine Beziehung im Sinne von "Eine Ursache- eine Wirkung" oder "Eine Aktion - ein Ergebnis"
 Ich kann den Zug nicht so ausführen, dass wahlweise nur eine, zwei oder drei der genannten Wirkungen eintreten! Auch bei Zerlegung in mikroskopische Zwischenschritte fände ich keinen Punkt, an dem selektiv nur die Eine oder die Andere Wirkung eintreten würde! Hier gibt es nur ein Gleichzeitig, kein Vorher und Nachher! Ebenso richtig ausgedrückt: Ein "Alles oder Nichts"!

 

Abschließend:

Wir wissen: viele Ergebnisse aus realen Ereignissen hängen sehr linear von der konkreten Natur der beteiligten Objekte und der konkreten Art des Zusammen- oder Wechselwirkens ab! Damit etwa eine Industriemaschine ein bestimmtes Produkt herstellt, muss der richtige Werkstoff in der richtigen Menge an der richtigen Stelle zugeliefert werden!

Bei der Wechselwirkung zwischen Objekten, die sich ihrerseits in variablem Zustand innerhalb einer jeweiligen Situation (oder eines Ereignisses) befinden , kann sich das anders verhalten!

 

 

Abb.66:

Interaktion (hier: einfaches Zusammenfügen) von Objekt A mit Objekt B führt zu Objekt C.

Abb.67:

Undifferenzierter Prozess A ("schwarzer Wirbel") und undifferenzierter Prozess B ("blauer Wirbel") erzeugen jeweils für sich undifferenzierte Ergebnisse (gestrichelte geometrische Figuren). Durch Zusammentreffen zweier undifferenzierter Ergebnisse aus den jeweiligen Prozessen entsteht ein differenziertes Ergebnis (gelbes Dreieick mit rotem Rand).

Analogie: Wenn ich eine eindeutige Lüge aus zwei voneinander unabhängigen Quellen höre, könnte ich geneigt sein, sie als Wahrheit zu erachten.

 

 

 

Kapitel V
INNEN-,AUSSENPERSPEKTIVEN UND SKALIERUNG

 

WAS HABEN SITUATIONEN UND EREIGNISSE MIT PERSPEKTIVEN GEMEINSAM?

 

Die wichtigste Analogie schlechthin: "Situation" und "Außenperspektive" in Gegenüberstellung zu "Ereignis" und "Innenperspektive"

Als Situation haben wir zunächst die reine Anordnung, die reine Beziehung zwischen gleichzeitig vorhandenen Dingen kennen gelernt, die durch einen real vorhandenen oder nur durch die Wahrnehmungsfunktion bedingten Rahmen von anderen Dingen, Situationen bzw. der Umwelt abgegrenzt sind. Als Ereignis hingegen haben wir die reale Veränderung, die Reaktion, den tatsächlichen Vollzug einer Beziehung bezeichnet. Wir mussten die Begriffe um mancherlei Aussagen erweitern  und konnten feststellen, dass die Wahrnehmung, das Erkennen von Situationen und Ereignissen mitunter sehr stark perspektivisch bedingt ist und ferner von skalierenden Effekten geprägt wird.

Unter Perspektive soll (hier) vorrangig die Ausrichtung oder das "gerichtet - sein" von Wahrnehmungsfunktionen verstanden sein. "Vor" einer (sinnlichen oder abstrakt-kognitiven) Perspektive steht immer ein Objekt oder eine Information (Gegenstand der Betrachtung), "hinter" der Perspektive steht das Subjekt (Ich, Selbst) oder eine wahrnehmungsfähige Struktur (Assoziationszentrum) bzw. eine Funktion, die ihrerseits weder zwingend bewusst noch zwingend subjektiv (im Sinne eines Beitrages zur augenblicklichen Generierung des "Selbst") sein muss.

 

Betrachten wir hier auf makroskopischer Ebene die "bewusste" (ggf. auch vorsätzlich - im Sinne von "Interesse" oder "bewusster Aufmerksamkeit") eingenommene Perspektive des Subjekts.

Analog zu den Begriffen "Situation" und "Ereignis" kann ich hier von einer "Innen-" und einer "Außenperspektive" sprechen.

Maßgebliches Kriterium für diese Unterscheidung ist die räumliche Position des Selbst in Bezug auf die wahrgenommenen Inhalte:

Ich kann alles mögliche "von innen" oder "von außen" sehen, wahrnehmen und erleben! Ein Kino, einen Supermarkt, ein Verkehrsmittel, eine Hochzeitsfeier,.... Ich kann innerhalb meiner Vorstellung auch Dinge "von außen" betrachten, denen gegenüber ich in der Realität niemals eine echte Außenperspektive einnehmen könnte, z.B. die Erdkugel! Die wenigsten von uns haben praktische Astronautenerfahrung, sich die Erde aber insgesamt (von irgendeinem willkürlichen Raumwinkel heraus) vorzustellen, überfordert uns jedoch nicht - selbst wenn gerade kein Globus verfügbar ist! Wir können uns auch selber, also ein gedankliches Bild unseres Körpers "von außen" wahrnehmen, obwohl wir unseren Körper nicht verlassen können (ohne hier die Gefühle von jenseits- bzw. seelengläubigen Menschen verunglimpfen zu wollen).

Was sind die wichtigsten Unterschiede zwischen einer Innen- und einer Außenperspektive?

 

Außenperspektive:

Was ich aus einer Außenperspektive heraus betrachte, empfinde ich als "Einheit"! Ich sehe die "ganze Straßenbahn", den "ganzen Supermarkt", das "ganze Krankenhaus". Das ist zwar genau genommen nicht ganz korrekt, da ich z.B. ein Gebäude immer nur von einer Seite (vorne, hinten, links, rechts) sehe. Aber darauf kommt es hier nicht an. Zum Einen ist unsere Welt sehr stark von Symmetrieeffekten geprägt, zum Andern geht es ja ohnehin um "perspektivisch bedingte", nicht um reale Vollständigkeit.

Ferner gilt: Was ich aus einer Außenperspektive heraus wahrnehme, ist für mich Vergangenheit oder "determinierte Zukunft". Wir erinnern uns: Determination heißt Bestimmung, Festlegung und manche Ereignisse oder Vorgänge sind von Beginn ihrer Entwicklung weg sehr stark determiniert. Ich sehe die Straßenbahn genau dort, weil sie (jetzt) tatsächlich dort ist bzw. im Augenblick meines Hinsehens dort war (Vergangenheit). Und ich weiß ferner, dass mein Bruder in ca. 20 Minuten hier sein wird, wenn er sich jetzt an einem 15 Kilometer entfernten Ort in sein Auto setzt um zu mir zu fahren (das erwartete Ereignis liegt zwar in der Zukunft, ist aber vorherbestimmt).

Vergangenheit und determinierte Zukunft haben eine wesentliche Gemeinsamkeit: die Unabänderlichkeit ihrer Ergebnisse. Natürlich könnte mein Bruder, um im obigen Beispiel zu bleiben, einen Unfall erleiden und im Krankenhaus statt bei mir ankommen. Innerhalb unserer Wahrnehmung und insbesondere innerhalb neuronaler informationsverarbeitender Prozesse geht es aber mitnichten zwingend um "reale Determination" (wirklich real sind ohnehin nur sehr großdimensionale und/oder schwach deklarierte Ereignisse determiniert - selbst die Erdumlaufbahn könnte sich rein theoretisch "schlagartig" durch den Treffer eines gewaltigen Asteroiden ändern), sondern darum, dass eine Information eine augenblicklich determinierte Wirkung oder Funktion ausübt (entweder in besonderer Weise repräsentiert wird oder eine besondere Reaktion erzeugt, z.B. im Sinne der Ausbildung einer neuen Perspektive oder der Entstehung von Emotionen).

 

Ferner kann ich sagen: koexistente, aus einer "Außenperspektive" heraus wahrgenommene oder erlebte Inhalte neigen zu "Konvergenz", zur Vereinigung zu einem mehr oder weniger vereinheitlichten "Gesamtobjekt", etwa schlicht zu einer als einheitlich empfundenen, repräsentierten Situation. Für diese Situation, für diesen "Rahmen" um die Inhalte muss es keinen Begriff, kein "Thema" geben. Sie kann (anstelle aus Information) in rein funktionaler Form vorhanden sein!

 

Innenperspektive:

Was ich aus einer Innenperspektive heraus erlebe, empfinde ich als "Vielfalt" oder zumindest als "skaliert"! Es gibt Orte, Richtungen und Unterschiede. Im Supermarkt gibt es einen Bereich mit Lebensmitteln, es gibt eine Wursttheke, es gibt einen Bereich mit Reinigungsmitteln,.. In der Straßenbahn gibt es ein vorderes und ein hinteres Abteil. Es könnte ferner Bereiche geben, in denen die Personen eher stehen als sitzen, einen Bereich mit mehr Kindern als Erwachsenen,....  Ich als Beobachter bin vom Objekt, vom Gegenstand der Beobachtung nicht getrennt, ich bin in ihm, bin Teil von ihm und möglicherweise beeinflusse ich durch meine Anwesenheit sogar den Gegenstand der Beobachtung!

Was ich aus einer Innenperspektive heraus erlebe, ist Gegenwart oder unmittelbare (nicht determinierte) Zukunft! Es gibt offene Ergebnisse, unvollendete Entwicklunspfade, etc. Koexistente, aus einer "Innenperspektive" heraus wahrgenommene Inhalte neigen zur "Divergenz", zur Aufspaltung. Was ich erlebe, gleicht (real oder funktional) eher einem Ereignis, also der Veränderung von wahrgenommenen Dingen und deren Kontext, der Aufgabelung von Entwicklungspfaden.

Maßgeblich für den Erlebensprozess an sich, für den Sinngehalt des Realitäts- und Selbsterlebens, ist die latente Verschmelzung von Innen- und Außenperspektiven! Ich kann im Supermarkt verschiedene Bereiche unterscheiden, bin mir aber gleichzeitig bewusst, im Supermarkt zu sein. Natürlich sind nicht alle Objekte, Situationen und Ereignisse klar definiert oder womöglich auch noch räumlich festgelegt wie ein Supermarkt! Dennoch hat unser Erlebensprozess immer einen "Gesamtrahmen", sei es, dass er tatsächlich als Information, also als ein Begriff oder ein Thema (wie bei einer Erinnerung- wenn ich von "Schulzeit" spreche), einer Funktion (wenn ich mich einfach auf Empfindungsebene mit einer vorherrschenden Geistesregung identifiziere) oder durch eine  vordergründigen Wahrnehmungsperspektive gegeben ist.

An anderer Stelle habe ich postuliert: Der Rand einer Situation entspricht der Menge aller nicht definierten Beziehungen zwischen den in ihr enthaltenen Elementen. Ferner: Die Begriffe Information und Perspektive sind bisweilen ineinander umwandelbar. Eine Wahrnehmungsfunktion (z.B. ein Vorurteil- oder die Wirkung eines die Wahrnehmung beeinflussenden Umweltfaktors, z.B. der Lichtverhältnisse) können in einem Augenblick Teil oder Faktor der Wahrnehmungsfunktion sein (also mitbestimmen, wie ich etwas wahrnehme), im nächsten Moment können sie mir als repräsentierte Information bewusst sein (wenn ich etwa erkenne: "ich habe vorschnell geurteilt"; "es war zu dunkel, um das Objekt zweifelsfrei zu identifizieren!"). Ich würde noch ergänzen: Jede undefinierte Information wird zu einer Funktion, weil sie z.B. einen Gedanken oder eine allgemeine geistige Regung auslöst, oder die Ausbildung einer alternativen Perspektive begünstigt, die entweder eine schlüssige(re) Darstellung der Information oder eine alternative Deutung des Kontextes zwischen dem Subjekt (Selbst) und der undefinierten Information liefert. Ferner wird jede dysfunktionale, also zu schwache Perspektive, entweder zu einer Information oder zum energetischen Beitrag eines übergeordneten Verbundes von Funktionen, die wiederum (u.a.) mentale Perspektiven generieren.

 

 

 

SKALIERUNG ALS SONDERFORM DER INFORMATIONSVERARBEITUNG

 

 Skalierung bedeutet, dass eine Fläche, ein System oder ein Prozess in eine andere Größenordnung übergeht (Verkleinerung bzw. Vergrößerung). Dies kann zu einer "indirekten" Art von Auf- oder Einteilung eines Raumes, auch eines (abstrakten) (Wahrnehmungs-) raumes, führen.

Hierzu ein anschauliches Beispiel: Bauer Hans hat 9 Schafe auf einer rechteckigen Weidefläche. Nehmen wir an er geht auf die Weide um nach den Tieren zu sehen. Wie würde er sie wohl vorfinden, wie wären sie wohl auf der Weidefläche verteilt?

 

Etwa so......? Wohl kaum!

Abb.68: symmetrische Verteilung: Wer jemals im Allgäu oder sonst wo an einer Viehweide vorbeiging, weiß, dass dies die mit Abstand unwahrscheinlichste Variante darstellt, obwohl sie den mathematisch-statistischen Sachverhalt (Relation der Fläche zur Anzahl an Tieren) optimal darstellt!

 

....doch wohl eher....

 

Abb.69:       so...... Abb.70:         oder so...... Abb.71:        oder so....

Eine absolut symmetrische Verteilung der Tiere ist völlig unwahrscheinlich, selbst wenn die Geländebedingungen, die Vegetation und selbst Wind- und Schattenverhältnisse auf der Wiese völlig homogen sein sollten! Allein schon Geselligkeitsaspekte würden für eine asymmetrische Verteilung sorgen (Weidetiere sind schließlich auch soziale Wesen und manche Individuen stehen sich, hier sozusagen im Wortsinn, "näher" als andere)! Je enger der eingezäunte Bereich ist, umso weniger Möglichkeiten hätten die Schafe für eine räumliche Verteilung (in einem Viehlaster eingepfercht schließlich wären sie in der Tat alle "auf einem Haufen"). Je mehr die verfügbare Fläche erweitert (skaliert) wird, umso stärker wird die räumliche Verteilung insgesamt sein und umso mehr Asymmetrien (lokale "Häufungen") werden auftreten. Diese "Auf-" oder "Einteilung" des Raumes (in Bereiche mit dichterer bzw. geringerer Konzentration an Tieren) ist im Falle einer "Skalierung" also nicht durch reale Barrieren oder Auf-teilung, sondern durch in Korrelation zur Größenordnung des Raums stehende Eigenschaften bedingt!

Durch Skalierung hervorgerufene "Teilungen" führen also innerhalb einer "Einheit" zu unterscheidbaren Bereichen mit  lokal abweichenden Eigenschaften!

 

Abb.72: Weidetiere haben weder Grund noch Willen, sich auf einer gegebenen Fläche gleichmäßig und symmetrisch zu verteilen.

 

 

 

 

 

Abb.73: zufällige Ein-/Aufteilung einer Fläche Abb.74: symmetrische und grobrasterige Ein-/Aufteilung Abb.75: symmetrische feinrasterige Auf-/Einteilung

 

Warum oder wodurch wird ein Wahrnehmungsraum oder das mentale Erleben an sich überhaupt skaliert? Es gibt sicherlich verschiedene Antworten darauf. Eine davon lautet, so sei hier postuliert, dass verschiedene "Agenten" oder Algorithmen die parallel aktiv sind (um z.B. Muster zu erkennen) einen gemeinsamen Aktionsraum durch ihre jeweilige Aktivität indirekt beeinflussen und die Struktur dieses "Raumes" für jeweils anderweitige "Agenten" oder Algorithmen (systematisch-funktionale Wahrnehmungsfunktionen) verändern.

Auf bewusster Ebene neigen wir dazu, die Welt nach bipolar-symmetrischen Gesichtspunkten wahrzunehmen und (radikal-überspitzt) zu vereinfachen: gut-böse, schwarz-weiß, oben-unten, etc. Es handelt sich mglw. um eine Extrapolation der allgemein vorhandenen neuronalen Skalierungstendenz in die bewussten Strukturen des Ich`s hinein?!

Dieser Punkt offenbart auch einen großen Unterschied zwischen der Realität und unserer Wahrnehmung der Realität:

Abb.76: wir "ordnen" die Wirklichkeit in Erinnerung und Wahrnehmung wie gleichförmige, symmetrische Planquadrate Abb.77: Ausdehnung und Verhalten "realer" Situationen und Ereignisse sind weitaus komplexer und können innerhalb unserer geistigen Wahrnehmung oft nur in stark vereinfachter Form abgebildet werden.

 

Skalierung kann für eine Sonderform der Informationsverarbeitung stehen!
 

Sie bietet die Möglichkeit, eine Information mit sich selbst in Beziehung zu setzen!

Abb.78: Ein Objekt nehmen wir vornehmlich aufgrund seiner Form (Begrenzung) als eigenständiges Element war, sekundär ggf. infolge seiner Lokalisation Abb.79: Durch Skalierung kann ich z.B. den oberen und unteren Teil eines Turms als  "getrennte" Einheiten betrachten und miteinander in Beziehung setzen. Ich könnte z.B. sagen: "Der untere Teil hat ein Tor, der obere Teil hingegen Zinnen."

Skalierung erlaubt fernerhin, zwei gleichzeitig ablaufende Prozesse aufgrund selektiver Gewichtung repräsentativer Sequenzen in ein Vorher- und Nachher einzuteilen!

 

Abb.80:

Ich kann zwei im Grunde gleich lang dauernde Ereignisse (hier: links eine Autofahrt vom Start zum Ziel, rechts: Waldarbeit vom Bäume fällen bis zum Stapeln der Baumstämme) aufgrund selektiver Auswahl eines möglichen "Repräsentanten" für das jeweilige Ereignis (lilafarbene Punkte) künstlich in eine "Vorher-Nachher-Beziehung" einordnen.

 

 

 

Kapitel VI: ERLEBENSPROZESS ALLGEMEIN

 

 

 EBENEN DES BEWUSSTSEINS:

Man spricht vom Bewusstsein stets im Singular. Tatsächlich aber hat es mehrere, ineinander verwobene Formen:

KOGNITIVES BEWUSSTSEIN

Es besteht aus drei Stufen:

In seiner primären Form ermöglicht es die bewusste Repräsentation des Körpers und der Umwelt.

Die zweite Stufe (introspektives oder reflektierendes Bewusstsein) erzeugt die Fähigkeit, im Geiste den eigenen Gedankenstrom zu verfolgen und Gedanken zweiter Ordnung über die eigenen mentalen Zustände zu fassen.

Die dritte Stufe bezeichnet das Ich- oder Selbstbewusstsein, also die Fähigkeit, sich selbst als Subjekt eigener Gedanken wahrzunehmen und die eigene Existenz als Individuum zu begreifen.

 

PHÄNOMENALES BEWUSSTSEIN

Diese Form des Bewusstseins betrifft die subjektiven und qualitativen Aspekte der bewussten Erfahrung.

 

Übergänge

Der reale und geistige (Er)lebensprozess ist u.a. durch eine Reihe an latenten "Übergängen" geprägt, die wir zumeist schon angesprochen haben:

Der Wesentlichste dieser Art ist der Übergang von Materie zu Geist (also von organischer Aktivität in geistiges Erleben) bzw. von Realität in Information, von tatsächlich vorhandenen Inhalten der Umwelt in geistige Repräsentationen (Bilder, Vorstellungen, Konzepte).

Ferner gibt es einen Übergang von unbewusster zu bewusster Information ("Wahrnehmungsschwelle").

Weiterhin einen Übergang von rein "sachlichen" in "moralische" (uns subjektiv betreffende) Informationen und umgekehrt (siehe Ausführungen zu "moralischen Perspektiven" in Kapitel III innerhalb der aktuellen Seite)

Zudem einen Übergang zwischen (real oder perspektivisch bedingt) "unproblematischen" Informationen ("sachliche" Repräsentationen) zu "Themen", also zu Informationen, mit denen wir uns bewusst und gedanklich auseinandersetzten

Verschiedene, hierarchisch gestaffelte Systeme arbeiten sowohl latent für sich als auch im Austausch mit über-/untergeordneten Systemen. Eine Information kann mitunter verschiedene Kanäle gleichzeitig durchlaufen.

 

 

DIE DYNAMIK DES ERLEBENS:

 

Nachfolgend versuche ich, wenige profane aber grundlegende Begriffe zu definieren, die sich für eine allgemeine Beschreibung von Erlebens- und Wahrnehmungsprozessen eignen. Sie lauten: INHALT, THEMA, EBENE, PERSPEKTIVE und FOKUS.

 

INHALT:

Alles was wir wahrnehmen oder erleben, wird als Information in unserem Aktualbewusstein bzw. Arbeitsgedächtnis dargestellt. Inhalte sind zunächst mal alle "gewöhnlichen", "unkomplizierten" und "analogen" Informationen. Grundsätzliche Kategorien von Inhalten (also Informationen bzw. Repräsentationen) sind:

Objekte, Situationen und Ereignisse.

Objekte
sind überwiegend  "Gegenstände" aller Art (real, abstrakt oder symbolisch). Sie definieren sich u.a. durch ihre Form (Begrenzung), Funktion und Lokalisation (Ort).


Eine Situation bezeichnet, hier stark verallgemeinert, die relative (raumzeitliche und/oder abstrakte) Anordnung mehrerer Objekte innerhalb eines "abgeschlossenen" räumlichen und/oder zeitlichen Wahrnehmungsbereichs (etwa eines Wahrnehmungsaugenblickes).

Ein Ereignis bezeichnet den Veränderungsprozess eines Objektes, einer Situation oder der Anordnung / der Beziehung zwischen Objekten innerhalb einer Situation.

 

 

THEMA:

Ein Inhalt ist etwas, das wir wahrnehmen (Objekte, Situationen, Ereignisse), dass ergo unsere Wahrnehmungsschwelle überschreitet. Ein Thema ist, analog zu einem "Problem" (im weitesten Sinn) etwas, mit dem wir uns aufgrund willentlicher Absicht oder aufgrund der Umstände des Erlebens bewusst oder jedenfalls vordergründig (gedanklich) auseinandersetzen ("Relevanzschwelle"). Ein Thema ist also ein fokussierter Wahrnehmungsinhalt, der entweder Ausgangspunkt oder Gegenstand unserer kognitiven Prozesse ist.

Ein Thema hat also immer etwas mit unseren (Über)lebensvorteilen oder unserem Lustgewinn und somit zwangsläufig mit unserer Intention (man erinnere sich an die 4 Stufen der Intentionalität: Repräsentation, Intention, Involation und Indentifikation) zu tun.

Arten von Themen sind:

I Informationen, die uns interessieren (also in einem "gefühlt" oder angenommen "positiven" Sinn mit unseren (Über)lebensvorteilen bzw. Lustgewinn zu tun haben).


II Probleme (Sachverhalte bzw. Informationen über Sachverhalte, die im negativen oder sogar bedrohlichen Sinn unsere (Über)lebensvorteile bzw. unseren Lustgewinn betreffen).

Probleme wiederum unterteilen sich in zwei Kategorien:

A) unerfreuliche Informationen: Dinge die uns belasten, verunsichern, in Entscheidungssituationen führen,...
B) unlogische Informationen, die sich durch Unvollständigkeit, Widersprüchlichkeit oder Mehrdeutigkeit auszeichnen.


 

DER ÄUSSERE KONDENSATIONSPUNKT

  ist etwas, das mein (primär durch Körperempfindungen generiertes) Existenzempfinden vervollständigt. Damit meine ich irgendeinen X-beliebigen Inhalt im Bereich der zumeist äußeren Wahrnehmung, der (zufällig) deutlicher und konkreter als anderweitige Inhalte erlebt wird. Betrete ich etwa einen Raum, muss sich zwangsläufig irgendetwas im Zenit meines Sehstrahles befinden, so wie ein ungezielter Steinwurf irgend etwas treffen wird (ggf. nur einen bestimmten Punkt auf dem Boden). Kondensationspunkt sage ich deshalb, weil die (reflexive, unbewusste) Empfindung einer erhöhten Wahrnehmungsaufmerksamkeit auf irgendeinen Inhalt einen indirekten Rückschluss auf meine eigene ICH-Präsenz bzw. meine Bewusstseinsaktivität erzeugt. Wenn ich z.B. einen Apfel zufallsbedingt im Fokus meines Gesichtsfeldes habe (der visuelle Kanal ist für uns Menschen der dominante Sinneskanal), so lautet die rein vegetative, rückkoppelnde Botschaft an das Unterbewusstsein:" ICH bin derjenige, der diesen Apfel gerade wahrnimmt" oder "ICH bin derjenige, der diesen Apfel deutlicher wahrnimmt als irgendwas anderes".  Analog hierzu: Das Vorhandensein von Wasserdampf in einem geschlossenen Raum ist unterhalb einer gewissen Quantität nicht direkt zu erkennen. An den Fensterscheiben aber kondensiert der Dampf und hinterlässt deutlich sichtbare Wassertröpfchen, ist also indirekt erkennbar.

 

EBENE:

 Ebenen bezeichnen mögliche (abstrakte) Bezugssysteme oder Bezugsräume von Inhalten. Betrachten wir den Begriff Mensch: Ein Mensch steht u.a. im Kontext zu einer biologischen, sozialen und ökonomischen Bezugsebene. Als Mensch bin ich ein biologisches Lebewesen. Meine phänotypischen Merkmale unterscheiden sich von jenen anderer Lebensformen, meine Organ- und Zellfunktionen hingegen sind weitgehend mit jenen aller anderen Lebensformen (insbesondere der Säuge- und Wirbeltiere) identisch oder ähnlich. Ferner bin ich ein soziales Lebewesen. Ich habe eine Familie, Verwandte, Arbeits- und Vereinskollegen. Auch bin ich Teil einer Volkswirtschaft (ökonomische Bezugsebene). Ich übe eine bezahlte Tätigkeit aus, ich spare, kaufe Konsumgüter, etc.

 

Statische Ebenen:
Dieser Begriff bezeichnet "logische Ebenen" wie in obigen Beispielen.

 

Dynamische Ebenen:
Sie ergeben sich aus den Umständen und Bedingungen des Erlebens bzw. aus dem Kontext des Zusammentreffens oder der zeitlichen Abfolge von Inhalten. Ich kann z.B. ein Telefonbuch und ein Trinkglas zum Einfangen einer Spinne benutzen (Spinne in Glas und Telefonbuch drauf). Die Objekte sind hier fernab einer prinzipiellen logischen Bezugsebene zueinander in Verbindung gesetzt worden.
 

 

PERSPEKTIVE:

Eine Perspektive steht grundsätzlich für die "Ausrichtung" oder das "Gerichtet - Sein" kognitiver Prozesse und natürlich auch des Subjekts an sich. Perspektive könnte man ferner aber auch auf den mentalen Zustand (insb. bewusste und unbewusste Intentionen, auch Einstellungen und Vorurteile) eines Beobachters, eines wahrnehmenden Subjektes, ausdehnen. Ein Naturschützer nimmt einen 700 Jahre alten Eichenbaum unter "anderen Gesichtspunkten" wahr wie ein Möbelfabrikant.

 

FOKUS:

Der Fokus bezeichnet das Wahrnehmungsfeld eines Beobachters. Ich kann mich z.B. visuell auf meinen Daumennagel konzentrieren (enger Fokus) oder von einem Berggipfel aus zum Horizont und die im Tal befindlichen Orte schauen (weiter Fokus).

 

 

 

  ZUSTANDSFORMEN  DES  "ICH" 

Betrachten wir nachfolgend an einer Beispielszene die Dynamik und die Besonderheiten menschlicher Erlebensprozesse.

Man könnte feststellen, dass sich bei mentalen Erlebensprozessen mehrere Subfunktionen die Klinke in die Hand geben! Da gibt es ein ICH und ein ES, einen BEOBACHTER und einen AKTEUR.

ICH: Willentliches und sehr bewusstes Wahrnehmen, Denken, Planen, Entscheiden und Bewerten.

ES: reflexives, "passives", nicht zielgerichtetes und nicht anlassbezogenes Wahrnehmen; subtiles, "reaktionäres"  Entscheiden und Bewerten ohne Vorsatz und Willensanstrengung

AKTEUR: Planen, Entscheiden und Bewerten

BEOBACHTER: Wahrnehmen und Reflektieren
 
Jede dieser Subfunktionen ist dazu befähigt, den Wahrnehmungs-Fokus zu erweitern oder zu verengen sowie ein Thema oder eine Ebene zu wählen oder zu wechseln!

Meine Intentionen können sehr vordergründig und präzise sein. Dann sprechen wir auch von Motiven oder Handlungsabsichten. Andernfalls habe ich aber ebenfalls ein "Thema", d.h. einen Wahrnehmungsinhalt, mit dem ich mich aufgrund irgendwelcher (zufälliger) Ursachen mental auseinandersetze oder den ich zumindest in erhöhter Deutlichkeit wahrnehme. Im absoluten Minimalfall, also in Abwesenheit von Motiven und vordergründigen Themen, gibt es zumindest etwas, was ich persönlich als einen "äußeren Kondensationspunkt" betrachte, ein Objekt der äußeren Realität oder der inneren Vorstellung, auf dem ggf.  rein zufällig eine erhöhte Wahrnehmung (wenn nicht schon Aufmerksamkeit) gerichtet ist.

 

 ICH UND  ES, BEOBACHTER UND AKTEUR IM WECHSELSPIEL:

Mein FOKUS (Wahrnehmungsfeld) verengt und erweitert sich unablässig und abwechselnd. Ständig nehme ich Inhalte wahr. Ständig werden Inhalte zu Themen und Themen zu Inhalten. Ebenso unablässig erfolgt die Auswahl und der Wechsel von Inhalten, Themen und Ebenen. Phasen in denen ich sehr (selbst)- bewusst präsent bin und willentlich plane und entscheide, wechseln sich mit solchen, in denen mein Geist mehr oder weniger "ziellos" umherschweift und sich relativ wahllos und reaktionär auf alle möglichen Inhalte und Themen stürzt.

 

Ein Beispiel: Ich gehe durch die Stadt um einen Einkaufsbummel auszuführen. Ich nehme viele Inhalte in einem weiten Fokus wahr (Passanten, Autos, Häuser, etc.). Nun sehe ich einen alten Schulfreund - dieser Inhalt weckt mein Interesse und wird zu einem Thema, mein Fokus bzw. Wahrnehmungsfeld verengt sich deshalb auf seine Person. Ich nähere mich ihm und beginne ein Gespräch - mein Fokus erweitert sich und es bilden sich eine Reihe weiterer, seine Person betreffende Themen (Familienstand, Beruf, Wohnort, etc.). Eines dieser Themen interessiert mich vordergründig - der Fokus verengt sich auf dieses Thema und ich frage nach seinem Familienstand. Er bestätigt verheiratet zu sein - mein Fokus erweitert sich themenspezifisch und ich will nun wissen, wen er geheiratet hat, wo er seine Frau kennen lernte, etc. Im weiteren Verlauf kommen wir auf sein Auto (Thema) zu sprechen - ein Porsche 911 Carrera. ES interessiert mich (passiv, aus reflexiver Neugierde) wie viel PS das Auto hat (Ebene). Ich staune über seine Antwort und ICH will nun wissen (aktiv, aus vordergründigem Interesse) wie viel es gekostet hat, wechsle also die Ebene (von der technischen zur ökonomischen). Anschließend unterhalten wir uns über anderweitige Dinge. Manche meiner Fragen ergeben sich also infolge eines gezielten, bewussten Interesses. Sollte ich hinterher bewusst über die Situation reflektieren, werde ich sagen, ICH hätte dieses und jenes von ihm aktiv erfahren wollen. Ergibt sich die Entscheidung für ein Thema hingegen sehr spontan und ohne vorheriges Abwägen, werde ich eher sagen, ES hat mich interessiert mich in dieser oder jener Richtung zu erkundigen (das Interesse "kam" also "passiv" über mich, so wie etwa auch das Bedürfnis zu Gähnen oder sich zu Räuspern auftreten kann). Mglw. hat "ES" mich demoralisiert, die offensichtliche ökonomische Überlegenheit meines Schulfreundes (mit Hinblick auf den Porsche) realisieren zu müssen. In diesem Fall habe ICH das Thema gewechselt ("Hans, reden wir doch lieber von was anderem!"). Natürlich könnte ICH durch diese Information aber auch bewusst frustriert worden sein. Dann hat ES affektiv ein neues Thema gesucht. Theoretisch hätte ICH oder ES auch auf eine abstraktere Ebene ausweichen und hinterfragen können, ob mir der Schulfreund authentische Informationen mitteilt oder ob er mich verkohlen will.

Ebenso polarisiert sich mein Verhalten zwischen Sequenzen, die man eher einem passiven Beobachter zuschreiben könnte der Informationen jenseits konkreter Motive oder Handlungsabsichten sammelt und vorbewusst Handlungsoptionen generiert, und Sequenzen, in denen ein bewusst und planerisch handelnder Akteur vordergründig aktiv ist, der u.a. konkrete Entscheidungen trifft bzw. zwischen Handlungsoptionen selektiert. Ein Beispiel: Ich sitze Sonntag Nachmittag auf einer Bank im Zoo vor dem Affengehege und lasse die Gedanken entspannt schweifen. Im Laufe der Zeit werden mir in zunehmender Deutlichkeit irgendwelche, die Situation betreffende Fakten bewusst: Ich erkenne das mindestens 7 statt der anfangs 4 wahrgenommenen Affen im Gehege sind. Mir fällt auf dass ein Tier hinkt. Ich bemerke, dass einem Schimpansen ein Stück Fell fehlt. Irgendwann gelange ich zu der Feststellung, dass in Anbetracht  der guten Wetterlage eigentlich nur wenige Besucher hier sind. Wenige Augeblicke später fällt mir spontan dazu ein, dass gerade Sommerferien sind und viele Leute wohl in Urlaub gefahren sind. All diese Dinge haben mich eigentlich nicht gezielt interessiert. Der innere Beobachter hat sie nach und nach eruiert. Der Akteur hingegen lässt mich irgendwann abwägen, ob ich zum Delfinarium oder ins Reptilienhaus weitergehen soll. Er gibt mir vielleicht den willentlichen Handlungsimpuls, unter den Affen im Gehege bewusst das mutmaßlich größte und schwerste Tier zu finden oder er lässt mich autoreflexiv darüber wundern, wie und warum der Beobachter ausgerechnet auf diesen oder jenen Wahrnehmungsinhalt aufmerksam wurde ("Warum interessieren mich denn heute ausgerechnet die Affen?").

 

 ICH, ES, Beobachter und Akteur  verhalten sich im Grunde entgegengesetzt: Wenn das ICH den Fokus erweitert, wird das ES ihn im nächsten Reaktionsschritt verengen und umgekehrt. Erweitert der Beobachter den Fokus, wird der Akteur ihn verengen und umgekehrt. Entscheidet sich das ICH für ein Thema, wählt das ES eine Ebene und umgekehrt. Ebenso wird der Akteur eine Ebene wählen, wenn sich der Beobachter vorher für eine Thema entschieden hat und umgekehrt. Generiert das ES Handlungsoptionen, vollbringt das ICH eine Selektionsleistung zwischen den Optionen und umgekehrt. Reflektiert das ICH während einer Erlebenssequenz (Wahrnehmung der unmittelbaren Vergangenheit), projiziert das ES in die unmittelbare Zukunft und umgekehrt.

 

Das Driften zwischen Themen und Ebenen, die Erweiterung und Verengung des Wahrnehmungs-Fokus sowie die abwechselnde Dominanz von "ES"- oder "ICH"-Aktivität bzw. die vorherrschende Akitvität von Beobachter und Akteur erfolgen oszillierend, d.h. das System pendelt gesetzmäßig zwischen diesen Funktionsmustern. 

 

 

Bewusstsein entsteht vermutlich dann, wenn zwischen Zellverbänden verschiedener Gehirnbereiche ein "funktionaler Cluster" entsteht, wenn also der Verbund der beteiligten Strukturen mit sich selbst in höherem Maße re-entrant und rückkoppelnd wechselwirkt, als mit anderweitigen Strukturen.

 

SUBJEKTIVITÄT:

 Ich erinnere an die weiter oben angesprochenen "Stufen der Intentionalität": Diese reichen von sachlicher Repräsentation über den Zustand der Intention (berührt mein Interesse) und Involation (bin an der wahrgenommenen Situation beteiligt bzw. von ihr betroffen) zur Selbst-Identifikation (empfundene oder aktiv postulierte Ich-Zuschreibung).

Subjektivität ist eine Art "Markierung", eine interne Darstellung des Systems seiner Selbst, deren höchster Skalenwert die angesprochene "Selbst-Identifikation" ist. Zu dieser Selbst-Indentifikation gehören im Minimalfall ein "Bild" in ggf. geringst möglicher Qualität und das Empfinden, dass sich aktuelle Wahrnehmungsprozesse auf dieses Bild beziehen.

Ich selbst kann mich also mit einer (auch bildlichen) Vorstellung meines Körpers identifizieren. Ebenso aber mit einem phänomenalen Zustand, mit inneren Prozessen (Empfindungen, nicht-verbalen Eindrücken) und sogar mit einer inneren Perspektive! Auch die "Zuschreibung" eines Inhaltes oder einer Funktion gegenüber dem eigenen Ich kann sehr wohl nach "minimal-referenzwertigen" Kriterien erfolgen!

 

 

(nochmal) PERSPEKTIVE:

 dieser Begriff beschreibt die Ausrichtung oder das "gerichtet-sein" von Wahrnehmungsfunktionen. Unter die Ausrichtung zählt u.a. die Lokalisation des informationsverarbeitenden Systems, ferner die räumliche Ausrichtung der Wahrnehmungsfunktionen (in welche Richtung, in welche Entfernung, starr auf einen Raumausschnitt bezogen oder dynamisch einem beweglichen Reiz folgend,..). Die Perspektive ist kein Begriff, der rein an die Sinnesorgane gekoppelt ist! Es gibt natürlich auch abstrakte, kognitive Perspektiven. Zwei einfache Beispiele: ich nenne die Begriffe "Hammer", "Nagel" und "Bild" oder aber "Tourist", "Löwe" und "Blut". Man denkt beim Hören oder Lesen dieser Begriffe fast zwangsläufig an eine "Geschichte", an einen Handlungsablauf (ein Bild soll mit einem Hammer an die Wand genagelt werden oder ein Safari - Trip endete mit einem Unglück). Man hat also eine "Geschichte" vor dem inneren Auge, die aber gar nicht wirklich erzählt wurde! Auswahl und Reihung dieser Begriffe "öffnen" aber die "innere Perspektive" des Lesers oder Hörers und verleiten ihn zu einem bestimmten Gedanken!

Im Falle eines subjektiven, selbstbewussten kognitiven Systems (das sind wir Menschen) muss der Begriff der Perspektive, wie schon erwähnt, eigentlich sogar die Erwartungshaltung oder das Vorurteil mit einschließen!

Als nicht zwingend verallgemeinerungswürdig sei ergänzt, dass es sich bei einer "Perspektive" auch um eine lokal unterschlagene Information handeln kann, die in einem übergeordneten Kontext zum Mittel der Wahrnehmung anderweitiger Informationen wird. Denken wir nochmals an die Vogelperspektive eines Sportfliegers oder Fallschirmspringers, der zwar die zweidimensionale Fläche unter sich sehr weitläufig beobachten kann, allerdings die Höhenunterschiede des unter ihm befindlichen Gelände nicht erkennen kann Natürlich weiß er, basierend auf allgemeinen menschlichen Erfahrungswerten, dass etwa ein Baum höher ist als Gras auf der Wiese, ebenso ein Haus höher ist, wie ein Acker. Hätte er aber dieses "Vorwissen" nicht, könnte er über die jeweiligen Höhen der verschiedenen Objekte bzw. die Höhenunterschiede nicht urteilen. Die "Höhe" wird im wahrgenommenen Bild "unterschlagen", gleichwohl ist seine eigene Höhe (des Beobachters) über dem Erdboden Vorbedingung für den extrem weiten Blickwinkel und für das gleichzeitige Erkennen von so zahlreichen Objekten auf dem Boden! Daraus ergibt sich u.a. auch, dass "Perspektiven" und Informationen ineinander umwandelbar sein können! Was in einem Augenblick das "Mittel der Beobachtung" ist, kann im nächsten Augenblick Gegenstand der Beobachtung sein!

 

 

Kapitel VII
DAS SELST ALS ZWISCHENWESEN AUS INFORMATION,FUNKTION UND REALITÄT

 

REALITÄT UND INFORMATION

Der Vollzug eines realen Ereignisses hängt von real vorhandener Energie ab. Ob ein Auto fährt, ein Ball rollt, sich ein Objekt bewegt oder verändert, sich das Universum ausdehnt, ein Lebewesen am leben bleibt oder stirbt.... jeder dieser Vorgänge bedarf realer (kinetischer oder sonstiger) Energie bzw. hat mit dem Vorhandensein oder der (lokalen) Zu- bzw. Abnahme von Energie zu tun!

Eine Information hingegen benötigt einen "Begriff" oder ein "Thema" bzw. muss als ein "Begriff", ein "Bild", oder ggf. als ein/e abstrakte/s Vorstellung/Konzept dargestellt werden, um gegenüber einem wahrnehmenden Individuum den Status einer Information zu erlangen.

Es gilt, zwischen "Bedeutung" und "Wirkung" zu unterscheiden!

Eine Information hat bzw. erlangt eine Bedeutung, wenn sie als konkreter (begrifflicher oder sinnbildlicher) Inhalt wahrgenommen wird. Eine Wirkung hingegen hat sie, wenn sie den Zustand des Beobachters (Aufmerksamkeit, Interesse, kognitive oder emotionale Reaktion) beeinflusst.

Eine schwächer oder unschärfer dargestellte Information kann sogar eine größere Wirkung auslösen als eine konkrete Information, weil sie "bindungsfähiger" sein und höheres "Deutungspotential aufweisen kann! D.h. eine größere Menge kognitiver Subprozesse (Algorithmen) werden angeregt, ein Muster oder eine Beziehung zu erkennen.

Es gibt also Fälle, in denen gilt: je geringer die (semantisch-logische) Bedeutung, umso höher die (funktionale) Wirkung! Diese Aussage kann man m. E. sogar der Begriffsdefinition der "Perspektive" hinzufügen!

Die Aussage, reale Ereignisse sind vom Vorhandensein bzw. Umwandlung realer Energie abhängig, ist plausibel! Aber noch einmal die Frage: Benötigt tatsächlich jede Information einen Begriff oder ein Thema? Ja! Selbst wenn ich unbekannte Objekte, Situationen, etc. erlebe, habe ich doch zumindest ein inneres Empfinden um den Kontext, innerhalb dem ich diese Wahrnehmungen erlebe! Die (Gesamt)situation des Erlebens wird, da als Vergangenheit oder determinierte Zukunft empfunden, zum "Thema"! Ich bin mir dessen bewusst, was ich an einem Wahrnehmungsinhalt teilweise oder insgesamt nicht verstehe oder deuten kann und in welchem Orts-Zeit-Kontext diese Erfahrung erlebt wird! Die 4 Grund-Erlebensperspektiven, um die sich diese Homepage vorrangig dreht, sind der ultimative "Reflexiv-Modus" des neuronalen Gesamtsystems, die Meta-Ebenen und somit Meta-Themen auf gröbster Skalierung! Hat eine Information keine "Bedeutung" oder keinen "Begriff", so muss das Selbst und seine Beziehung gegenüber der undefinierten Information für das System aus einer alternativen Perspektive heraus in einer Weise dargestellt werden, welche die "Integration" der Gesamtsituation innerhalb der nachfolgenden Sequenzen des Erlebensprozesses ermöglicht!"

 Insofern könnte man unterscheiden zwischen einer "semantischen Logik" (was ich erlebe) und einer "funktionalen Logik" (wie ich etwas erlebe). Der Begriff der "Funktion" soll uns an anderer Stelle noch näher beschäftigen.

Auch der Erlebensprozess insgesamt benötigt neben Energie (für die Generierung seiner Funktionen bzw. den "Herstellungsmodus") auch ein Thema (für den Reflexivmodus bzw. um Sequenzen zu "vollenden", also in "Vergangenheit", "determinierte Zukunft" oder "Erinnerung" umzuwandeln)

 

Die Realität, als Ausdruck lokaler Energieverteilung ist gewissermaßen "geradlinig". Denken wir noch einmal an die Gravitation. Sie hat hur eine anziehende, jedoch keine abstoßende Kraft.

Informationen, bedingt bzw. vorgegeben durch Themen, Begriffe und Konzepte, könnte man eher mit dem Elektromagnetismus vergleichen, der sowohl eine abstoßende als auch anziehende Kraft hat. Dies wird am Beispiel der sozialen Wahrnehmung sehr deutlich! Ich kann das freundliche Lächeln, die sanfte Stimme und das liebenswerte Gebaren einer unbekannten Person als authentische Freundlichkeit oder als Tarnung für Feindseligkeit erachten! Was es wirklich ist, kann ich im Grunde gar beurteilen!

 

 

Die IDENTITÄT (Bedeutung und/oder Wirkung) einer INFORMATION wird bestimmt durch:

* das ihr zugrunde liegende Objekt in der Realität (das Auto das ich sehe, spiegelt im Wesentlichen dessen reale optischen Eigenschaften wieder).


* die Stärke und Qualität des neuronalen Repräsentationsprozesses (eine Halluzination wird innerhalb des Gehirns erzeugt und weist dennoch, obwohl dem Bild kein reales Objekt zugrunde liegt, qualitativ eindeutige Merkmale auf!

*Art & Wechselwirkung (Synergie, Konkurrenz) einzelner Wahrnehmungsfunktionen und -perspektiven. Denken wir z.B. an optische Täuschungen: Hier wird ähnlich bei einer Halluzination ein Bild erzeugt, das zwar grundsätzlich real vorhanden, allerdings nicht in der Art vorhanden ist, wie wir es wahrnehmen! Irgendwelche Subfunktionen unserer Wahrnehmung werden ausgetrickst, in dem ihr Beitrag übergewichtet oder zensiert wird!


*durch die Art ihres Repräsentanten (insbesondere im Fall "komplexerer" Informationen). Ein kleiner Bezug zur Mathematik sei hier gestattet: Ein Vektor ist eine gerichtete Kraft. Sie wird durch einem Pfeil (dessen Länge für die "Kraft" und dessen räumliche Lage für die "Richtung" steht ) symbolisiert. Der Pfeil ist aber nicht der Vektor, sondern nur der Repräsentant, die symbolhafte Darstellung dieser Kraft. Denken wir an einen etwas abstrakteren Begriff, z.B. an den "dreißigjährigen Krieg". Wer mit Geschichte etwas vertraut ist, weiß, dass dieser von 1618 bis 1648 überwiegend auf mitteleuropäischem Boden ausgetragen wurde, die weniger Geschichtsbewussten wissen zumindest, dass es eine umfangreiche kriegerische Angelegenheit zu einer Zeit vor Panzern und Kampfflugzeugen war. Was für ein Bild habe ich vor Augen, wenn ich diesen Begriff höre oder lese? Eine feuernde Kanone? Einen Mann der aus dem Fenster fällt ("Prager Fenstersturz")? Ein brennendes Haus? Ein verhungerndes Kind? Eine Vergewaltigung? Einen gefolterten Bauern ("Schwedentrunk")? Eine Landkarte mit roten (protestantischen) und blauen (katholischen) Zonen? Die Auswahl ist vielfältig. Allerdings ist nichts von all diesen "Symbolbildern" per se der dreißigjährige Krieg! Der semantische Inhalt der bildlichen Vorstellung ist ein Repräsentant, ein Symbol, dass für ein viel, viel komplexeres Gesamtkonzept steht! Allerdings können meine weiterführenden Gedanken zu diesem Begriff sehr wohl von der Art des Repräsentanten abhängen. All die genannten Begriffe sind für sich jeweils durchaus geeignete Symbole  für den Begriff "dreißigjähriger Krieg" und dennoch können sie, durch ihre jeweilige Spezifität für ganz andere Inhalte und Qualitäten in der erweiterten Vorstellung desjenigen stehen, der sie bewusst oder unbewusst als "subjektiven" Repräsentanten für diesen Begriff gewählt hat! 

 

Minimal- oder maximal referenzwertigen Repräsentation:

Innerhalb der menschlichen Wahrnehmung gibt es viele Funktionsmuster. Ein besonders interessanter Effekt ist das "Pars-pro-toto"- Prinzip, "ein Teil steht für das Ganze". Wir können sehr gut angedeutete Muster vervollständigen. Manchmal ist das gut (wenn man einen Löwen oder Tiger bereits aus seiner aus dem Gebüsch hängenden Schwanzspitze als vollständiges und gefährliches Raubtier identifiziert). Manchmal ist es schlecht. Ein Objekt, allerdings auch eine weitaus komplexere Sache (die Vorstellung über einen Sachverhalt oder eine Beziehung) kann also aufgrund minimaler Referenzkriterien als solche/s erfasst werden. Ob das Ergebnis immer stimmt, ist eine andere Frage! Der "Tigerschwanz" könnte tatsächlich nur ein Seil gewesen sein. Der umgekehrte Fall wäre, wenn sich das Gehirn oder ggf. auch das Subjekt schlichtweg weigert, einen bereits sehr weit angedeuteten oder ersichtlichen Sachverhalt zu realisieren. Denken wir z.B. an ein unter Schock stehendes Unfallopfer, dass die nahenden Sanitäter oder Feuerwehrleute als Feinde erachtet und vor ihnen flieht oder erbitterten Widerstand leistet.

Minimal-referenzwertige Repräsentation hat natürlich auch sehr direkt mit den sog. "Fuzzy-Effekten" der Wahrnehmung zu tun. Fuzzy (engl. für "unklar") steht für eine unscharfe Information. Das Hirn als "Fuzzy-System" ist darauf spezialisiert, mit undeutlichen Mustern klarzukommen (während ein Computer auf hoch präzise Symbole und Werte angewiesen ist- zumindest wenn wir von einem sehr klassischen Computer reden).

 

Abb.81 das verdeckte Wort könnten wir aufgrund einer Mustervervollständigung (der Buchstaben) lesen. Abb.82: Den Elefanten deuten wir im Sinne einer "minimal referenzwertigen" Repräsentation in das Punktemuster hinein!

 

Nicht zuletzt: "Perspektiven" und "Informationen" können ineinander umwandelbar sein, also ihre Identität wechseln!

Gedankenspiel: Ich behaupte gegenüber Dritten: "Michael Jackson ist von den toten auferstanden! Ich habe ihn in der Straßenbahn getroffen!" Diese Aussage ist gleichermaßen unwahrscheinlich wie unglaubwürdig. Meine Zuhörer werden dieser Information gegenüber skeptisch eingestellt sein. Skepsis wiederum kann als Attribut einer inneren, kognitiven Perspektive gedeutet werden. Die meinerseits geäußerte Information (Michael Jackson sei auferstanden) generiert oder verändert augenblicklich eine "Perspektive" des Zuhörers. Im nächsten Schritt wandelt sich diese "Perspektive" in eine Information über den Sprecher, den Informanten, um: Man wird mich vermutlich - je nach Deutung - für einen Lügner oder einen Verrückten halten.

 

 

FUNKTION

Es gibt die Realität, die Welt der Energie (Materie ist am Rande bemerkt äquivalent zu Energie). Und es gibt Informationen, die Welt der, Begriffe, Themen, Konzepte und Vorstellungen. Dazwischen liegen (neuronale) Funktionen. Auf makroskopischer Ebene ist die Unterscheidung nicht allzu schwer! Es geht um die Frage, ob ein realer Einfluss eine Information erzeugt oder verändert, oder ob eine Information durch eine anderweitige Information verändert wird bzw. aus ihr hervorgeht.

Auf kleinerer Skalierung innerhalb der neuronalen Informationsverarbeitungsprozesse wird die Unterscheidung zunehmend schwieriger, weil jedes Bild, jede Information und auch jeder Vorgang des Auslesens einer Information schließlich irgendein neuronales Korrelat aufweist, also sehr direkt mit der physikalischen Realität (Energieflüssen und Verknüpfungen von Neuronen bzw. Synapsen) in Verbindung steht.

Dennoch: betrachten wir den Begriff "Funktion" allgemein als eine physikalische Einflussgröße auf bzw. für das Generieren, Weiterleiten und Auslesen von Informationen. Unterscheiden wir fernerhin Informationen anhand des Grades ihrer "Direktheit" oder "Unmittelbakeit" (der Komplexität ihres Zustandekommens bzw. der Anzahl und Verknüpfung der daran beteiligten Hirnstrukturen und / oder funktionalen Cluster). 

 

Dann können wir zwischen Informationen unterscheiden, die sich "stärker" auf die Realität oder "stärker" auf anderweitige Informationen beziehen.

Ich denke, es gibt so etwas wie einen "Informations-Funktions-Dualismus", analog zur elektro-magnetischen Welle in der Physik, die sich (die elektro-magnetische Welle) ihre eigene raumzeitliche Strickleiter (der Fortbewegung) durch Wechselphasen elektrischer und magnetsicher Aktivität erzeugt! Eine auf komplexem Wege entstandene Information ist aber trotz höherer Funktionsparameter der für ihr Zustandekommen verantwortlichen Strukturen dennoch eine abstrakte Information, die ihrerseits auf Informationen beruht.

Ich kann also den Funktionsbegriff als den "physikalischen Aspekt" einer Information ("wie wird sie erzeugt?") auslegen. Demgegenüber steht der "virtuelle" Anteil einer Information ("was stellt sie dar?").

 

 

 

ICH/SELBST:

  Mögliche Teil-Erklärung:  Das Selbst oder ICH erscheint innerhalb der Gesamtheit der neuronalen Informationsverarbeitungsprozesses in wechselnder Ausprägung dort, wo zum einen die Bedingungen für die Entstehung von Bewusstsein gegeben sind ("funktionale Cluster"), und sich ferner innere (abstrakte, kognitive) Perspektiven ausbilden. Als mögliche 3. Vorbedingung vielleicht auch explizit dort, wo (zusätzlich) Informationen die "Relevanzschwelle" überschreiten, und sich zu einem "Thema" oder insbesondere einem "Problem", d.h. zu einer tendenziell negativen oder unlogischen (widersprüchlichen, unvollständigen oder vieldeutigen) Information entwickeln.

Das Selbst oder Ich weist eine besondere Doppelrolle auf: Es ist sowohl Gegenstand der Betrachtung (eine Information) als auch der Prozess des Betrachtens bzw. der Beobachter selbst (eine Funktion). Zudem hat es reale, physikalische Anteile (der physikalische Körper liefert über sensorischen Input einen Beitrag zur Selbst-Repräsentation). Ferner ist das Ich eine niemals vollständig vollendete, sondern eine sich fortwährend generierende, niemals in einen "Endzustand" gelangende Information, wodurch sie den denkbar "höchsten Grad an Aktualität" aufweist!

Ich möchte es mit einer "Wellen-Analogie" beschreiben: Eine große Welle im Wasser besteht aus einem Hauptkamm, sowie einem jeweils vor- und nachgelagerten Wellental (siehe Abbildung unten). Die Welle insgesamt bewegt sich über die Wasserfläche zwar fort (verändert also ihre Position), behält dabei aber ihre Struktur bei! Sie befindet sich zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten und besteht zu verschiedenen Zeiten auch aus anderen lokalen Wassermassen (tauscht also ihren "Inhalt"), sie hört aber solange sie sich fortbewegt "nie" auf gleichzeitig zu entstehen (vorgelagertes Tal), ein Maximum zu erreichen (Hauptkamm) und zu vergehen (nachgelagertes Tal).

 

Abb. 83: "(Ich-)Bewusstseinswelle" Analogie: Wellenkamm und Täler als Gesamtheit des ICH´s als einheitlicher Verbund latent abnehmender, zunehmender und maximal funktionswertiger Ich-Funktionen.
Abb. 84:  Besondere Markierung der "Teile" einer (Ich-) Bewusstseins-Welle
Abb. 85: zeitliche Ausdehnung der (Ich-) Bewusstseinswelle zwischen Orten
Abb. 86: Das ICH kann ggf. an drei "Orten" (deren funktionale Ausdehnung geringer ist als jene des ICH`s) gleichzeitig sein, aber nicht gleichzeitig in der derselben Funktionsstärke!

 

 

DAS ICH:  MISCHWESEN AUS FUNKTION UND INFORMATION

Das ICH oder SELBST ist ohne Zweifel die am schwierigsten zu beschreibende oder zu deutende Information überhaupt, die das Hirn generiert! Es verwundert nicht, dass selbst heute im beginnenden 21. Jahrhundert auch unter gebildeten Menschen das Konstrukt einer übernatürlichen Seele mangels falsifizierbarer naturwissenschaftlicher Erklärungsmodelle als eine (im Wortsinn) "glaub- würdige" Sichtweise überlebt!

Das ICH ist ein besonderes Mischwesen aus Funktion und Information. Wollen wir den Begriff der Funktion hier als eine Koppelungsebene zwischen der realen Welt (der Energie und Materie) und der Welt der Informationen (der Begriffe, Themen, Modelle und Repräsentationen) gelten lassen, konkreter als Beschreibung des Vorgangs einer Umwandlung von Realität in eine (für den Betrachter) verfügbar gemachte Information über die Realität!

Die Unterscheidung ist tatsächlich nicht ganz so einfach wie sich sie zunächst anhört! Denken wir an eine real gesehene oder auch nur mental vorgestellte Blume. Das vorhandene Bild, die Repräsentation wird ja durch eine bestimmte Verknüpfung von Nervenzellen erzeugt, sie hat ein "neuronales Korrelat". Also ist die Information gewissermaßen auch identisch mit einer Funktion, hier: zu einer neuronalen Verschaltung. Ebenso verändern sich im Augenblick des "Auslesens", der "Bewertung" dieses Bildes die Nervenverbindungen in höheren Assoziationszentren, was wiederum ein realer physikalischer Vorgang ist. Aber was wir mutmaßlich annehmen dürfen ist folgendes: Darstellung (Repräsentation) und Bewertung (kognitive oder allgemeine mentale Auseinandersetzung) erfolgen nie am selben Ort, es muss sich um getrennte Bereiche handeln! Zwar kann jedes Subsystem dass eine Information verarbeitet grundsätzlich seinerseits als Information (für andere Subsysteme) fungieren, aber eben nur aus einer anderen Perspektive heraus oder für eine andere Perspektive! Denken wir analog an einen Aufkleber, den uns jemand auf den Rücken klebt und den wir nur sehen können, wenn wir in einen Spiegel schauen oder von einer anderen Person darauf hingewiesen werden!

Natürlich darf nicht angenommen werden, dass jeder lokale, begrenzte neuronale Prozess zu Assoziationsleistungen taugt und komplexe Bilder (eines anderweitigen, hinlänglich "entfernten" oder "getrennten" Prozesses) erzeugen kann. Er kann aber zumindest "irgendwas" davon registrieren, sowie man ein Gepolter im Nachbarzimmer hören kann, ohne deswegen zu wissen, wer dort ist und was dort geschieht.  In manchen Fällen muss sich z.B. ein lokaler Such-Algorithmus vielleicht auch auf die Determination eines (falschen) Ergebnisses festlegen, um übergeordneten Funktionen dienstbar zu sein.

Unser Ich hat reale (materielle) Anteile, die sich aus der Selbst-Identifikation mit unserem Körper und dessen Zuständen (Viszero- und Propiozeption) ergeben, es hat funktionale Anteile (in Augenblick XY fühle ich mich soundso oder werde von der und der geistigen Regung geleitet) und natürlich auch informative Anteile (in Augenblick XY verfüge  ich dieses oder jenes Wissen bzw. diese oder jene Vorstellung über mich selbst).

Das ICH verfügt über einen Sonderstatus: Es ist gleichermaßen Beobachter (beobachtendes Subjekt) als auch Gegenstand der Beobachtung (Objekt).

Ferner ist es die einzige Information, deren Repräsentation niemals vollendet ist! Es ist eine sich stets generierende, also unaufhörlich im Entstehen begriffene Information, die nur unter der den dynamischen Bedingungen skalierender Effekte situationsbezogen und phasenweise (scheinbare) "Fixzustände" aufweist (siehe obige "Wellen-Analogie")!

 

 

 

 

Kapitel VIII
DER ERLEBENSPROZESS ALS EINE SICH SELBST ERZÄHLENDE GESCHICHTE
 

 

DAS SELBST- UND WIRKLICHKEITSERLEBEN IM WECHSELSPIEL VON  PERSPEKTIVEN

 

Ich lade den Leser neuerlich zu einem Gedankenexperiment ein:

 "Das total überwachte Haus"

Stellen wir uns Folgendes vor: Ein Haus steht auf einem umzäunten Grundstück. An den Eckpunkten des Grundstückes sind stationäre Überwachungskameras montiert, die in Blickrichtung zum Haus ausgerichtet sind. Im Haus wiederum befinden sich zahlreiche fest montierte Kameras in jedem Zimmer. Zusätzlich befindet sich ein ferngesteuerter Roboterhund mit Kameraaugen im Haus, der Treppen steigen, die Gänge abschreiten, die Zimmer betreten und notfalls sogar das Haus verlassen und sich im Außenbereich des Grundstücks aufhalten kann.

 

Abb.87: Im Haus sind zahlreiche Innen-und Außenkameras installiert und ein mobiler Roboter-Hund vorhanden.

 

Wir sitzen in einem Kontrollraum, zahlreiche Bildschirme vor uns liefern uns Kamerabilder von Objekten, Personen und Ereignissen im Haus. Ebenso können wir den Roboterhund steuern.

In obigen Ausrührungen haben wir elementare Begriffe und Unterscheidungsmerkmale besprochen: Realität beschreibt Objekte, Situationen und Ereignisse in der realen, physikalischen Welt, die unabhängig von unserer Wahrnehmung vorhanden sind. Die Realität hängt von "Energie" ab (Materie ist zudem äquivalent zu Energie). Seit dem Urknall bestimmen die elementaren Naturkräfte (starke und schwache Wechselwirkung, Elektromagnetismus und Gravitation) alles, was seither in einem expandierenden und sich ausdünnenden Universum geschieht.
Keine Realität ohne Energie!

Information beschreibt das Wissen oder die Erkenntnis eines wahrnehmenden, kognitiven (und ggf. bewussten) Systems über die Wirklichkeit. Informationen sind "Repräsentationen", "Abbildungen" der Realität oder aber abstraktere Abbildungen, die sich ihrerseits auf Informationen niedrigerer Dimension beziehen. Informationen sind von einen "Begriff" oder einem "Konzept" (was sie sind) oder zumindest einem "Thema" (für den Kontext des Erlebens oder der Beziehung zwischen Beobachter und beobachtetem Objekt) abhängig!
Keine Information ohne einen Begriff oder ein "Thema"!

 

Perspektive beschreibt den Prozess des Verfügbar-Machens von Realität als Information! Perspektive steht für "Ausrichtung" oder "gerichtet- sein" von Wahrnehmungsfunktionen. Perspektiven stehen mit "Prädestination", ggf. auch mit "Erwartung" und/oder "Vorurteil" in Verbindung (wenn wir von "höherpotenten", in die Schaltkreise der Selbst-Generierung involvierten und mitunter sogar bewussten Perspektiven des Subjekts sprechen). 

Man könnte fernerhin zwischen "schwachen", "non-personalen" Perspektiven als Bezeichnung für die Ausrichtung unbewusster, wenig rückkoppelnder Wahrnehmungsprozesse und "starken", bewussten Perspektiven unterscheiden, die in den akuten Prozess der Selbst-Generierung eingewobenen sind.
Keine Wahrnehmung ohne eine Perspektive!

 

Funktion haben wir als einen Art Hilfsbegriff, als Mittler zwischen Realität und Information betrachtet. Auch Wahrnehmungsfunktionen sind selbstverständlich Funktionen. Sie sind u.a. maßgeblich für die Qualität und Authentizität (bzw. Abweichung / Verfälschung) der generierten Informationen.
Keine Funktionen ohne neuronale Aktivität!

Ergänzend hierzu wurde überlegt:

Funktionen sind der physikalische Faktor der Informationserzeugung: Wenn ich z.B.  den Kopf nach links oder rechts drehe habe ich andere Inhalte in meinem Gesichtsfeld bzw. einen anderen visuellen Input. Oder denken wir an die Unmittelbarkeit von Schmerzempfindungen, etwa durch Hitze oder kinetische Einflüsse (wenn wir uns den Finger wo einklemmen)! Das Schmerzerleben ist ebenfalls Sache des Hirns, nicht des eingeklemmten Fingers und natürlich wird der Schmerz analog wie eine "abstrakte" oder "virtuelle" Information ebenfalls über Nervenleitungen weitergegeben. Dennoch ist er sehr viel direkter in der physikalischen Realität verankert und daher gewissermaßen eine "funktionale" Information, also eine Information, die sich nicht auf anderweitige Informationen, sondern sehr unmittelbar auf die "Realität" bezieht.

Es hängt also davon ab, wie viele und wie unterschiedliche Areale oder Strukturen zwischen "Ursprung" und dem "Ergebnis" einer Information zwischengeschaltet sind und wie stark sich die Information infolge der Wechselwirkung der beteiligten Strukturen verändern kann, also gewissermaßen vom Beginn weg (nicht) "determiniert" ist (der Ausgangsreiz kann viele Abzweigungen durchschreiten und mancherlei Veränderung erfahren). Beim Schmerzerleben sind wie angesprochen eher wenige und "einfache" Strukturen beteiligt. Die Nervenleitung zwischen Finger und Ellbogen ist wahrscheinlich nicht wesentlich anders als z.B. zwischen Lenden- und Nackenwirbelsäule.

In der Hierarchie des Hirns gibt es zum einen physikalisch festgelegte Strukturen unterschiedlicher Komplexität! Der sensomotorische Cortex (für das "Körper-Schema" zuständig) ist sicherlich um einiges einfacher aufgebaut als z.B. das Broca- oder Wernike- Areal (für Sprachproduktion/-erkennung zuständig). Der präfrontale Cortex wiederum ist um einiges komplexer als die vorgenannten Strukturen! Darüber hinaus gibt es aber auch eine "flexible Ordnung", eine sich funktional und dynamisch bildende Hierarchie in Form "funktionaler Cluster". Ein funktionaler Cluster ist ein neuronaler Zellverband, dessen beteiligte Neuronen untereinander stärker (rückkoppelnd) wechselwirken, als "nach außen" bzw. mit anderen Zellen oder Zellverbänden. Durch Clusterbildung kann innerhalb einer physikalisch  homogenen Struktur (wenn wir ein bestimmtes Hirnareal betrachten) sporadisch ein Gefüge von lokalen Arealen unterschiedlicher Komplexität entstehen, die sich hierarchisch auch in wechselseitige Positionen zueinander begeben (und sich ebenso auch wieder auflösen) können.

Betrachten wir dazu nachfolgende Bilder: Das Gewebe in den Würfeln ist absolut homogen. Ein Chirurg könnte keine voneinander abweichenden Strukturen unterscheiden. Die beispielhaft dargestellten Cluster (grüne und orange Struktur) sind spontan entstanden. Sie zeichnen sich durch ihre lokale (aber dynamische, veränderliche) Abgrenzung gegenüber dem restlichen Gewebe aus. Sie können sich natürlich auch wieder auflösen. In den Bildbeispielen "umkreisen" sie den Rraummittelpunkt. Innerhalb der Cluster besteht eine größere Verbindungsstärke zwischen den beteiligten Neuronen (gegenüber den "nicht beteiligten" Zonen).

 

Abb. 88: Innerhalb der Cluster haben die Neuronen eine stärkere Verbindung untereinander. Abb. 89: Die Cluster sind dynamisch, veränderlich. Sie "wandern", indem sie vormals involvierte Neurone von der Beteiligung ausschließen, hingegen andere neu integrieren.

 

 

 Wenn eine Information aber auf sehr komplexe Weise bzw. auf sehr komplexen Wege gebildet wird, entspricht sie viel mehr einer Abstraktion, einer indirekten, ihrerseits auf (anderweitigen) Informationen beruhenden Information, obwohl ein höheres Maß an physikalischer Funktion (Ausbildung und Zusammenschalten von Clustern und Arealen) an ihrer Bildung beteiligt ist!

D.h. eine Information ist dann "direkt", "unmittelbar" oder "funktional" bedingt, wenn eine geringe Menge an (physikalischer) Funktion sehr direkt zu ihrer Entstehung beiträgt und bis zum Punkt ihres "Auslesens" wenig Veränderungspotential vorhanden ist.

Auf Ebene der Neuronen und des Zusammenwirkens von Assoziationszentren und Clustern gibt es also einen "physikalischen Faktor", den man dem "virtuellen Anteil" der Darstellung und des Auslesens von Informationen  gegenüberstellen könnte! Wenn ich mir eine Blume bildlich vorstelle, werden deren Eigenschaften durch Verknüpfung von Nervenzellen repräsentiert. Sie hat sozusagen ein "neuronales" Korrelat. Allerdings: Auch der Prozess des Vorstellens an sich hat, wie alle kognitiven Aktivitäten, ein neuronales Korrelat, beruht auf sich dynamisch verändernden Verbindungen zwischen Neuronen oder ganzen Hirnbereichen. Und dieser Vorgang könnte aus einer alternativen, internen Perspektive heraus wiederum als eine Art Information registriert werden! Es liegt denke ich nahe anzunehmen, dass alle neuronalen Vorgänge innerhalb bewusstseins- und gedächtnisrelevanter Hirnbereiche sowohl mit der Generierung als auch mit dem Verarbeiten oder "Auslesen" von Informationen (ggf. gleichzeitig) befasst sein können. Allerdings kann eine bestimmte Information nicht an derselben Stelle ausgelesen werden, an der sie erzeugt wird! zwischen dem Gegenstand der Betrachtung und dem Vorgang des Betrachtens muss eine räumlich-funktionale Trennung liegen!

 

Nun aber zurück zum Bild des "total überwachten Hauses"

 

Was sich im Blickwinkel der Kameras befindet ist Realität, was auf den Bildschirmen im Überwachungsraum ankommt, ist Information (in diesem einfachen Beispiel darf eine hohe inhaltliche Übereinstimmung angenommen werden). Die vielen Kameras (deren Ausrichtung) entspricht den Perspektiven.

Die technischen Parameter der Kameras korrelieren hier mit dem Begriff der Funktion. Die räumliche Ausrichtung, ein etwaiger Schwenkradius (falls man die eine oder andere Kamera um 30 Grad nach links oder rechts drehen kann), eine Zoomfunktion, ein Infrarot-Modus für Aufnahmen bei völliger Dunkelheit, die Veränderlichkeit der Lokalisation (hier: die "mobile" Kamera im Roboterhund),... Diese Faktoren sind Wahrnehmungsfunktionen. Ein auf die Linse einer Kamera aufgeklebter Kaugummi oder ein zwecks Täuschung vor die Linse gehängtes Bild wäre allerdings ebenfalls eine Funktion!

 

Wie an anderer Stelle bereits dargestellt, existieren mögliche Umwandlungsvorgänge zwischen Informationen, Perspektiven und Funktionen!

Stellen wir uns vor wir sehen in einem Zimmer ein nicht eindeutig erkennbares (weil z.B. zu kleines) Objekt. Oder wir sehen jemanden aus dem Zimmer huschen, den wir aufgrund seiner Bewegungsgeschwindigkeit oder des ungünstigen Blickwinkels der lokalen Kamera nicht erkennen können. Im ersten Fall könnten wir versuchen, das Objekt zu zoomen, im zweiten Fall müssten wir auf eine andere Kamera im Nebenzimmer umschalten bzw. den mit ihr verschalteten Bildschirm betrachten. Es würden also anderweitige Perspektiven und/oder andere Funktionen benötigt bzw. ausgelöst!

Oder stellen wir uns vor im Schlafzimmer befände sich ein Liebespaar, dass zur Wahrung seiner Intimsphäre einen Kaugummi vor die Linse klebt. Die (Stör)funktion der Kamera wird zur "Information" über die Vorgänge im Zimmer. Wenn mir (als Beobachter) der Vorgang der Manipulation nicht bekannt ist, "sehe ich schwarz" und muss davon ausgehen, was sich sehe, sei die tatsächliche Information. Die Funktion wird also zur Information.

Ein anderer Sachverhalt: wir sehen eine Person, wissen aber nicht mit Sicherheit, in welchem Zimmer sie sich befindet (weil es z.B. zwei identisch eingerichtete Schlafzimmer gibt). Wir könnten den Roboterhund auf Suchpatrouille schicken. Wenn uns seine mobile Kamera sowohl die Person als auch die Kamera zeigt, aus der die erste Bildquelle stammt, wissen wir, woher die ursprüngliche Aufnahme stammt (aus welcher Kamera bzw. aus welchem Raum). Die (anfängliche) Perspektive wird zur Information.

 

Das Produkt des geistigen Erlebensprozesses resultiert aus der Summe der aktiven Funktionen (= Qualität der Umwandlungsprozesse von "Realität" in Information ), der Perspektiven (Ausrichtung oder "Vorbelastung" von Wahrnehmungsfunktionen) und den Repräsentationen bzw. Informationen an sich! Die Begriffe sind mitunter umwandelbar, wie am Vergleich der Begriffe "Information" und "Perspektive" bereits erläutert wurde. Bisweilen sind sie - je nach Art und Größenordnung des betrachteten Prozesses- auch nicht eindeutig trennbar.

 

Der Vergleich der Haus-Metapher mit den neuronalen Informationsverarbeitungsprozessen des Hirns hinkt naturgemäß gewaltig.

 

DER ERLEBENS-PROZESS IST EINE "SICH SELBST ERZÄHLENDE GESCHICHTE"!

Wir wissen, was eine Situation (Anordnung von bzw. Beziehung zwischen Objekten) und ein Ereignis (Veränderung von bzw. Interaktion zwischen Dingen) ist. Eine Geschichte oder Handlung unterscheidet sich gegenüber einem Ereignis in der nicht vorhandenen Gleichberechtigung der beteiligten Objekte! In einer Handlung oder Geschichte wird eine einzelne Person oder ein einzelnes Objekt zum "Hauptthema"!

 Eine Handlung unterscheidet sich vom Ereignis durch den Aspekt der Vorsätzlichkeit, der vorausschauenden und bewussten Aktivität von Personen (oder der zumindest zielstrebigen, motiv- bzw. bedürfnisgesteuerten Aktivität von Tieren) oder- wenn wir weder von (selbst-)bewussten noch von lebenden (motivations- und bedürfnisgesteuerten) Dingen (Tieren) reden, durch einen besonders hohen Status an Determiniertheit ("Vorherbestimmung"). Während sich ein "Ereignis" gewissermaßen in Folge-Ereignisse und -situationen "zergliedert" oder auffächert, beschreibt eine Geschichte den Fortgang der Entwicklung einer Person, eines Objekts oder einer "Sache" über mehrere Ereignisketten hinweg! Wenn ich auf einen Ameisenhaufen schaue und die unzähligen durcheinander laufenden Tiere sehe, entspricht dies einem Ereignis: viele einzelne Objekte verändern (gleichzeitig) ihre jeweilige Position zueinander. Wenn ich aber eine einzelne Ameise mit einem farbigen Punkt markiere und ihre Fortbewegung beobachte, handelt es sich um eine Geschichte, nämlich um die Geschichte eines einzelnen Objekts im zeitlichen Verlauf der Entwicklung einer ganzen Ansammlung von Objekten bzw. um den Entwicklungsverlauf eines Einzelobjekts in Gegenüberstellung zur Entwicklung des Gesamtsystems!

Und genau das ist eine der großen Preisfragen beim Bewusstseins-Problem: Wann und warum selektiert das Hirn ein Detail aus dem Gesamtkontext um es als gesonderte, vorrangige Einheit zu behandeln?

In der Natur, in der Welt der (physikalischen) Realität gibt es (neben Objekten) ausschließlich Situationen und Ereignisse! Handlungen und Geschichten gibt es nur für einen (bewussten) Beobachter!

 

Wie ein Ereignis nicht nur deklariert oder undeklariert, sondern insbesondere determiniert ("vorherbestimmt" in Bezug auf die Art oder der das Ergebnis bzw. die Weiterentwicklung) sein kann, kann auch eine "Geschichte" determiniert sein oder eben nicht. Je "kleiner" und undeklarierter die Geschichte ist, umso determinierter ist sie! Wenn mein Arbeitskollege im Büro sagt, er kocht sich jetzt eine Tasse Kaffee, so wird dies höchstwahrscheinlich auch geschehen! Die Handlung an sich ist leicht ausführbar, seine Motivation oder seine Handlungsfähigkeit werden sich binnen weniger Minuten wahrscheinlich nicht verändern!

Wenn mein Nachbar sagt, sein vor wenigen Tagen geborener Sohn wird einmal Diplom-Ingenieur, ist dies weniger determiniert! Weder Begabung und Intelligenz, noch Motivation und gesundheitliche Entwicklung des Säuglings sind vorhersehbar, ebenso wenig die künftigen Begebenheiten des Bildungssystems und der Arbeitsmarktbedingungen!

Noch einmal zurück zum Haus: Die "Geschichten" die wir sehen, können wir mitunter voneinander unterscheiden. Da gibt es zum Einen "ortsbezogene Geschichten": solche, die sich im Wohnzimmer, in der Küche, auf dem WC, im Schlafzimmer usw. abspielen. Ferner gibt es "handlungsbezogene" Geschichten: Person A geht nacheinander an Ort oder in Raum X1, X2, X3, usw... und vollzieht dort Handlung Y1, Y2. Y3 usw...

 

Im Erlebensprozess ist das "Hier und Jetzt" das Hauptthema und das "ICH" die Hauptperson! Das "Hier und Jetzt" ist ein Ausdruck höchster Aktualität, das ICH das höchstpotente Ergebnis eines latenten Prozesses der Subjektivierung!

 Das ICH könnte man ferner als einen Repräsentanten für das Problem der Sterblichkeit verstehen, der die "Bedeutung" für die Zweckmäßigkeit der allgegenwärtigen Synchronisation lebenserhaltender Organfunktionen in die höheren Ebenen des Bewusstseins extrapoliert ("Algorithmen" oder Regelschaltkreise machen sich keine Sorgen über den Tod, auch ein Roboter hätte kein Problembewusstsein gegenüber seiner eigenen Vernichtung)!

Die "Geschichte" des Lebens erscheint uns immer irgendwie "stimmig" (außer wir leiden an Schizophrenie)! Damit eine Geschichte "stimmig" ist, muss sie entweder logische Informationen enthalten (dann ist sie in Bezug auf den Inhalt des Erlebten "logisch", also nicht widersprüchlich, unvollständig oder vieldeutig) oder eine latente Generierung / einen latenten Übergang an Wahrnehmungsperspektiven und -funktionen erzeugen, innerhalb derer das Selbst im Kontext zu seinen "Problemen" relativ analog oder zumindest "unkompliziert" dargestellt ("reflektiert") werden kann. Dann ist der Erlebensprozess insgesamt "logisch". Soll heißen: es gibt eine "semantische" Logik (was ich wahrnehme) und eine "funktionale" Logik (wie ich wahrnehme).

 

Im Gegensatz zur Modellvorstellung des "total überwachten Hauses" sind wir im tatsächlichen Erlebensprozess keine "externen Beobachter" die sich in einem geheimen Kontrollraum befinden! Wir sind unsrerseits das Produkt einer "internen Sensorik" des Hirns! Und die "Räume" (des Hauses) sind im Hirn mitnichten strikt getrennt, sie werden vielmehr durch einen immerwährenden "Skalierungs- und Partitionierungsprozess" gebildet, die "Wände" können sehr flexibel hochgezogen und auch in ihrer Position verändert werden!

Wir haben das Ausbilden von Perspektiven als eine Methode der Informationsgenerierung erwähnt, derer sich das "System", das Hirn an sich, bedient! Als bewusster Beobachter, als Selbst hingegen bediene ich mich (u.a.) der Methodik des Denkens, um mit einer bestimmte Art von Informationen, nämlich "unlogischen" oder "unerfreulichen" (dem Überlebensvorteil oder Lustgewinn widersprechenden Informationen) umzugehen.

Dazwischen gibt es eine nicht oder nur gefühlsmäßig bewusste "aktive" Art der Informationserzeugung mittels "Agenten" oder "Algorithmen". Im Hirn werden Informationen nicht nur analog wie in den Druckleitungen eines U-Boots je nach "Druckunterschieden oder -verhältnissen"  "selbständig" hin- und hergepumpt. Es gibt "selbständige Programme", eben Algorithmen, die aktiv nach einfachen oder komplexeren Mustern und Kontexten "suchen". Sie reiten gewissermaßen auf den internen Perspektiven, vereinnahmen sie mitunter. Denken wir wieder an das überwachte Haus: Wenn ich einer sich bewegenden Person folgen will, schalte ich gezielt immer auf die dafür erforderlichen Kameras weiter. Diese Algorithmen können nach sehr speziellen Mustern suchen oder eine sehr allgemeine Meta-Funktion (etwa das Angleichen oder Abstrahieren von bzw. zwischen Informationen) aufweisen.

Bezüglich der vielfach angesprochenen Perspektiven könnte man drei grundsätzliche Funktionsmodi postulieren:

"globale", "schwache", non-personale Persepktiven: sie stehen für eine "triviale" Sensorik, für einfache Mustererkennung.


gekoppelte, funktional wechselwirkende Perspektiven: sie ermöglichen Kontexterkennung


"personale", starke Perspektiven: sie sind in die funktionalen Strukturen des bewussten Ich`s eingebunden

Wenn Perspektiven oder Algorithmen aufeinander treffen, sich sozusagen in die Quere kommen, kann zweierlei passieren: Entweder wird eine der Perspektiven zur Information für die andere. Oder sie wechselwirken funktional je nach den gegebenen Bedingungen in konkurrierender oder sich verstärkender Weise. Bei funktionaler Verstärkung wird der Wahrnehmungsraum "höher" (grobrastriger), bei funktionaler Konkurrenz "niedriger" (kleinrastriger) skaliert. Denken wir wieder an die Haus-Metapher: Ich kann (als externer Beobachter im Kontrollraum) den Roboterhund steuern, um einer Person zu folgen. Nachdem diese ein Zimmer betritt, sehe ich aus der "Hunde-Perspektive" die stationäre Kamera an der Wand und registriere sie als Objekt. Oder ich betrachte die verfolgte Person nun von vorne (durch die stationäre Kamera) und hinten (durch die "Hunde-Camera") gleichzeitig, weil ich den Inhalt beider Bildschirme sofort als zusammenhängende Informationen deute.

 

 

WIE LÖST DAS HIRN DAS HIERARCHIE- PROBLEM

Die Bedeutung einer Information kann sich auf verschiedene Weise ergeben:

* Aus der Art des zugrunde liegenden realen Objekts (im Falle einer direkten Sinneswahrnehmung) bzw. der Art der zugrunde liegenden Informationen (in Falle einer Abstraktion, der Bildung eines Konzeptes)

* Aus Menge, Art und Zusammenspiel der Wahrnehmungskanäle/Perspektiven

* Aus der Funktionsstärke der jeweiligen Wahrnehmungskanäle/Perspektiven

* Aus der Konnektivität der an der Generierung und/oder dem Auslesen beteiligten Strukturen

* Vom Status (Zustand) des Beobachters

 

Im Gehirn zirkulieren ständig Informationen in Schleifen. Die Verbindungen reichen von einfachen zu komplexen Strukturen (real-physikalischen oder flüchtigen, dynamischen Clustern) und wieder zurück. Aber es gibt kein "totales Zentrum", keine "ultimative" Instanz! Es gibt vielmehr lokale Flüsse (analog für einfaches Weiterleiten) und Seen (analog für parallel repräsentierte Informationen, zwischen denen keine unmittelbaren Reaktionen erfolgen oder die sich jedenfalls vorläufig nicht zu einer größeren Einheit zusammenführen lassen). Die meisten von uns kennen wohl das Spiel Tetris: geometrische Figuren regnen herab und man muss sie möglichst schnell und ökonomisch auf- und nebeneinander platzieren. In manchen Fällen klappt es sofort ("Fluss"), manchmal bildet sich aber eine Art "Stau" oder "Blase" ("See") und man muss warten, bis die Bedingungen aus der Summe nachfolgender Elemente günstig sind, um wieder einige Objekte ökonomisch aufeinander zu türmen. Es ist also entweder eine "direkte Reaktion" möglich oder der Aktionsraum dehnt sich infolge vorläufig nicht behandelbarer Objekte aus.

Im Gehirn muss aber eine lokal "unentschiedene" Situation nicht zwangsläufig den Betrieb aufhalten. Sie kann aufgrund eines (ggf. zufälligen) "Repräsentanten" nach dem "pars-pro-toto-Prinzip" für eine anderweitige Instanz als "determiniert" oder "vollendet" erachtet bzw. weiterbehandelt werden!

Es gibt natürlich nicht nur verschiedene Arten von Informationen (analog zu den "Tetris-Körpern"), sondern verschiedene, mitunter auch konkurrierende Algorithmen und Prozesse der Perspektivengenerierung , die u.a. Ergebnisse/Werte in Bezug auf Objekterkennung, Kontextanalyse, Zeitdefinitionen und dem Grad der Intentionalität liefern.

Der langen Rede kurzer Sinn:

ich denke es gibt zwei primäre Mechanismen, die letztlich dafür sorgen, dass immer entweder eine vordergründige Information (Thema oder Repräsentation) oder eine vordergründige Funktion (Generieren/Kallibrieren von Perspektiven und Algorithmen) vorherrscht und wir deshalb immer das Gefühl haben, uns innerhalb einer "logischen" und "vollständigen" Handlung zu befinden!

 

 

SKALIERUNG und funktionale CLUSTERBILDUNG

 

Skalierung gestattet es dem System, selektiv nach einer notfalls sogar zufälligen Priorität (Zeit- oder Kontextdefinition) den Wahrnehmungsraum zu zergliedern, Vollständigkeit oder Anteilsmäßigkeit lokal festzulegen und Teile wie Ganzes in wechselnder Form gegenüber in Beziehung zu setzen. 

Das Problem ist Folgendes: wenn sich Dichte und Komplexität einer "nach oben weitergereichten" Information stets erhöhen und zur Wahrnehmung oder Integration einer komplexen Information stets ein noch komplexeres System erforderlich ist, kommt man irgendwann "ins Unendliche"! Man hätte also dasselbe Problem wie die Kreationisten, die behaupten, die Kräfte der Thermodynamik und der Evolution wären unzulänglich, um eine Welt und lebensfähige Wesen hervorzubringen! So wie es eines übernatürlichen Gottwesens bedürfe, um eine Welt zu schaffen, so bedürfe es wohl einer übernatürlichen Seele, um Bedeutung, Sinngehalt und Kontext all dieser mannigfachen Informationen im Hirn (einschließlich des "Selbst-Bezuges" zwischen Subjekt und Erlebten bzw. der Selbst-Generierung) zu gewährleisten, weil jedes physikalische System aufgrund funktional begrenzter Möglichkeiten dies gar nicht leisten könnte!

Nun, das Hirn hat Möglichkeiten, wieder auf eine "Abwärtsspirale" umzuschalten und den Wahrnehmungsprozess  dennoch weiter am Laufen zu halten! Eine komplexe Information kann durch einen alternativen Repräsentanten, einen skalierten Bereich oder durch ein alternatives Ordnungsprinzip vorübergehende Dominanz erlangen! So wie nicht alles jemals Erlebte und Erlernte in unserem Gedächtnis haften bleibt, so bereinigt natürlich auch unser Aktualbewusstsein latent seinen Arbeitsspeicher. An einem Punkt starker interner Komplexität dominieren z.B. wieder "funktionsbasierte" Informationen aus tieferen Schichten oder eine Emotion oder Empfingund bündelt und vereinfacht unterschiedliche Informationen, die rein semantisch nicht unbedingt vereinbar wären, unter einem vereinheitlichenden Prinzip, so dass letztendlich das "Einfache" das "Komplexe" dominiert bzw. integriert!

"Höchste Priorität" kann eine Information bspw. durch hohe Verdichtung, durch hohe begriffliche oder konzeptuelle Präzision aufweisen. So wie z.B. ein Kaiser oder ein Diktator durch die Machtfülle seiner einzelnen Person zur obersten Instanz wird. "Höchste Priorität" kann eine Information aber auch durch räumliche Verteilung sowie aus einer Mehrzahl an (idealer Weise verschiedenartigen) Repräsentanten aufweisen, so wie etwa die Europäische Union, die Nato oder auch die Mafia zwingend verschiedene Personen mit verschiedenen Befugnissen in verschiedenen Positionen an verschiedenen Örtlichkeiten benötigt.

Die Wirkung (Funktion) oder Darstellung (Repräsentation) einer Information kann sogar gerade durch eine schwache Ausprägung und Undefiniertheit begünstigt werden, weil eine weniger ausgeprägte Information bindungsfähiger bzw. konnektiver ist, und so für mehrere, durchaus unterschiedliche Perspektiven und/oder Algorithmen infolge "minimal referenzwertiger" Prinzipien ein Funktionsauslöser sein bzw. als "Baustein" fungieren kann (also stärker deutungs- bzw. interpretationsfähiger ist).

Für unsere Hintergrundempfindungen, Emotionen, etc. ist mitunter das kollektive "Rauschen" von Subfunktionen verschiedener (höherer, kognitiver) Funktionen der Wahrnehmung verantwortlich, die für sich genommen keine semantisch- logischen Ergebnisse liefern, deren Aktivität aber aus der Perspektive einer allgemeinen "internen Sensorik" registriert wird, so wie ich z.B. auf einem Schiff den Motor vibrieren spüre.

Man kann, wie bereits angesprochen grundsätzlich zwischen "Wirkung" und "Bedeutung" einer Information unterscheiden. Eine Bedeutung hat sie, wenn sie als konkreter (begrifflicher oder sinnbildlicher) Inhalt wahrgenommen wird. Eine Wirkung hingegen hat sie, wenn sie den Zustand des Beobachters (Aufmerksamkeit, Interesse, kognitive oder emotionale Reaktion) beeinflusst.

 

Abb.90  

Abb.91

Beispiel einer räumlich verteilten Information mit "gleichartigen" Repräsentanten innerhalb der lokalen Speicher. Nehmen wir an, dass große A stünde für "Arnold Schwarzenegger". Ich habe seine Person mglw. unter separaten Kategorien abgespeichert: Schauspieler, Politiker, Bodybuilder. Das durchgestrichene A bedeutet, dass einer der (gleichen) Repräsentanten in einer speziellen Kategorie gelöscht wurde. In diesem Fall würde sich die Information "abschwächen", dessen ungeachtet aber ihr Profil insgesamt beibehalten. Aus dem "stärkeren" wird ein "schwächeres" A.

 


Abb.92:

 

 

Abb.93:

Beispiel einer räumlich verteilten Information mit "verschiedenen" Repräsentanten. Stellen wir uns vor, die Kanone, die Begriffe "Katholische Liga", "Protestantische Union" und die Jahreszahlen 1618-1648 stehen für das Konzept "Dreißigjähriger Krieg. Durch den Verlust der Jahreszahlen können die verbleibenden Informationen nicht mehr das vormals gegebene Gesamtkonzept repräsentieren....... ....... Insofern handelt es ich eigentlich auch nicht mehr um "Repräsentanten" des ursprünglichen Konzepts sondern allenfalls um "selbstbezügliche" oder in anderweitigem Kontext integrierbare Informationen! In Fall von Abb.91 hingegen wurde die Information "verstümmelt", in ihrer Natur abgeändert!

 

Insbesondere das ICH muss weder durch ein bestimmtes Bild repräsentiert sein, noch durch eine konkret vorgegebene Funktion gebildet, noch aus einer konkret vorgegebenen Perspektive erlebt werden! Alles ist zu einem gewissen Grad variabel!

Ebenso können innerhalb einer homogenen physiologischen Struktur, auch wenn sie sehr hohe Komplexität aufweist (nehmen wir den präfrontalen Cortex) durch funktionale Clusterbildung Gebiete unterschiedlicher Ordnung dynamisch-flexibel erzeugt und mit vorübergehender funktionaler Dominanz versehen werden!

In einer klassischen Theatervorführung müssen natürlich erst die Bühne, dann die Requisiten, dann die Schauspieler (und dann ggf. der Hauptakteur) aufgebaut werden bzw. erscheinen. Im Hirn kann das alles zwar nicht "uneingeschränkt" durcheinander, sehr wohl aber zu einem gewissen Grad parallel ablaufen.

Die ist u.a. deshalb möglich, weil sich die einzelnen Komponenten - je nach Perspektive- "nur" in der Art ihrer Erzeugung, oder "nur" in der Art ihrer Repräsentation oder "nur" in der Art ihrer Funktion ausbilden, ändern oder unterscheiden - und je nach selektiver oder komplementärer Ausprägung Einfach- oder Mehrfachfunktionen übernehmen können! 

 

 

Erzeugung von "Vollständigkeit" durch Reflexion oder Projektion 

Im bewussten Erleben operiere ich mit den Begriffen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die Gegenwart ist eine im Grunde imaginäre Zeit. All meine Gedanken, Emotionen und sonstigen Wahrnehmungen beziehen sich entweder auf die Vergangenheit (Erinnerungen) oder die Zukunft (Pläne, Entscheidungen). Beim bewussten Erinnern unterteile ich meine Biographie in irgendwelche zeitlichen Szenen, Episoden und Kapitel.

Folgende Zeichnung soll dies verdeutlichen:

Die Buchstaben in der oberen Zeile stehen für ein "Kapitel" der Vergangenheit, welche sich vornehmlich durch äußere Bedingungen oder Begebenheiten definieren. Die unteren Zahlen stehen für Zustände und Erlebnisse des Subjektes, die während der äußeren Rahmenbedingungen vorherrschend waren oder mit denen sich das Subjekt rückwirkend identifiziert.

Abb.94: Erinnerungen

A könnte meine Kleinkindzeit, B, C, D, E für meine Kindergarten- Grundschul- Schul- und Lehrzeit stehen. Die untenstehenden Zahlen entsprechen analog meinen Selbstdefinitionen, die mit den äußeren Ereignissen korrelieren. 1 war der Zeitraum, als ich nachts noch gelegentlich bei den Eltern schlief (korrelierend mit Kleinkindzeit), 2 war der Zeitraum, in dem ich mich u.a. vor Hunden fürchtete (korrelierend mit Grundschulzeit).

Ich kann meine biografische Vergangenheit auch nach anderen Kriterien ordnen, etwa nach Zeiträumen, in denen ich krank oder verliebt war. Natürlich verspachteln sich auch Kapitel der Vergangenheit. Der rote Balken über den Buchstaben B und C im unteren Zeitstrahl könnte eine Erkrankung markieren, die sich jeweils anteilsmäßig über meine Kindergarten- und Grundschulzeit erstreckt hat. Oder ein etwas erweitertes Beispiel: "Ich bekam einen gelben Bagger geschenkt, als mein Vater Schützenkönig war. Er war Schützenkönig als ich die Masern hatte und ich hatte die Masern, als ich in der Grundschule war."

 

ZEITDEFINITION DES BEWUSSTEN ERLEBENS


Abb. 95: sich überlagernde Erinnerungen

 

Der Zeitstrahl könnte aber auch für eine sehr kurzfristige Vergangenheit stehen, etwa der letzten Woche, den vergangenen Tag oder die vergangene Stunde. 1 und 2 könnten im letztgenannten Fall für die zeitlichen Momente stehen, in denen ich meinen Kaffee umgerührt und Milch nachgegossen habe. Ich habe also immer irgendwelche "Hauptkapitel" oder "Leitthemen" unter denen ich anderweitige Ereignisse zeitlich und inhaltlich zuordne. Will ich mich daran erinnern wann mein Kollege heute angerufen hat, könnte ich z.B. sagen:" Er rief an, als ich gerade dabei war Kaffee zu trinken".

Die Vergangenheit an sich ist unveränderlich (im Gegensatz zu den Erinnerungen, die sich mitunter verfälschen) und sie kann aus einer aktuellen Perspektive unter X-beliebigen Aspekten in thematische Kapitel unterteilt werden. Die (real oder vermeintlich) "determinierten Aspekte der Zukunft" sind wie an anderer Stelle angesprochen ebenfalls unveränderlich (oder werden als unveränderlich empfunden/bewertet) Meine Selbst-Definition in der Gegenwart ist komplizierter. Ich identifiziere mich i.d.R. mit einer vordergründigen Wahrnehmung oder Aktivität. Ich bin derjenige, der jetzt Auto fährt, jetzt Radio hört, jetzt arbeitet, der sich jetzt langweilt oder der jetzt nicht so recht weiß, was er tun soll. Normalerweise verzichte ich aber auf bewusste Selbst-Definitionen sondern identifiziere mich einfach nur unwissentlich und unbewusst mit den Erlebensinhalten, die gerade vorherrschen. Besser gesagt, mit den geistigen Regungen die gerade vorherrschen. Zumeist bewegt mich eine nachfolgende Geistesregung, ein nachfolgender Impuls und nur selten meine willentliche Entscheidung dazu, mich gedanklich oder in Bezug auf meine aktuelle Tätigkeit neu auszurichten (d.h. ich denke mir z.B. nicht bewusst: "Jetzt höre ich damit auf den Kaffee umzurühren").

 

Die neuronalen Prozesse, die u.a. meine Selbstwahrnehmung erzeugen bzw. zu meiner Selbst-Identifikation führen, unterteilen sich u.a. in projizierende (zukunftsbezogene - i.d.R. planende und entscheidende) und reflektierende (vergangenheitsbezogene - i.d.R. erinnernde und bewertende) Prozesse. Diese sind gleichzeitig aktiv, erreichen aber nur einzeln und nacheinander einen Zustand höchster Aktivität bzw. Dominanz. Reflektierende Wahrnehmungsprozesse sind jene, die verschiedene Inhalte zu Einheiten bündeln (etwa wenn ich verschiedene Erinnerungen unter "Grundschulzeit" kategorisiere). Sie sind zwangsläufig in die Vergangenheit gerichtet. Ferner ordnen sie Inhalte chronologisch hintereinander an (auf die Grundschulzeit folgen die weiteren schulischen Lebensabschnitte).

Abb.96: Reflektierende Prozesse ordnen Inhalte zeitlich nacheinander

 

        

Abb.97,98: Reflektierende Prozesse bündeln Inhalte zu größeren Informationseinheiten

Im Fall der bewussten Erinnerungen sind es also irgendwelche vergangenen Szenen, Episoden und Kapitel (wie "Schulzeit" oder "Kindheit") unter denen ich das Wissen um meine eigene Vergangenheit organisiere.

 

Projizierende Prozesse sind in die Zukunft gerichtet. Sie lösen Inhalte aus übergeordneten Strukturen und Kontexten (Ebenen) heraus, selektieren, entscheiden. Im Maßstab des bewussten Erlebens handelt es sich vornehmlich um Entscheidungsprozesse ("Was nehme ich alles mit in den Urlaub?"). Ferner stellen projizierende Prozesse verschiedene Inhalte zeitlich nebeneinander.

Abb.99: Projizierende Prozesse stellen Inhalte zeitlich nebeneinander.

     

Abb.100,101: Projizierende Prozesse lösen Informationen grundsätzlich aus übergeordneten Kontexten heraus

 

Ich erinnere an die Begriffe bzw. Unterscheidung zwischen "Innen-" und "Außenperspektive".

Was ich aus einer Außenperspektive heraus betrachte, empfinde ich als "Einheit"! Ich sehe die "ganze Straßenbahn", den "ganzen Supermarkt", das "ganze Krankenhaus". Ferner gilt. Was ich aus einer Außenperspektive heraus wahrnehme, ist für mich Vergangenheit oder "determinierte Zukunft".

Was ich aus einer Innenperspektive heraus erlebe, empfinde ich als "Vielfalt" oder zumindest als "skaliert"! Es gibt Orte, Richtungen und Unterschiede (etwa verschiedene räumliche Bereiche in der Straßenbahn oder im Supermarkt). Was ich aus einer Innenperspektive heraus erlebe, ist Gegenwart oder unmittelbare (nicht determinierte) Zukunft! Es gibt offene Ergebnisse, unvollendete Inhalte,..

Das gilt für den "bewussten Beobachter". Aber auch für die bewusstseinsgenerierenden bzw. bewusstseinsrelevanten Prozesse des Hirns an sich trifft dies in gewissem Maße zu. Sowohl Informationen als auch Funktionen können vollständig oder teilweise repräsentiert bzw. aktiviert sein. Das hängt nicht zuletzt auch davon ab, auf welcher Größenordnung, auf welcher Skala sie aus welcher Perspektive betrachtet und infolge welchen Prinzips als Repräsentant für welche Information erachtet werden!

Bin Ich eigentlich derjenige, der ein Thema auswählt oder sich vorgeben lässt, bin Ich derjenige, dessen Wahrnehmung zwischen verschiedenen Themen oder Ebenen pendelt oder bin ich derjenige, der ein Thema oder die Ebene wechselt? Bin ich alles gleichzeitig oder nacheinander?

 In der bewussten Erinnerung oder der unbewussten Reflektion identifiziere ich mich i.d.R.  mit mehreren zeitlich aufeinander erfolgten Erlebens-Sequenzen und Zustandsformen des Selbst. In der kognitiven, zeitlich vorwärts gerichteten Auseinandersetzung mit einer Erlebens-Situation kann ich hingegen nur punktuell präsent und nur mit einer einzelnen Subfunktion  "identisch" sein.

 Ich nehme an, die Menge und Stärke der reflektierenden Prozesse ist immer stärker als jene der kognitiven bzw. projizierenden. Ich kann zu einem gewissen Grad "passiv wahrnehmen", also Eindrücke erleben, die ich nicht kognitiv weiterverarbeite. Ich kann aber unmöglich irgendwelche gedanklichen Assoziationen vollbringen, ohne mir nicht zwangsläufig deren Präsenz und der eigenen Verwobenheit in die betreffende Situation bewusst zu sein.

 

Der kleinstmögliche Schritt einer bewussten Reflexion (einer "Rückschau" oder "Erinnerung") beinhaltet zwingend sämtliche 4 der weiter oben angesprochenen zyklischen Funktionsmuster des SELBST (Ich, Es, Beobachter, Akteur). Den kleinstmöglichen Schritt einer projezierenden Wahrnehmung, Assoziation oder Handlung kann hingegen bereits eines der genannten Funktionsmuster als "vollständiger Repräsentant" des Selbst vollziehen!

 

TEILE UND GANZE

Betrachten wir ein Beispiel aus der physikalischen Realität: Ich zerlege irgend etwas. Dies kommt entweder einer Zerstörung gleich (wenn die dadurch entstehenden Teile weder in das Ursprungsobjekt, noch in anderweitige Objekte zurück- oder umgewandelt werden können) oder einer Zerlegung. Im Falle einer Zerlegung ist zu unterscheiden: Ist das Ursprungsobjekt wieder herstellbar (so wie ich z.B. einen Henkel an eine Tasse wieder ankleben kann) oder können möglicherweise alternative Objekte daraus gebildet werden (aus einem zerlegten Lego-Schiff könnte man z.B. ein Lego-Flugzeug bauen). Entstehen also dsyfunktionale, spezifisch funktionale oder allgemein ("universell")  funktionale Teile?

Innerhalb der komplexen Vorgänge im Gehirn wird der allgemeine Wahrnehmungsraum ständig skaliert und partitioniert, u.a. infolge der Wechselwirkung gleichzeitig aktiver Algorithmen und ihrem jeweiligen subtilen Einfluss auf denselben.

Für konkurrierende Funktionen (Perspektiven, Algorithmen) können Objekte selektiv sowohl als dysfunktionales, als spezifisch funktionales (in Bezug auf ein "determiniertes Ganzes") sowie als allgemein funktionales (in Bezug auf ein "undeterminiertes Ganzes") Teil erachtet werden!

Fakt ist: je unspezifischer eine Information repräsentiert wird, um so  durchlässiger und wandlungsfähiger ist sie. Und je schwächer eine (Wahrnehmungs)funktion ausgeprägt ist, umso "gleichartiger" verhält sie sich in Bezug auf andere solche Funktionen. Auf Funktionen bzw. algorithmische Prozesse trifft ähnliches zu. Abhängig vom Status des allgemeinen Wahrnehmungsraumes oder eines seiner skalierten Abschnitte unterscheiden sie sich mitunter nur in den jeweiligen Leistungsspitzen voneinander, wirken ansonsten aber ähnlich! Man kann einen Tiger und eine Gazelle vorübergehend ins gleiche Gehege sperren, wenn der Tiger zu satt zum Fressen und die Gazelle zu müde zum Rennen ist!

Erzeugen, Weiterleiten und Auslesen von Informationen funktioniert im Gehirn überwiegend räumlich verteilt! Sinn und Vollständigkeit einer Information, ja selbst des Selbst-Erlebens bzw. der Integration des Selbst-Bildes in den Prozess des Erlebens werden sowohl von Ort, Art des Erzeugens, als auch des Weiterleitens und des Auslesens einer Information bestimmt!

Der Gesamt-Erlebensprozess besteht (wenn wir ihn analog zu einer Theaterbühne betrachten) zwingend aus einem "allgemeinen Wahrnehmungsraum" (der Bühne), aus hintergründigen Inhalten (den Requisiten), einer vordergündigen Handlung oder einer Hauptperson (im Hirn: das fiktive "Hier und Jetzt" bzw. das ebenso fiktive "ICH") und einer Darstellung des Kontextes zwischen Haupthandlung/ -person und koexistenten Inhalten.

Gefühlt existieren und entwickeln sich die Komponenten gleichberechtigt und stets gemeinsam fort. Das ist mitunter ein Irrtum. Sie können sich gegenseitig integrieren und wieder auseinander hervorgenen!

Dies führt auch nicht zwingend zu einem Zirkelschluss in dem Sinne, dass eine bestimmte Sache, deren Existenz als  Vorbedingung für eine andere bestimmte Sache gilt, vormals mit dem zweiten Objekt eine Einheit gebildet hat.

Während der verschiedenen Stufen ihrer jeweiligen Entwicklung bzw. vorübergehenden Vereinigung können die beiden Einheiten von wechselnden Bedingungen abhängig gewesen oder durch andere Details (oder eine alternative Verknüpfung von Details) gebildet worden sein?!

 

Abb.102: Objekt X übt eine Wirkung auf Objekt Y aus und sorgt so für eine bestimmte (neue) Eigenschaft (Vergrößerung) von Objekt Y.
Abb.103: Nun übt Objekt Y seinerseits eine Wirkung auf Objekt X aus und verhilft ihm ebenfalls zu genau derselben neuen Eigenschaft (Größe). Ein Zirkelschluß infolge Missachtung des Faktors der Vorbedingtheit?
Abb. 104 Nein!
Objekt X und Objekt Y können zu den jeweiligen Zeitpunkten ihrer oben beschriebenen Wechselwirkung infolge einer jeweils unterschiedlichen Verknüpfung mit Umweltobjekten (rote und blaue Linien) über unterschiedliche Eigenschaften und Wirkungspotentiale verfügt haben!
Abb. 105 Das X, welches die gleichartige Rückwirkung von Y erfährt ist nicht mehr dasselbe X, dass es zum Zeitpunkt seines eigenen Wirkens gegenüber Y war.

 

 

Warum arbeitet das Gehirn überhaupt mit so vielen inneren Perspektiven?

Perspektiven sind u.a. auch "Filter", "Zensoren"! Das System muss Echtzeit-Umweltwahrnehmungen und Echtzeit-Körperwahrnehmungen zu einem Gesamtbild vereinen. Darüber hinaus gilt es, künftige Körper- und Umweltzustände zu errechnen. Gleichzeitig fließen neue, aktualisierte Umwelt- und Körperinformationen in den Verarbeitungsprozess mit ein während erstellte Prognosen gegeneinander abgewogen und mit realem Input verglichen werden müssen. Allein schon die Konkurrenz bei der Aufnehme von Inhalten der realen Umwelt (die Umweltinformationen können schließlich unmöglich in ihrer vielschichtigen Gesamtheit aufgenommen werden) wird dadurch verkompliziert, dass nicht nur externe Inhalte gegeneinander um "Einlass" in die Ebene der kognitiven Wahrnehmung ringen, sondern sich zudem interne Mechanismen (z.B. Algorithmen für Mustervervollständigung) in sich verstärkender oder konkurrierender Weise auf diese Informationen stürzen.

Ein Beispiel: wenn ich mir nicht sicher bin, ein Flußpferd oder ein Nashorn zu sehen (wenn das Hinterteil aus dem Gebüsch ragt, ist die Befundlage zunächst fraglich) hängt dies nicht nur mit der Unvollständigkeit des externen Inputs, sondern auch mit dem Wettbewerb verschiedener "Fuzzy-Prozesse" zusammen, die voneinander abweichend auf "Flußpferd" oder "Nashorn" plädieren!

 

Es gibt genügend Übergänge und Schnittstellen, an denen sich Informationen in die Quere kommen können :

Übergang von Materie zu Geist (also von organischer Aktivität in geistiges Erleben) bzw. von Realität in Information, von tatsächlich vorhandenen Inhalten der Umwelt in geistige Repräsentationen (Bilder, Vorstellungen, Konzepte).

Übergang von unbewusster zu bewusster Information ("Wahrnehmungsschwelle").

Übergang von rein "sachlichen" in "moralische" (uns subjektiv betreffende) Informationen und umgekehrt (siehe Ausführungen zu "moralischen Perspektiven" in Kapitel III innerhalb der aktuellen Seite)

 Übergang zwischen (real oder perspektivisch bedingt) "unproblematischen" Informationen ("sachliche" Repräsentationen) zu "Themen", also zu Informationen, mit denen wir uns bewusst und gedanklich auseinandersetzten

 

An jedem dieser (und weiterer) "Übergänge" muss eine quantitative und qualitative Priorisierung erfolgen. Allerdings nicht "bewusst" oder "planerisch" sondern rein physikalisch-biologisch, "selbstorganisierend" und sich von (lokalen) Energieniveaus abhängig.

Auf gröbster Skala betrachtet, besteht der Zweck der inneren Perspektiven darin, den Erlebensprozess in diskreten Schritten am Laufen zu halten! Aus einer fiktiven Gegenwart heraus muss die Vergangenheit definiert und die Zukunft gebildet werden.

Bezüglich der in KAP II der aktuellen Seite postulierten 4 System-Grundperspektiven könnte man annehmen:

"Existenz" und "Integration" sind der "Reflexiv-Modus" des Gesamtsystems (analog zu "Erinnerung" für das SELBST), "Situation" und "Ereignis" hingegen sind der Projektions- oder Agitationsmodus des Gesamtsystems (analog zu "Planen", "Entscheiden" und "Bewerten" für das SELBST).

 

Reflexion bedeutet auf dieser groben Skalierung, den Erlebensprozess (anteilsmäßig) "abzuschließen", aus einer "Außenperspektive" heraus als "Vergangenheit" oder "determinierte Zukunft" zu erachten. Das Selbst wird für das System im Kontext zu seinen Wahrnehmungsinhalten, darunter auch seinen "Themen" und "Problemen", als Einheit gedeutet. Notfalls werden die Inhalte (einschließlich des Selbst) den Integrationsbedingungen angepasst, nicht umgekehrt! Wie wir wissen, muss das Ich weder durch (allzu sehr) bestimmte Informationen repräsentiert, noch durch (allzu spezifische) Funktionen gebildet werden!

Die jeweils nächsten Projektions- oder Agitationsschritte (auf größter funktionaler Ebene bzw. auf der Skala des Gesamt-Erlebensprozesses betrachtet) sind schwieriger zu beschreiben.

Für das bewusste Ich gibt es immer ein neues "Thema", zumindest aber eine neue vordergründige Wahrnehmung oder einen "äußeren Kondensationspunkt" (Kap.VI der aktuellen Seite). Aber wie kommt das Gesamtsystem zu seinem nächsten Rekationsschritt?

Eine mögliche Teilerklärung:

Während sich innere Perspektiven und (Such-, Mustervervollständigungs-,..)Algorithmen innerhalb verschiedener Ebenen mit Informationen auseinandersetzten, entsteht sekundärer Input, der sich aus der Aktivität dieser Mechanismen ergibt. Es verhält sich in etwa so, als wenn ein Schiff durch seine Bugwelle (und die von den Schiffsschrauben erzeugten Wirbel) die Oberfläche auf einem Bereich der durchkreuzten Wasserfläche verändert.

 

Abb. 106 : Das Schiff erzeugt durch seine Bugwelle "scheinbar" zwei getrennte Bereiche auf der Wasseroberfläche

 

 

Wenn sich nun die "Nebeneffekte" einer ganzen Anzahl an Wahrnehmungsmechanismen im Gesamtraum ausbreitet und überlagert, entstehen mglw. innere Bilder einer anderweitigen Ordnung, die von funktional schwächeren, weniger spezifizierten Wahrnehmungsperspektiven (oder einem Verbund derselben) als ein Muster gedeutet werden könnten.

Stellen wir uns mal vor, ein bestimmter "Suchalgorithmus" wäre gerade aktiv, ein Muster zu aufzuspüren. Wie könnte man sich die Funktionsverstärkung eines solchen Algorithmus vorstellen?

Eine Möglichkeit bestünde in seiner Klonierung. Kopien seiner Selbst durchschreiten den (abstrakten) Wahrnehmungsraum.

Er könnte aber auch in seiner Gesamtheit wachsen, sich höher skalieren.

 

Abb.107: "Startposition" Abb.108: Funktionsverstärkung durch Klonierung Abb.109: Funktionsverstärkung durch Wachstum

 

Wenn nun eine innerhalb des skalierten (bzw. sich skalierenden) Wahrnehmungraumes verteilte "innere Sensorik" Muster erfasst, die sich indirekt aus der Aktivität diverser Mechanismen der Perspektivenbildung oder aktiver Algorithmen ergeben, würde der in Abb. 107 gewachsene Algorithmus, obgleich an sich eine Einheit bildend, innerhalb der verschiedenen Bereiche des Raums als eine Ansammlung abweichender Objekte erfasst.

 

Eine wichtige Gegenüberstellung:

Für mich als Subjekt können Dinge (also Informationen über Dinge) völlig neu, völlig fremd und völlig desintegrierbar sein. Für das System (seinen Reflexivmodus) bedeutet "neu" aber lediglich die graduelle Abweichung einer Information innerhalb eines bekannten Kontextes. Auch die systeminterne Repräsentation des Selbst mitsamt seiner (ungelösten) Probleme kann nur innerhalb vorgegebener Gesamtbedingungen schwanken!

Es gibt also grundsätzlich zwei Arten von "neu": Die Ergänzung einer "alten" Sache oder etwas wirklich "Neues", dass vorher nicht vorhanden war.

Abb.110: Bauer Hans hat ein "neues" Feld infolge einer anderen Aufteilung bekommen. Abb.111: Bauer Hans hat ein zusätzliches neues Feld bekommen.

 

Der Gesamt- Erlebensprozess ist unabhängig "neuer Wahrnehmungsinhalte" immer in sich grundsätzlich "geschlossen", da neue Inhalte nur innerhalb "alter" bzw. vorgegebener Strukturen abgebildet werden können.

 

Stellen wir uns eine Ratte in einem Labyrinth vor. Wir beobachten sie eine Weile. Wir wissen, welche Orte sie gerne aufsucht.

 

Abb.112: Wir haben die Ratte eine Weile beobachtet: Sie hat bisher Ort 1 und Ort 2 (blau) aufgesucht. Nun hat sie einen "neuen Ort" gewählt, nämlich Ort 3 (grün).

 

Nun verlässt sie das Labyrinth. Aber was passiert? In genau diesem Augenblick wächst das Labyrinth und schließt die Ratte und ihren neuen einstweiligen neuen Aufenthaltsort neuerlich ein.

 

Abb.113: Da der "neue Ort" diesmal außerhalb des ursprünglichen Labyrinths liegt, werden die Ratte, der Weg und der neue Ort werden zu einer Einheit

 

So wie die Ratte das Labyrinth nicht verlassen kann, so können auch wir unseren "Erlebensprozess" nicht verlassen! Wenn Funktionen der Perspektiven-Generierung oder Algorithmen aufeinander treffen, können sie, wir bereits erwähnt, in Wechselwirkung miteinander treten oder sich gegenseitig als Information erfassen. Bei hinlänglich intensiven "Sekundär-Input" (als indirekte Folge der Aktivität von Wahrnehmungsfunktionen) können sich für eine angenommene "interne Sensorik" des Wahrnehmungraumes Muster ergeben, die entweder semantischen Inhalt haben oder zumindest einen "Schwerpunkt" bilden! Dieses "fiktive" Konstrukt betritt als erstes die neue Sequenz des Gesamt-Erlebensraumes. Ihm folgen die latenten Inhalte des Erlebensraums ("Bühne", "Requisiten", "Handlungen" und das "Selbst" als Hauptperson). Die einzelnen Komponenten können während dieses Übergangs ein vereinheitlichtes Element darstellen, so wie die o.g. Ratte im Augenblick des Verlassens des (ursprünglichen) Labyrinths mit dem neuen Raum und dem neuen Ort eine Einheit bildet!

 

 

hierzu  ein weiteres Gedankenexperiment

 

Wir träumen, wie vermutlich beinahe jede/r von uns aus eigener Erfahrung bestätigen kann, nachts regelmäßig. Keinesfalls bleibt unser bewusstes ICH im Traumerleben außen vor! Es gibt genügend Träume, innerhalb derer wir scheinbar voll präsent sind und mitunter konkret fühlen, bewerten und entscheiden!

Stellen wir uns einen nächtlichen Träumer vor, der eine Reihe an Szenen durchlebt: er träumt zunächst von einem U-Boot. Vielleicht hat er am Abend "Das Boot" gesehen, einen eindrucksvollen Film aus den 80er Jahren, der die prekäre Lage der deutschen U-Boot-Waffe im fortgeschrittenen Stadium des 2. Weltkriegs  am Beispiel eines einzelnen Bootes und seiner Besatzung eindrucksvoll schildert. Unser Träumer sitzt nun als Kommandant vor dem Seerohr, sieht aus geringer Entfernung einen dicken Frachter in günstiger Schusslage schwimmen. Er denkt nach: "Soll ich einen einzelnen Torpedo oder einen Fächer aus mehreren Torpedos schießen"? "Soll ich auf den Bug oder die Schiffsmitte zielen?"

 

Abb.114 (Traumszene): Einen oder mehrere Torpedos schießen? ... Auf Bug oder auf Schiffsmitte zielen?

 

Es kommt zu keiner Entscheidung und zu keiner Versenkung! Das Traumszenario wechselt nämlich abrupt! Im nächsten Moment ist er gar kein U-Boot-Kommandant mehr! Anstatt den Befehl zum Bewässern der Torpedorohre zu erteilen, wandert er nun einsam auf einem verlassenen Gebirgspfad vor herrlichem Panorama. Er hat sich verlaufen. Er wird unsicher, ob er dem Weg weiter folgen oder nicht vielleicht doch lieber umkehren soll?! 

Abb.115: (Traumszene) Auf einsamer Wanderung- umkehren oder nicht?

 

Zu einer Entscheidung bzw. einem Fortgang der Geschichte kommt es allerdings auch hier nicht! In der nächsten Traumszene befindet er sich nämlich in einem großen Gebäude mit langen Gängen, die mit Bürotüren flankiert sind. Er sucht den Chef dieser opulenten Firma, dem er eine wichtige Meldung überbringen soll. Er huscht ratlos von Tür zu Tür und versucht verzweifelt, den Chef zu finden!

Abb.116 (Traumszene): Verloren in einem riesigen Gebäude. "In welchem Büro nur sitzt der Chef?"

 

Der Schlaf wird unruhiger und das Traumerleben tendiert zum Albtraum. In der nächsten Szene befindet sich unser Träumer im Innern eines dunklen Hauses. Auf der Suche nach dem Ausgang erscheint ihm das Gespenst einer Frau, dass ihn sehr ängstigt!

Abb.117 (Traumszene): Begegnung der unheimlich Art

 

 

 

 

Am nächsten Morgen wundert sich unser Träumer nach dem Erwachen, während er am Frühstückstisch sitzt, über seine Träume! Er erinnert sich an die Entscheidungssituationen als U-Boot-Kommandant und als Wanderer, ebenso an die rastlose Suche nach dem Büro des Chefs und an die verstörende Begegnung mit einem Gespenst. Und jetzt kommt ihm vielleicht auch die Frage, die ihm während des Traums überhaupt nicht in den Sinn kam, ja überhaupt nicht in den Sinn kommen konnte: "Warum war plötzlich mein U-Boot weg und warum befand ich mich statt dessen auf einmal im Gebirge?" "Und wie bin ich von den Bergen in diesen tristen Bürobunker und von dort in das Spukhaus gekommen?!"

Das Hirn hat den Erlebensprozess (hier das Traumerleben) also über eine gewisse Distanz ohne die Selbst-Implikation fortgeführt! Als das ICH in der neuen Szene wieder präsent war, konnte es sich auch nur mit den Inhalten dieser neuen Szene befassen und hatte keine Interaktionsmöglichkeit mehr mit der vorangegangenen Traumszene. Wir wissen es nicht, wir merken es nicht- weil unser Unterbewusstsein verdammt flugs mit einer "Lüge", einem Selbsttäuschungsmanöver aufwartet, wenn es geschieht: Aber auch in unserem Wachbewusstsein gibt es Übergänge, in denen eine oder mehrere der an sich zwingend erforderlichen Grundkomponenten des Erlebensprozesses gar nicht vorhanden sind oder nur rein funktional (nicht als repräsentationsfähige Information) innerhalb einer anderweitigen Komponente "mitgeführt" werden!

 

 


 

 

SICH WECHSELSEITIG REPRÄSENTIERENDE WAHRNEHMUNGSFELDER

 

Durch die sich überlagernden Bewusstseinsschichten und die Sub-Funktionen des ICH`s wird ein Kompromiss für die Problematik gefunden, ob sich ein Individuum intensiver mit einer aktuellen Situation auseinandersetzen, oder in seiner Wahrnehmung bereits eine neue Situation generieren soll. Das bewusste ICH hat die Freiheit, über die Vergangenheit zu reflektieren, sich zu erinnern und auch die vermeintliche Gegenwart intensiv zu erleben. Die hintergründigen Funktionen des Bewusstseins sorgen aber für die kontinuierliche Generierung neuer, zeitlich getakteter Erlebens-Sequenzen in welche auch die Ich-Repräsentation platziert wird.

Dabei ist wichtig zu wissen: Das Hirn definiert "Situationen" nach strikt zeitlichen Kriterien. Die diskreten Zeitfenster innerhalb derer sich Perspektiven abwechseln und überlagern bzw. reflektierende und projizierende Dominanzen vorherrschen sind zum Einen sehr kurz, zum Andern vermutlich ähnlich lang. Auf bewusster Ebene des Erlebens hingegen definiere ich Situationen anhand inhaltlicher Kriterien in Abhängigkeit der jeweils vorherrschender Umstände.

Die Spezialität des menschlichen Hirns besteht darin, komplexe Perspektiven zu erzeugen. Sagen wir mal ICH bin mit irgendeiner Aufgabe innerhalb irgendeiner Erlebens-Situation beschäftigt. Das Hirn erzeugt nun ein Abbild vom eigenen ICH im Kontext zur vorherrschenden Aufgabe. Diese neue Wahrnehmungsfeld entstand also zeitlich später und befindet sich relativ zur augenblicklichen und vordergründigen Perspektive des primären Erlebens in der Vergangenheit. Dieses neue Wahrnehmungsfeld generiert nun seinerseits eine weiteres Feld, in das es eine Prognose über den Zustand des ICH`s in der unmittelbaren Zukunft hineinprojiziert. Dieses dritte Wahrnehmungsfeld ist also noch später entstanden, sein Inhalt allerdings bezieht sich auf die Zukunft der zuerst da gewesenen Perspektive. Diese verschiedenen Wahrnehmungsfelder können von verschiedenen Sub-Funktionen des ICH`s besetzt werden (Ich, Es, Beobachter, Akteur).

Wir können uns das folgendermaßen vorstellen: Ich werfe drei Steine in einen Teich. Auf der Wasseroberfläche breiten sich nun also drei Kreise nacheinander von einem gemeinsamen Zentrum aus.

 


Abb.118: Nacheinander entstehende Wahrnehmungsfelder.

Der zweite Kreis dehnt sich aber schneller aus als der erste und der dritte dehnt sich schneller aus als der zweite.

 

 


Abb.119: Expansion der Felder in verschiedenen Geschwindigkeiten

Es kommt zu einem Überholvorgang. Wenn also sagen wir mal das ES seine Projektion über die Zukunft des ICH`s erstellt hat, verlieren die Wahrnehmungsfelder ihre augenblickliche Identität! Das ICH springt nun in die Projektion des ES hinein und wird mit dieser identisch! Für einen minimal kurzen Zeitpunkt verschmilzt alles zu einem einzigen Wahrnehmungsfeld.

 

 


Abb. 120: "Überholung" und "Verschmelzung" von Wahrnehmungsfeldern

 Anschließend bilden sich wieder zwei weitere Felder aus, etc, etc. Die Definitionen zwischen Wahrnehmungsfeldern und deren Inhalten sind also relativer Natur! Sie sind fließend, durchlässig. Ebenso ihre Zeitfenster: Sämtliche Wahrnehmungsfelder arbeiten für sich genommen in einer "Echtzeit", einer jeweiligen Gegenwart. Relativ zueinander jedoch befinden sich sich in die Vergangenheit oder Zukunft versetzt.

Wird die Identität des momentanen ICH`s durch eine zeitlich vorausgreifende Prognose über das ICH ersetzt, bedeutet dies nicht, dass damit die Wahrnehmungs- und Handlungsmöglichkeiten des erloschenen ICH`s vernichtet wären- sie können auch aus einer veränderten Situation heraus wieder eintreten. Die "Fehler" und "Irrtümer" die das Hirn durch den schnellen Perspektiven-Wechsel sicher erleidet, werden durch eine ebenso schnelle und zeitlich getaktete Einspeisung von Echtzeit-Wahrnehmungsinhalten teilweise wieder ausgebügelt.

 

ALTERNATIVE VORSTELLUNG:

Anstatt der nacheinander entstehenden und sich dann "überholenden" Wahrnehmungsfelder könnte man auch folgenden Sachverhalt in Erwägung ziehen: Im Hirn ko-existieren mglw. latent mehrere hierarchisch hoch positionierte Wahrnehmungsfelder mit überregionaler Funktion, die zeitlich minimal nebeneinander versetzt sind. In diese Felder strömen unentwegt über das vegetative Nervensystem Informationen über Körper- und Organzustände (Propio-und Viszerozeption), über den sensorischen Cortex ein aktuelles Körper-Abbild (generiert durch Drucksensoren auf Hautoberfläche, Gelenken und Muskeln) sowie Umweltinformationen über die Sinnesorgane und das Gleichgewichtsorgan im Mittelohr. Im Fluss der Zeit bilden sich in jedem dieser primär körperbezogenen Repräsentationen die eingangs angesprochenen System-Grundperspektiven (Existenz, Situation, Ereignis und Integration) aus und fallen dann wieder in sich zusammen, so dass immer mindestens ein Wahrnehmungsfeld alle vier Perspektiven vereint und mindestens eines nur die reine Existenz-Empfindung beinhaltet.

 

Abb.121: Parallele Wahrnehmungsfelder

Jede einzelne dieser Repräsentationen betreibt also sowohl eine autonome Auseinandersetzung mit der Umwelt (über Sinnesorgane oder Gedächtnisspeicher) als auch einen Informationsaustausch mit den jeweils Anderen.

Die Körper- und Umweltinformationen werden zeitlich nacheinander eingespeist. Die vier Felder erhalten ihren Input also aus externer Sicht zu 4 verschiedenen Zeitpunkten. Jedes Feld hat allerdings seine eigene jeweilige Gegenwart. Für das vierte Feld entspricht der zuletzt Empfangene Input (t4) genauso der Gegenwart (t1) wie für Feld eins, welches zuerst mit Informationen versorgt wurde. Real hat der Informationsinput t4 einen anderen Inhalt als t1, weil er zwischenzeitlich eingetretene Veränderungen von "Dingen" und Körperzuständen beinhaltet.

 

Abb.122

 Vier verschiedene Zeitpunkte werden zu vier lokalen Gegenwarten

Die Rückkopplungen mit den anderen Feldern hingegen entsprechen aus der lokalen Perspektive jedes einzelnen Feldes einer Vergangenheit oder Zukunft, ggf. auch einer potenzierten Vergangenheit, wenn die Rückkopplung über mehrere Felder hinweg erfolgt.

 Durch die Repräsentation eines Feldes innerhalb eines anderen Wahrnehmungsfeldes entsteht eine neue Perspektive, im hier postulierten Szenario also können sich aufsteigend sämtliche der vier am Anfang dieser Abhandlung dargestellten (Grund)perspektiven innerhalb eines Feldes aufsummieren. Dies geschieht wie gesagt durch die Repräsentation eines Feldes innerhalb eines anderen Feldes, ohne dass dieser Prozess die Präsenz und Aktivität des realen (der Repräsentation zugrunde liegenden) Feldes neutralisieren würde.

 

Abb.123: Felder repräsentieren Felder

Ein augenblicklich funktional gering komplexes Wahrnehmungsfeld (in dem nur die unterste der möglichen Perspektiven aktiv ist) kann Informationen wie sie der augenblicklich hoch komplexe Protagonist (mit vier aktiven Perspektiven) verarbeitet, momentan nicht selber generieren und beinhaltet allein die reine Existenzempfindung. Informationen die in mehreren Feldern gleichzeitig repräsentiert werden, erlöschen nicht im Falle ihres Verschwindens aus einem einzelnen Feld. Sie verändern in diesem Fall allenfalls ihren Zustand. Eine Information die hingegen in nur einem Feld repräsentiert wird, erlischt viel leichter.

Dieses Modell würde auch das "Meditations-Problem" erklären: Es ist kaum möglich, sich von ständig neuen Eindrücken und Wahrnehmungen abzukoppeln, selbst wenn man möglichst alle äußeren Reize ausschließt und sich darum bemüht, an nichts zu denken. Indem identische Reize in immerzu anderen Feldern, in anderen Zeitrelationen und aus anderweitigen Perspektiven verarbeitet werden, existieren keine unveränderlichen Inhalte! Auch in der Repräsentation eines "gleich bleibenden" Inputs ergeben sich minimale Unterschiede, die von anderen reflektierenden Prozessen als solche registriert und dem Bewusstsein gemeldet werden.

 Durch die ständigen Rückkopplungen dieser Felder entsteht auf bewusster Ebene des Erlebens das "große Missverständnis" einer eigenen Identität! Ein vorrangig körperbezogenes, kohärentes Informationsbündel wird über mehrere solcher Felder und Perspektiven hindurch transformiert, interagiert mit Umweltreizen und Inhalten des Gedächtnisses, entdeckt sich selbst im multiblen Wechselspiel aus Reflexionen und Projektionen und entwickelt eine Identität. Familiäre Bezugspersonen bestätigen das Identitätsempfinden der sich im Kleinkindalter entwickelnden Persönlichkeit durch Initiierung der ersten autobiographischen Erinnerungen. Das kulturelle Umfeld forciert die Identitätsvorstellung durch Religion und den Glauben an eine vermeintlich unsterbliche Seele.

 

 

 

Kapitel IX
STABILES ICH, KRANKES ICH

5.  DAS  STABILE  ICH

    DIE  KOHÄRENZ  DES  ICH´S

Das ICH ist die "aktuellste" Information!  Wann ist eine Information "aktuell"? - Wenn sie kontextunabhängig und absolut selbstbezüglich ist! Gibt es absolut selbstbezügliche und kontextunabhängige Dinge? Nein! Alles auf der Welt ist relativ! Alles unterliegt einem Wandel und erfährt Veränderungen. Schauen wir uns mal die Alpen an: In ein paar Millionen Jahren gibt es u.U. keine Menschen mehr auf der Erde und dann sind es eben nur noch Berge, weil kein Wesen ihnen weiterhin einen Namen gibt. Nach einem noch längeren Zeitrum sind es auch keine Berge mehr! Irgendwann werden sich die Eurasische und Amerikanische Kontinentalplatte im Bereich des Nordpols untereinander schieben und gegenseitig ins Erdinnere verdrängen, während von der Antarktis her neue Landmassen aus dem Erdinnern hervorbrechen und neue Kontinente formen. Irgendwann wird auch die Sonne keine Sonne mehr sein, sondern ein "roter Zwerg" der letztlich implodiert.

Aktualität erzeugt Wahrheit

Das ICH ist die aktuellste Information über die das System verfügt! Und zwar nicht nur infolge der Direktheit und Aktualität der Körperempfindungen, sondern aus der Tatsache, dass die ICH-Generierung niemals einen vollendeten IST-Zustand erreicht! 

Das wesentlichste Merkmal am ICH ist also jener, dass das Hirn mit der Generierung dieser Information nie fertig wird (bis wir sterben - dann ist die ICH- Generierung aber ebenfalls nicht "vollendet", sondern abgebrochen!). Es gibt kein vollendetes sondern nur ein sich immerfort im Entstehen begriffenes ICH! Eine sich ständig generierende Information kann mangels vollendeter Ausprägung und fester Kerneigenschaften auch nur eingeschränkt durch den Kontext zu anderweitigen Informationen relativiert und in ihrer Natur verändert werden (das gilt natürlich nicht für den semantischen Gehalt unseres kognitiven Selbst-Konzepts, sondern für den Prozess des Selbst-Erlebens)!

Die "Vorwärtsbewegung" des Ichs auf der Zeitachse geschieht durch die darwinistische Realisierung einer konkreten Möglichkeit gegenüber einer Vielzahl an denkbaren alternativer Möglichkeiten! Das Ich ist in gewissem Maße identisch mit diesem Realisierungsprozeß. Ich möchte dies an folgendem Beispiel verdeutlichen. Ich kann jetzt in den Keller gehen und eine Flasche Bier holen. Ich kann auch in den Keller gehen, eine Flasche Bier holen und dabei gleichzeitig spanische Vokabeln auf dem MP3-Player anhören. Diese Aktivitäten schließen sich nicht aus! Wenn ICH aber derjenige bin, der jetzt gerade Bier aus dem Keller holt, dann kann ICH nicht derjenige sein, der Bier jetzt aus dem Keller holt und dabei MP3 anhört! Derjenige der beides tut hätte ICH vorher noch sein können,  jetzt aber nicht mehr, später hingegen schon wieder!

Fest steht nur, dass ein realisierter Zustand anderweitige (ggf. nicht weniger wahrscheinliche) Varianten unterdrückt bzw. ausschließt.

Was ich im nächsten Augenblick tue, ist zu einem gewissen Grad tatsächlich Zufall! Diese Zufälligkeit bedeutet aber nicht, dass meine Erlebens- und Entscheidungsfähigkeit ganz eng determiniert wäre! Der (darwinistische) Ausschluss eines bestimmten denkbaren Bewusstseinszustandes oder bestimmter denkbarer Erlebensinhalte bedeutet nicht den Ausschluss sämtlicher Inhalte und Folgeresultate, die sich aus diesem nicht realisiertem Zustand heraus hätten ergeben können! Manche dieser denkbaren Folgezustände können auch unter anderen Bedingungen und auf alternative Weise realisiert werden (ich kann z.B. über Dresden oder über Köln nach Hamburg gelangen). Ein eingetretener Bewusstseinszustand entspricht keinem "Endpunkt" einer Verzweigung! Er bildet vielmehr einen neuen Streukreis an prinzipiell denkbaren Folgezuständen. Die denkbaren Inhalte verschiedener Bewusstseinszustände überlappen sich natürlich auch.

Die prinzipielle "Kohärenz" des Ich-Bewusstseins möchte ich mit folgendem Vergleich erläutern: Wenn ich drei Würfel habe und mit einem Wurf 11 Zähler erreichen will, ist die Erfolgswahrscheinlichkeit ziemlich gering. Nur wenige der denkbaren Ergebnisse können genau diesen Wert erzeugen (z.B. zweimal die 5 und einmal die 1). Die Funktionalität des ICH- Bewusstseins resultiert aus einem Verhältnis an projizierenden und reflektierenden Kräften/Feldern. Die entsprechenden Bedingungen für diese Konstellation sind aber nicht punktuell fixiert! Es verhält sich etwa so, als müsste ich versuchen, mit den drei Würfeln eine Zahl zwischen 5 und 15 zu erreichen. Nun gibt es viel mehr passende als nicht passende Möglichkeiten!

 

SCHLUSSKOMMENTAR  ZUM  ICH

Es gibt kein "ICH" im Sinne eines fixen Persönlichkeitskerns, sondern nur eine "ICH-Repräsentation"! Es gibt kein Selbst, sondern "nur" eine Selbst-Bezüglichkeit. "ICH" selbst zu sein bedeutet, "mich" in einem bestimmten Augenblick mit einem konkreten neuronalen Prozess zu identifizieren. Besser gesagt: In einem kleinen projizierendem Zeitfenster eine Aktivität vorzunehmen und mich währenddessen innerhalb eines größeren, reflektierenden Zeitfensters mit einer kurzen Abfolge an Aktivitäten zu identifizieren.

Ein Kupferdraht der Strom führt unterscheidet sich physikalisch in Nichts von einem der nicht unter Strom steht. Ebenso wenig unterscheidet sich eine (augenblicklich) an der Bewusstseinsbildung beteiligte Struktur (Assoziationsfeld, Schaltkreis, Netzwerk, Cluster) von einer im Moment nicht bewusstseinsrelevanten Struktur, nur dass sie zum betreffenden Zeitpunkt sehr stark mit anderweitigen Assoziationsfeldern und Schaltkreisen re-entrant wechselwirkt.

Das "ICH" ist identisch mit dem Wechsel und der Synchronisation subautonomer Prozesse, die in ihrer zeitlichen Ausdehnung vermutlich konsistent sind, in ihrer Intensität jedoch schwanken, sich dabei aber fernerhin innerhalb gewisser "Quotenverhältnisse" reflektierender und projizierender Kräfte befinden. Die aktuell stärkste Kraft erzeugt die Kernempfindung (des Ich-Erlebens), alle anderen werden ins Ich-Erleben integriert. Es geht also zum Einen darum, welche Informationen zu einem bestimmten Zeitpunkt in bestimmten Feldern repräsentiert sind und zum anderen darum, welche Felder in welcher Form diese Informationen abrufen und weiterverarbeiten. Über 90% aller Neurone erhalten ihren Input vom Hirn selber, nur 10% befassen sich mit der Außenwelt (Sinnesinformationen).

 

 

  DAS  KRANKE  ICH:  SCHIZOPHRENIE

SCHIZOPHRENE BEWUSSTSEINSVERZERRUNGEN - WAS BEDEUTET DAS?

Leider weiß die Wissenschaft nur sehr wenig über Schizophrenie, und die Summe dessen, was sie weiß, ergibt mitunter kein recht schlüssiges Bild!

Die "Leistung" der Medizin bestand in der Vergangenheit darin, eine Vielzahl höchst konkreter und scharf gegeneinander abgegrenzter Kategorien von Geistesstörungen (Unterformen von Schizophrenie und Depression) mit angeblich jeweils unverwechselbaren Symptomen zu definieren.

Ferner ist man sich (wohl zu Recht) darin einig, dass genetische Faktoren offenbar eine gewichtige Rolle spielen! Zeugen gesunde Eltern ein Kind, wird dieses mit einer Wahrscheinlichkeit von einem Prozent irgendwann im Laufe seines Lebens vorübergehend oder chronisch an Schizophrenie erkranken! Ist ein Elternteil von dieser Krankheit betroffen, erhöht sich das Risiko für das Kind auf 15%, im Falle zweier betroffener Elternteile auf 30%. Ein Krankheitsausbruch ist bei manisch-depressiven Störungen oder Schizophrenie zu schätzungsweise 80% auf genetische Dispositionen zurückzuführen! Gleichwohl war und ist die Suche nach "Schizophrenie-Genen" ein anhaltender Misserfolg! Es konnten nur sehr wenige eindeutige Zusammenhänge aufgedeckt werden, die für sich genommen nur einen geringen Bruchteil des Gesamtproblems (bedingt) erklären können!

Nun pflanzen sich schizophrene oder allgemein psychisch kranke Menschen aus einer Reihe nahe liegender Gründe (nicht zuletzt wegen gesellschaftlicher Stigmatisierung) in viel geringerem Umfang fort und haben zudem eine im Mittelwert geringere Lebenserwartung. Setzen sie aber Kinder in die Welt, sind auch diese von einer geringeren Fortpflanzungschance und Lebenserwartung betroffen! Die Evolution selektiert schädliche, dem Überlebensvorteil (und insbesondere dem Reproduktionserfolg) hinderliche Gene aber üblicher Weise aus! Theoretisch sollte es also immer weniger  Leute geben, die von solchen (erblich bedingten) Krankheit betroffen sind! Dies gilt umso mehr, als die Symptome diverser Geisteskrankheiten zumeist schon in jungen Lebensjahren (im frühen bis mittleren Erwachsen- und somit im fortpflanzungstypischen Alter) auftreten!

Dessen unbeschadet liegt der weltweite Anteil schizophrener Menschen über sämtliche Regionen und Kulturkreise hinweg aber seit je her bei stabil etwa einem Prozent!

 

Wie ist das möglich?

 

Nachfolgende Absätze sind sinngemäß aus dem Buch "Die Hirnforschung auf Buddhas Spuren" (James Kingsland, Beltz Verlag, Weinheim, 2017) zitiert:

Man neigt zwischenzeitlich zu folgender Einschätzung, die unter der "Cliff-Edge-Hypothese" bekannt ist: Die "Schizophrenie-Gene" sind an sich gar nicht nachteilig oder schädlich! Sie bringen im Allgemeinen ihren Trägern sogar Vorteile auf dem Gebiet der Kreativität und geistiger Flexibilität. Man hat festgestellt, dass sich nahe Familienangehörige von Schizophrenen, die nicht von der Krankheit betroffen sind, stärker fortpflanzen als der Bevölkerungsdurchschnitt!

Die "Cliff-Edge-Hypothese" geht davon aus, dass ein bestimmtes genetisches Merkmal bis zu einem bestimmten Ausprägungsgrad nützlich und vorteilhaft ist, jenseits dieses "günstigen Skalenwertes" aber ins Gegenteil umschlägt! Menschen mit "leichtem Kreativitätsüberschuss" werden sicherlich positiv wahrgenommen und interagieren tendenziell erfolgreich mit ihrer Umwelt, was ihren Fortpflanzungschancen zugute kommt.  Zu viel Kreativität ist hingegen zweifelsfrei gesundheitsschädlich. Zahlreiche berühmte Künstler hatten z.T. schwer mit geistigen Störungen zu kämpfen!

Bei manchen Geistesstörungen könnte auch der "Balancierte Polymorphismus" eine Rolle spielen. Dies bedeutet, dass in einer Population mehrere verschiedene Varianten (Allele) eines Merkmals in nennenswertem Anteil zu finden sind. Das ist insofern bedeutungsvoll, als jedes Merkmal in seiner Umwelt einer Selektion ausgesetzt ist und es ebenso möglich wäre, dass sich nur eine Variante mit maximaler Fitness evolutiv durchsetzt.  Ein klassisches Beispiel ist die gehäuft in Afrika auftretende Sichelzellenanämie. Wer das entsprechende Gen nur einmal von einem Elternteil erbt, ist gegen Malaria resistent - ein bedeutsamer Vorteil für Menschen, die unterhalb der Sahara leben! Von beiden Elternteilen vererbt verursacht dasselbe Gen aber viele gesundheitliche Nachteile, Schmerzen und ein deutlich höheres Risiko gegenüber einem Schlaganfall!

Ebenso setzt sich in der Fachwelt die Erkenntnis durch, dass die verschiedenen psychischen Leiden mitnichten sehr klar voneinander abgegrenzt sind und sich insbesondere in Bezug auf ihre genetischen Ursachen viel ähnlicher sind als es die spitzfindige, mikroskopisch auf die Kategorisierung von Symptomen bedachte Diagnostik der Psychiatrie vermuten lässt! Geistige Störungen sind eher ein Bündel von Symptomen, die sich in ihren Intensitäten abhängig von alltäglichen Erlebnissen individuell verändern können!

Auch ist der Übergang zwischen gesunden und kranken Geisteszuständen weitaus durchlässiger und fließender als man es im Allgemeinen annimmt!

Wesentliche Symptome sind in breiten Teilen der Bevölkerung zu finden! In Großbritannien wurde eine repräsentative Zahl von Menschen vom nationalen Statistikamt mit psychologischen Standard-Fragebögen befragt. Die Ergebnisse waren u.a.: 20 bis 30% aller Erwachsenen fühlen sich ständig von anderen Menschen bedroht, einer von sechs Erwachsenen überlegt permanent, wem er unter seinen Freunden oder Kollegen überhaupt noch trauen kann. Ungefähr 10% fühlen sich ständig beobachtet und angestarrt und 2% sind davon überzeugt, dass gegen sie Komplotte geschmiedet werden. Dies spricht für eine beeindruckende Präsenz paranoider Wahrnehmungen innerhalb der "Normalbevölkerung"!

...Ende des sinngemäßen Zitats...

 

Ich möchte hier noch einmal auf Oskar eingehen, den Menschen, den ich im Vorwort erwähnt habe. Ich kann nicht beurteilen, inwiefern seine Geschichte und sein Krankheitsverlauf repräsentativ sind! 

 

Bereits als Kind und Jugendlicher reagierte er bereits auf Konflikte jeglicher Art auf besonders sensible und fatale Weise!  Was immer seinen persönlichen Wünschen und Interessen oder aber seinen abstrakten (moralischen, ideellen) Wertesystemen entgegen stand, überforderte ihn seelisch maßlos!

Solch eine "Verletzung" (durch Nicht-Übereinstimmung von idealisierter Vorstellung und Realität) wurde sehr schnell ausgelöst, erzeugte höchste Stufen von Frustration, extremen Aktionismus und schließlich zu Resignation!  Eine Selbstberuhigung war ihm kaum möglich und er grübelte und brütete unsäglich über diese zumeist irrationalen Konflikte. Erschwerend hierzu war er von einer starken sozialen Angst und Minderwertigkeitsgefühlen betroffen.

Phasenweise waren seine "Konflikte" begrifflich oder inhaltlich konkret deklarierbar, phasenweise waren sie sehr diffus und sein rastloser Wunsch Dinge zu verändern zielte buchstäblich ins Leere! Mitunter schien sich die Kausalität des geistigen Erlebens sogar umzukehren: zuerst kam das Gefühl, irgendetwas wäre absolut nicht in Ordnung (und läge zudem im Bereich seiner Verantwortung oder Zuständigkeit) und dann erst die Idee, die Vorstellung darüber, um was für ein Problem es sich überhaupt handeln und wie ihm abgeholfen werden könnte!

Dieser sehr komplexe Stress begünstigte das Entstehen einer dauerhaften psychotischen Störung mit Phänomenen, wie sie im Vorwort dieser Publikation beschrieben sind.

Da ihm die Neuroleptika (eine gegen Schizophrenie eingesetzte Medikamentengruppe, die leider nur einer Minderheit unter den Betroffenen im begrenzten Umfang Linderung verschafft) nur Nebenwirkungen, jedoch keine Besserung brachten, setzte er sie eigenmächtig und dauerhaft ab.

Einhergehend mit einer nach und nach eintretende Harmonisierung seiner sozialen Beziehungen und seinem steigenden Selbstwertgefühl bildeten sich die Symptome über Jahre hinweg zusehends zurück! Durch seine erste sexuelle Beziehung und dem dadurch gebrochenen Bann einer von ihm befürchteten lebenslangen sexuellen Isolation, die er als Folge seiner verminderten kommunikativen Eloquenz und seines unsicheren Auftretens ansah, erreichte er schließlich einen seelischen Allgemeinzustand, der für Außenstehende nicht mehr von jenem einer geistig völlig gesunden Person zu unterscheiden war!

Bedauerlicher Weise lag ausgerechnet im vermeintlichen Schlüssel zum normalen Leben, der angesprochenen Beziehung (und dem damit einhergehenden allgemeinen "sozialen Kompetenzgefühl"), auch der Grund für eine neuerliche Odyssee durch schweres seelisches Leid, das ihn über Jahre hinweg wieder latent an den Rand einer Psychose führte!

Die Frau, die ihn durch emotionale Erpressung in eine feste, dauerhafte Beziehung einbinden wollte und ihn zunächst von der ihm verhassten sexuellen Isolation zu erlöste, erwies sich als eine sehr charakterschwache und außerordentlich bösartige Person! Durch einen feindseligen Zugriff auf sein Tagebuch wühlte sie seine alten (irrationalen) Konflikte auf! Hemmungslos beanspruchte sie die Deutungshoheit über die schriftlich fixierten Selbst-Reflexionen und nahm jedes selbstkritische Wort dankbar auf, um in einem Wulst finsterer Lügen und Übertreibungen fatale Aussagen über ihn zu formulieren!

Eine endgültige Selbstberuhigung könnte ihm im ungünstigsten Fall auf Lebenszeit verwehrt bleiben! Vor seinen früheren Krankheitssymptomen indes scheint er weiterhin gefeit zu sein.

Patienten, die sich wegen Schizophrenie in Behandlung begeben, erfahren seitens ihrer Ärzte und Therapeuten mitunter eine demütigende Missachtung ihrer persönlichen Individualität! Schubladendenken, antiquiertes schulmedizinisches Halbwissen, klugscheißerisch überdefinierte Diagnosen und Prognosen werden ihnen offeriert. Die Qualität und ggf. Abweichung ihrer subjektiven Erfahrungen gegenüber den dogmatisch postulierten "Standardverläufen" wird geleugnet!

Im Falle von Oskar war unbeschadet einer nicht zu verleugnenden genetischen Disposition eben doch die individuelle Lebenserfahrung sehr maßgeblich am Ausbruch der Krankheit beteiligt! Ebenso schien die Rückbildung der Symptome bis zum Grad einer scheinbaren "Genesung" (ein aus schulmedizinischer Sicht bei "chronischem" Krankheitsverlauf geradezu "verbotener" Vorgang) mit der zunehmenden Qualität seiner sozialen Beziehungen in Verbindung zu stehen?!

 

Zufall? Irrtum? Statistischer Ausreißer?

Schon denkbar! Vielleicht aber auch nicht!

Ich möchte meine (spekulativen) Überlegungen hier zu einem Schluss führen. Depression ist eine Gemüts- oder Geistesstörung, bei der das emotionale Erleben zerrüttet und in seiner Gesamtheit negativ eingefärbt wird.

Dem gegenüber ist die Schizophrenie eine Geistesstörung, bei der die gedanklich-kognitiven Prozesse gestört sind und darüber hinaus ungewöhnliche mentale Perspektiven (besser gesagt: mangelhafte funktionale Qualitäten und Überschneidungen dieser Perspektiven) erzeugt werden.

So wie bei einem Depressiven wohl irgendwelche Systeme gestört sind, innerhalb derer emotionale Reize verarbeitet werden, sind bei einem Psychotiker bzw. Schizophrenen analog hierzu wohl Schaltkreise gestört, die explizit  mit "Konfliktbewältigung" zu tun haben!

Nun soll aber nicht behauptet werden, am Ursprung einer jeden Psychose stünde tatsächlich ein realer, vielleicht sogar dramatischer, auf großer persönlicher Schuld und harter moralischer Anklage beruhender Konflikt, in den die betreffende Person real verwickelt war!

So wie bei der Depression Sachverhalte, die nach gewöhnlichen Maßstäben "belanglos" scheinen, vom Betroffenen sowohl übertrieben stark, als auch übertrieben negativ wahrgenommen werden, so kann analog hierzu auch das Konflikterleben eines Psychotikers höchst dramatische Züge annehmen, ohne dass sich die Dramatik "logisch" aus irgendwelchen tatsächlichen Begebenheiten ableiten ließe!

 

Da im Zuge dieser Publikation schon eingehend geschehen, soll hier nicht (erneut) intensiv auf die Begriffe "Problem", "Konflikt", "Selbstwertgefühl", "(diffundierende) Konfliktvariablen", etc. eingegangen werden. Gleichwohl sollen sie aber nochmals Erwähnung finden (der Leser mag sich ggf. dazu animiert fühlen, die entsprechenden Absätze weiter oben noch einmal durchzulesen):

 

Wir haben zwischen "normalen" ("analogen"), aus einer "Außenperspektive" heraus wahrnehmbaren Informationen, und "Themen" differenziert, mit denen man sich aus einer "Innenperspektive" heraus auseinandersetzt, weil man in irgendeine Weise in sie "involviert" ist.

Ein Problem ist eine Unterkategorie von "Thema", und somit eine Information, die entweder dem persönlichen (Über) -lebensvorteil widerspricht (also für weniger Lustgewinn und/oder mehr Schmerz steht) oder "unlogisch" (unvollständig, widersprüchlich oder mehrdeutig) ist.

Wir haben festgestellt, dass ein Problem "logisch" oder "funktional" gelöst werden kann (durch eine formal-logische Lösung des "Selbst" oder einen Perspektivenwechsel des "Systems").

Wir haben ferner zwischen "sachlichen" (die Umwelt betreffenden) und "moralischen" Informationen unterschieden, die in irgendeiner (nicht - wie ein Problem - explizit negativen) Weise mit unserem persönlichen Über/ -lebensvorteil oder Lustgewinn zu tun haben.

Wir haben das Selbstwertgefühl und seine drei bestimmenden Komponenten (Akzeptanz, Legitimität und Integrität) kennen gelernt, ebenfalls "Konflikte", die das Selbstwertgefühl summarisch oder in einzelnen seiner Komponenten angreifen.

Wir wissen auch: Zu einem Konflikt gehören ein Kritiker, eine kritisierte Tat oder Eigenschaft und eine kritisierte Person.

Ein Konflikt hat Steigerungsgrade (Krise, Trauma,..) und schließlich, dies ist zumindest meine Annahme, auch die Psychose bzw. Schizophrenie.

 

Nicht vollständig ausgeprägte Konfliktvariablen "diffundieren" und "streuen" inhaltlich in den Bereich der anderweitigen Variablen. Wenn der Gegenstand der kritikwürdigen Tat, die Person oder das Motiv des oder der Kritiker/s, die Stichhaltigkeit bzw. sachliche Richtigkeit der Kritik oder der Grad an persönlicher Schuld des Kritisierten (Diskrepanz zwischen Wille und Wirkung?) unklar und darüber hinaus nicht kommunizierbar sind, kann dies fatale langfristige Auswirkungen auf das subjektive Erleben haben!

Ein Konflikt ist ein "moralisches" Problem (anaolog zu einer "moralischen Information"), die das eigene Ich zum Gegenstand des Problems hat.

Das eigene Selbstbild kann ähnlich "diffundieren" wie unzulänglich ausdifferenzierte Konfliktvariablen!

Nicht zuletzt deshalb ist ein Konflikt die vermutlich schwierigste Art von Information, mit der sich ein Subjekt mental auseinandersetzen (gezwungen sein) kann!

Aber nicht nur für das Subjekt! Das eigene Selbst oder ICH ist, wie in dieser Publikation vielfach angesprochen, eine temporäre Angelegenheit, aus der "Perspektive" des Gehirns sowohl eine "Parallelinformation- bzw. funktion" als auch ein gesonderter Mechanismus für die Verarbeitung von Informationen, die nicht oder nur unzulänglich ohne Beteiligung des Bewusstseins verarbeitet werden können!

 

 Ich vertrete die Ansicht, dass bei schizophrenen bzw. psychotischen Bewusstseinsvorgängen fälschlicher Weise ("sachliche") Informationen und Bewusstseinsinhalte in Schaltkreise umgeleitet werden, die gewöhnlich für die Verarbeitung moralsicher Informationen und insbesondere speziell für die Konfliktbewältigung zuständig sind (und deshalb auch die eigene "Selbst-Repräsentation" an "falschen" Orten im neuronalen Gesamtgeschehen auftreten kann)!

 

Es handelt sich mglw. um eine "schädliche" Form von neuronaler Plastizität, etwa vergleichbar mit dem Vorgang, wenn bei einem Erblindeten die vormals für die Verarbeitung von visuellen Sinneseindrücken zuständigen Bereiche des Cortex, anstatt "arbeitslos" zu bleiben, alternative Aufgaben übernehmen! Nur hat es im Fall der Schizophrenie nichts mit der Bereitstellung von Kapazität seitens unterforderter ("arbeitsloser"), sondern der erzwungenen Auslagerung  seitens überlasteter Subsysteme zu tun?!

Das betroffene Subjekt kann einen "realen Konflikt" erlebt haben, der sich über eine Krise, zum Trauma und schließlich zur Psychose auswächst (etwa, weil das Stressbewältigungs-, das Selbstberuhigungs- oder das Motivationssystem bereits eine grundsätzliche Störung aufweist oder, wohl eher seltener, tatsächlich ein unter "objektiven" Gesichtspunkten seelisch extrem belastender Konflikt vorliegt).

Diese Störung könnte aber auch aus völlig endogenen Gründen ohne realen äußeren Anlass eintreten! Es sei nochmals der Vergleich zur Depression gezogen: Sie kann infolge eines real erlebten, emotional sehr verstörenden Erlebnisses ausgelöst werden, muss sie aber nicht! 

 

Mir scheint, es könnte ein Fehler sein, (alle) Schizophreniepatienten mit höchst fragwürdigen Medikamenten (Neuroleptika) in der Summe ihrer geistig-mentalen Phänomene zu dämpfen und fernerhin zu behaupten, eine  "klassische" psychologisch - therapeutische Auseinandersetzung mit der Befindlichkeit, dem Erleben und der Biographie der Patienten sei obsolet, da ihre Erkrankung ja schließlich unabhängig von der Umwelt aus rein genetischer Ursache hervorginge!

Würde etwa jemand behaupten, es sei sinnlos oder gar kontraproduktiv, einem depressiven Menschen einen freundlichen Gruß, eine Geburtstagsgratulation oder ein aufmunterndes Wort zukommen zu lassen, weil seine Emotionalität ja ohnehin "rein genetisch" (fehl) -gesteuert sei und "nichts" mit realen Umweltereignissen zu tun habe (und er deshalb entweder gar nicht oder auf konträre Weise auf "positive äußere Stimuli" reagieren würde)?!

Oder betrachten wir unter dem gleichen Gesichtspunkt das Thema "Ängste":

 Ängste können abwegig und unbegründet (z.B. vor Hexen, Dämonen, Flugsauriern, Werwölfen, Schrankmonstern,...) oder konkret und berechtigt sein (z.B. vor Einbrechern, Schmerzen beim Zahnarzt, Inflation,...) Wenn es gelingt, einen verängstigten Menschen graduell zu beruhigen, ihm zu ermöglichen, seine Angst zu "managen", dann hat er wahrscheinlich bessere Voraussetzungen, mit dem inhaltlichen Gegenstand seiner Angst oder dem Prozess des Angsterlebens an sich umzugehen! Die Einschätzung, man könne einem Menschen im Falle begründeter Ängste "helfen", im Falle unbegründeter Ängste hingegen nicht, entbehrt m. E. zumindest teilweise einer tieferen Logik! Analog sehe ich es bei der Schizophrenie: Die mentalen Erlebnisse mögen grundsätzlich "paradox" sein, das heißt aber nicht, sie müssten in jedem Fall völlig unveränderlich und immun gegenüber einer (im Idealfall durch äußere Unterstützung verstärkte) Selbstberuhigung sein.

Ich wiederhole ein meinerseits favorisiertes Zitat:

".........Es wäre besser, geistige Störungen oder geistige Krankheiten als Bündel von Symptomen zu betrachten, die sich in ihren Intensitäten abhängig von alltäglichen Erlebnissen individuell verändern können......." (James Kingsland: Die Hirnforschung auf Buddhas Spuren, Beltz Verlag, Weinheim, 2017, Seite 215)

 

Damit soll nicht behauptet werden, die nähere Würdigung der Person und der individuellen Lebensumstände und -erfahrungen eines Psychotikers müssten zwingend zu einem Erfolg in seiner Behandlung führen! Sicher gibt es schwerwiegende Verläufe und einen akut durchdrehenden, sich selbst und andere gefährdenden und von jeglichem Realitätssinn entkoppelten Menschen muss man, jedenfalls einstweilen, "chemisch" zur Ruhe bringen!

Aber sind Medikamente eine langfristige Lösung für Menschen, deren formale kognitive Prozesse und deren Selbsterleben zwar graduell beeinträchtigt sind, die davon abgesehen aber keine häufigen und starken Wahnvorstellungen haben und sich insgesamt in der Realität zu orientieren vermögen?!

 

Ein letztes Mal soll nun von Oskar die Rede sein. Er wurde erwiesener Maßen gesund oder, falls dies entgegen jeglichen Anscheins ein Irrtum sein sollte, in dem Maße "unauffällig", dass er weder nach eigener Interpretation, noch gemäß Deutung seiner Umwelt Krankheitsmerkmale aufweist! Er arbeitet vollberuflich, ist sportlich und erfüllt eine Reihe an Leistungs- und Funktionsparametern, die man von einer geistig-seelisch völlig gesunden Person erwarten würde!

Wie konträr hierzu war doch die medizinische Einschätzung, als er sich zu einem längst vergangenen Zeitpunk voller Verzweiflung in ärztliche Behandlung begab! Man prophezeite ihm einen chronischen Krankheitsverlauf und eine lebenslange Erfordernis zur Einnahme von Neuroleptika! Ja, man empfahl ihm geradezu, jegliche Hoffnung fahren zu lassen und keine Energie in "unnütze Hoffnung" zu stecken!

Und mit welcher Begründung?! Exzessiv überspitzte Diagnoseverfahren, Überbewertung der wenigen antiquierten "Lehrmeinungen", die ihrerseits aus einem (speziell für dieses Krankheitsbild) ohnehin (fast) nicht vorhandenem schulmedizinischen "Halbwissen" generiert wurden?!

Dies könnte oder sollte vielleicht zu Denken geben?! Insbesondere bleibt zu hoffen, dass nicht viele Patienten, die so wie er, gar keine "hoffnungslosen Fälle" sind, durch defätistische Schockdiagnosen entmutigt und vielleicht sogar zu zu persönlichen Einstellungen und Maßnahmen veranlasst werden, durch die sie erst recht der sozialen Stigmatisierung ausgesetzt und einer sinnvollen eigenen Lebensgestaltung und -planung entfremdet werden!